26.03.2019
Wie projekt- und forschungsorientiertes Studium gelingen kann

Wirkt sich ein Medizinstudium ohne Frontalseminare und kognitive Lehrformate günstig auf die Gesundheit von Studenten aus? Der Berliner Kongress »Armut und Gesundheit« thematisierte auch diese Fragestellung.
TUD-Professor Joachim Kugler plädiert für neue Lehr- und Lernformate sowie mehr Publikationsfreude
Dagmar Möbius
Der Kongress »Armut und Gesundheit« ist die größte Public Health-Veranstaltung in Deutschland. Mitte März 2019 diskutierten an der TU Berlin 2000 Teilnehmer in 128 Veranstaltungen unter dem Motto »Politik Macht Gesundheit« über Verbesserungspotenziale gesundheitlicher Chancengleichheit. Dabei verstehen sie Gesundheit entsprechend der WHO-Definition als umfassendes körperlich-seelisches und soziales Wohlbefinden und Armut als erlebten Mangel mit gesellschaftlicher Ausgrenzung.
Prof. Joachim Kugler von der Professur Gesundheitswissenschaften/Public Health der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden fungiert auch als Sprecher des Fachbereiches Lehre der Deutschen Gesellschaft für Public Health. Mit Juniorprofessorin Maria A. Marchwacka vom Lehrstuhl für Gesundheits- und Pflegedidaktik der Fakultät für Pflegewissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar moderierte er ein Fachforum zum Thema »Projekt- und forschungsorientiertes Studium mit Qualität und Erfolg – aber wie?«. Der Themenkomplex »Gesundheit studieren – gesund studieren« ist beim seit 1993 stattfindenden Kongress nicht neu, aber zunehmend nachgefragt. 2019 beschäftigten sich sieben Formate mit verschiedenen Aspekten.
82 Prozent der befragten Studenten schätzten sich 2017 als gut bis sehr gut gesund ein. In einer Studie des Robert-Koch-Instituts von 2014 hielten sich mehr nichtstudierende Gleichaltrige für gesund. So klagte mehr als ein Viertel der befragten Studenten über starke Erschöpfung. Zudem zeigten sie vermehrt gesundheitsschädigende Verhaltensweisen.
»Frontalseminare und kognitive Lehrformate sind völlig out«, sagte Professor Kugler einleitend. »Dass neue Lehr- und Lernformate gefordert sind, wissen wir seit 35 Jahren. Aber es hat sich noch nicht genug herumgesprochen, deshalb wollen wir von anderen Hochschulen lernen.« Im Fachforum stellten die FOM Hochschule München, die Jade Hochschule Oldenburg, die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar innovative didaktische Formate vor. So favorisiert die FOM Hochschule forschendes Lernen und Service Learning und stellte einen modellhaften Ansatz zur innovativen und praxisnahen Methodenlehre zu Beginn eines gesundheitswissenschaftlichen Bachelorstudiums vor: Im Modul »Wissenschaftliches Arbeiten« generieren Studenten im ersten Semester mit Leitfrageninterviews sozialepidemiologische Daten und werten sie qualitativ aus. Es kristallisierte sich heraus, dass der Inhalt in 24 Präsenzstunden und einer Arbeitsbelastung von 75 Zeitstunden nicht ausreichend vermittelt werden konnte. Das Projekt wird weiterentwickelt.
Die Jade Hochschule Oldenburg bietet mit dem Weiterbildungsmaster Public Health seit 2013 ein berufsbegleitendes Konzept. Die Studenten sind zwischen 23 und 60 Jahren alt und zu 86 Prozent weiblich. »Sie können im Teilzeitstudium von Anfang an eine Idee für ein empirisches Projekt bis zur Masterarbeit bearbeiten und dabei Forschungspraxis erwerben. Herzstück ist die kollegiale Fachberatung«, erläuterte Prof. Frauke Koppelin.
Die Ludwig-Maximilians-Universität München bietet im Masterstudiengang Public Health seit 2018 das forschungsorientierte Seminar »Qualitative Methoden in Public Health und Medizin« für 40 Teilnehmer pro Semester an. Im Online- und Präsenzunterricht mit Methodenwerkstatt sowie in Gruppen befassen sich die Studenten mit dem Thema Impfen. »Das bedeutet einen großen personellen und zeitlichen Aufwand«, konstatierte Dr. Michaela Coenen. Dennoch soll das Angebot, speziell die Online-Lehre, auch aufgrund steigender Nachfrage ausgebaut werden. Außerdem sollen Tutoren eingebunden werden und eine wissenschaftliche Begleitevaluation stattfinden.
Die PTHV hat gute Erfahrungen mit medienorientierter Projektarbeit am Beispiel der Pflegebildung. In einem Kurzfilm über den Umgang mit Demenzerkrankten stellten Studenten beispielsweise Berufsphänomene zur Debatte und entwickelten praxisnahe Forschungsfragen. Die freie Arbeit sehen sie dabei als Vorteil.
Public Health-Studenten bevorzugen motiviertes, sogenanntes intrinsisches Lernen gegenüber klassischem Frontalunterricht. Das wurde bei einer anschließenden Diskussion deutlich. Doch trägt das Studieren von Gesundheit auch zum Gesundbleiben bei? »Jein«, meint eine junge Fachärztin, die 25 Stunden pro Woche in der Klinik arbeitet, Public Health studiert und dafür zwischen Leipzig und Berlin pendelt. Der Zeitfaktor, sozialer Stress und ein anderes Ernährungs- und Bewegungsverhalten belaste am meisten. Andererseits habe sie mehr Sinnhaftigkeit und andere Perspektiven erkannt.
»Wo sind die Publikationen?«, fragt sich Prof. Kugler. In Oldenburg sind beispielsweise Poster Prüfungsleistung. »Doch die Rahmenbedingungen sind nicht optimal«, gab Prof. Frauke Koppelin zu bedenken. Nicht gewährte Freistellungen, Kosten, aber auch ein fehlender Überblick, worüber bereits gearbeitet wurde, sind Hindernisse. In München können Masterarbeiten auch als Publikationsfassung abgegeben werden. »Meist sind sie aber noch nicht veröffentlichungsreif«, so Dr. Michaela Coenen.
»Die Deutsche Gesellschaft für Public Health unterstützt zwei Zeitschriften (u.a. Prävention und Gesundheitsförderung, d. A.), doch die Fachmagazine haben viel zu wenig Publikationseinreichungen«, ermuntert Prof. Kugler zu mehr Veröffentlichungen wissenschaftlicher Ergebnisse.
Weitere Informationen unter:
https://www.armut-und-gesundheit.de
http://www.deutsche-gesellschaft-public-health.de/
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 06/2019 vom 26. März 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.