28.05.2019
Wenn der Akku nicht mehr lädt - Neue Erkenntnisse der Stressforschung
Psychische Gesundheit ist in der Arbeitswelt mehr denn je gefragt – manche führt dies direkt in den Burnout
Dagmar Möbius
Neue Erkenntnisse der Stressforschung lieferte die diesjährige Verhaltenstherapiewoche. Sie fand in Kooperation mit der Professur für Behaviorale Psychotherapie der TU Dresden statt. Zudem gab es eine Einladung zum 1. Europäischen Kongress der Klinischen Psychologie.
»Stress ist ein Grundsatzthema in der Psychologie«, führte Dr. Christoph Kröger, Leiter der IFT-Gesundheitsförderung München, in die 136. Verhaltenstherapiewoche in Dresden ein. Mehr als 100 Verhaltenstherapeuten aus ganz Deutschland interessierten sich Anfang Mai für die Vorträge der Eröffnungsveranstaltung. Moderator Prof. Jürgen Hoyer vom Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der TU Dresden sagte einleitend: »Stress ist eine Mixtur von Bedingungen. Und: Stress ist vollkommen normal. Er ist unsere tägliche Reaktion auf Belastungen und Belastungen sind eine natürliche Sache. Wie wir Dinge bewerten, macht den Stress aus. Wir können ihn auch regulieren.« Klinisch relevant wird Stress, wenn er chronisch wird und/oder traumatisch bedingt ist. »Darüber muss jeder Therapeut Bescheid wissen.«
Für Prof. Volker Köllner, langjähriger Oberarzt am Dresdner Uniklinikum und jetzt Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Abteilung Psychosomatik im Reha-Zentrum Seehof Teltow, ist Arbeit ein relevantes, aber oft vermiedenes Thema im Zusammenhang mit Burnout. »Mein Akku lädt nicht mehr«, sagen Patienten und beschreiben sich oft lieber als burnoutkrank als zuzugeben, eine Depression zu haben. »Sie erleben den ›Herzinfarkt des 21. Jahrhunderts‹ als weniger stigmatisierend und als von außen verursacht«, fasste Köllner zusammen und erinnerte daran, dass »Burnout« keine klassifizierbare Diagnose ist.
In den letzten zehn Jahren haben sich die Arbeitsunfähigkeitstage wegen dieser Symptome verdreifacht. Die Zahl der wegen einer psychischen Erkrankung erwerbsunfähig berenteten Menschen ist von 29 Prozent im Jahr 2005 auf 39 Prozent im Jahr 2017 gestiegen. »Das ist eine dramatische Verschiebung«, sagte Köllner. Er betonte, dass die Anforderungen an die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt stark gestiegen sind. Gefordert ist »mehr soziale Kompetenz und mehr psychisches Funktionieren«. Bedenklich müsse eine Umfrage von 2006 (Gallup) machen, nach der 13 Prozent der Berufstätigen engagiert im Job sind, 68 Prozent Dienst nach Vorschrift leisten und 19 Prozent innerlich gekündigt haben. »Fehlende Wertschätzung ist ein krankmachender Faktor. Da besteht in der Arbeitswelt Optimierungsbedarf.« Anhand verschiedener wissenschaftlicher Modelle erklärte er, dass besonders Engagierte eher erkranken als Menschen, denen die Arbeit egal ist. Aus verhaltenstherapeutisch-systemischer Perspektive sei es besser, Lösungen zu finden als über den Namen des Problems zu diskutieren. Die Frage: »Wie kommt es, dass gerade Sie das Burnout gerade jetzt bekommen haben?«, rege zum Nachdenken über eigene Anteile an. Prof. Köllner stellte diverse Therapie- und Präventionsansätze vor. Als Botschaft gab er auf den Weg: »Dreimal 30 bis 45 Minuten Ausdauertraining pro Woche wirken wie ein Antidepressivum.« Zudem verwies er auf die seit 2013 für Arbeitgeber gesetzlich verpflichtende psychische Gefährdungsbeurteilung. Daraus abgeleitete verbesserte Arbeitsbedingungen und Führungskräfteschulungen sind präventiv effektiv. »Nach langer Krankheit wieder eine hundertprozentige Arbeitsleistung zu erwarten, ist unrealistisch«, sagte Köllner und plädierte für eine stufenweise Wiedereingliederung. Auch das Konzept der Achtsamkeit etabliere sich zunehmend im therapeutischen Kontext. »Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig die Geschwindigkeit zu erhöhen«, schloss Prof. Köllner seinen Vortrag mit einem Zitat von Mahatma Gandhi.
Dr. Susann Schmiedgen von der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden gilt als Nachwuchshoffnung in der Traumaforschung. Die mehrfach preisgekrönte Psychologin leitet die Arbeitsgruppe »Psychobiologie von Stress« und beschäftigt sich unter anderem mit Methoden zur langfristigen Stressmessung. »Ihre Publikationen zur Haarcortisol-Analyse bestimmen die Diskussionen in der Fachwelt«, würdigte Prof. Jürgen Hoyer. Aktuell berichtete die Grundlagenforscherin, warum die Bestimmung von Stresshormonen im Haar vielversprechend ist. »Drei Zentimeter Haar genügen, um ein Zeitfenster von Wochen bis Monate abzubilden. Analysen aus Speichel, Blut oder Urin lassen nur Minuten bis Tage zu.« Der Zeitraum nach einem traumatischen Erlebnis sowie die Anzahl solcher Ereignisse beeinflusst, ob jemand eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Eine verringerte Cortisolsekretion gilt als Risikomarker nach erlebter Traumatisierung. »Man kann sich das so vorstellen, als wenn eine Fotokiste immer wieder ausgeschüttet wird. Es ist die biologische Ursache für den Gedächtnisabruf«, veranschaulichte Dr. Susann Schmiedgen. »Die Therapie besteht darin, die Fotos sinnbildlich wieder ins Album einzukleben und zu lernen, zwischen damals und heute zu unterscheiden.« Die Verhaltenstherapie ist eine der effektivsten Methoden bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), aber ungefähr die Hälfte der Patienten sprechen schlecht auf die Therapie an oder brechen sie ab. Deshalb wird beispielsweise erforscht, ob beziehungsweise wie sich die Cortisolsekretion durch Psychotherapie beeinflussen lässt. Zudem wird untersucht, ob die Gabe von Hydrocortison das Therapieergebnis verbessern kann. Perspektivisch sollen weitere Biomarker gesucht werden, um personalisierte Therapien zu entwickeln. Auch die Weitergabe zwischen Generationen interessiert die Forscher. Deshalb arbeitet Dr. Susann Schmiedgen auch am Forschungsprojekt »dream« mit. Die »DResdner Studie zu Elternschaft, Arbeit und Mentaler Gesundheit« untersucht und betrachtet Beziehungen zwischen Schwangerschaft, Elternschaft, Beruf und Gesundheit der gesamten Familie. Dafür finden über einen Zeitraum von zwei Jahren vier Fragebogenerhebungen statt: einmal während der Schwangerschaft und dreimal nach der Geburt. Ein Teil der Probanden wird zusätzlich für Haarproben angefragt. Schwangere, sehr gern Studentinnen, können sich für eine Teilnahme an der Studie noch melden.
Die anschließende Diskussion bestimmte die Sorge, ob perspektivisch zum Beispiel Krankenkassen die Haarcortisol-Messungen bei ihren Entscheidungen über Psychotherapiebewilligungen heranziehen könnten. »Die Forschung ist noch weit davon entfernt, wir haben erst wenige Erkenntnisse«, sagte Schmiedgen. Zudem: »Grundlagenforschung sagt nichts über den Einzelfall«, ergänzte Prof. Jürgen Hoyer, der auch auf den ethischen Aspekt solcher Anliegen hinwies.
Die interdisziplinäre Verhaltenstherapiewoche Dresden 2020 findet voraussichtlich vom 24. bis 28. April statt. Das Schwerpunktthema steht noch nicht fest. »Es könnte etwas mit Sexualität sein«, gab IFT-Leiter Dr. Christoph Kröger einen Ausblick. Professor Jürgen Hoyer, der auch Mitherausgeber der »Zeitschrift für Sexualforschung« ist, kann sich das gut vorstellen und hatte sofort konkrete Ideen.
Vorher findet jedoch eine englischsprachige Tagungspremiere statt: Der 1. Europäische Kongress für Klinische Psychologie unter dem Motto »Keine Gesundheit ohne mentale Gesundheit« lädt wissenschaftlich orientierte Psychologen, Psychotherapeuten und Mediziner vom 31. Oktober bis 2. November 2019 in das Hörsaalzentrum der TU Dresden ein. Organisiert von der 2017 gegründeten Europäischen Vereinigung für Klinische Psychologie und Psychologische Behandlung (EACLPT) sollen europäische Kooperationen in den Bereichen Forschung, Ausbildung und Behandlung von psychischen Problemen gefördert werden. »Wir erwarten einige der weltweit besten Forscher der Klinischen Psychologie«, so Hoyer und schließt die mitorganisierenden Professoren Katja Beesdo-Baum, Tanja Endrass, Corinna Jacobi und Phi-lipp Kanske ein.
Weitere Informationen unter:
»dream«-Studie: ogy.de/ifa8
1. Europäischer Kongress für Klinische Psychologie:
https://ssl.psych.tu-dresden.de/clinicalpsychologycongress2019/Verhaltenstherapiewoche:
https://www.vtwoche.de/
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 10/2019 vom 28. Mai 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.