20.10.2020
Wie sicher fühlt man sich im Wohngebiet?
Das Projekt »SiQua« befragte 16 500 Bürger in der Dresdner Äußeren Neustadt und in Dresden-Gorbitz
Seit 2018 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung das auf drei Jahre angelegte Projekt »Sicherheitsanalysen und -vernetzung für Stadtquartiere im Wandel« (SiQua). Es wird geleitet von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Daran beteiligt ist das Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung der TU Dresden. Ferner arbeiten das Zentrum Technik und Gesellschaft an der TU Berlin, das Institut für Geografie an der Universität Potsdam sowie die Stiftung Sozialpädagogisches Institut in Berlin mit. Eingebettet ist das Projekt in das Programm »Forschung für die zivile Sicherheit« der Bundesregierung. UJ sprach mit Dr. Jan Starcke, der das Projekt an der TU Dresden durchführt.
UJ: Das Projekt »SiQua« untersucht, wie sicher sich die Bewohner der Dresdner Stadtteile Äußere Neustadt und Dresden-Gorbitz fühlen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Jan Starcke: Kernstück des SiQua-Projekts ist eine schriftlich-postalische Bürgerbefragung mit der Überschrift »Sicheres Zusammenleben in Dresden«. Dazu wurden im Juli 2019 16 500 Dresdnerinnen und Dresdner im Alter von 16 bis 85 Jahren eingeladen. Jeweils 5000 Fragebögen wurden dabei an die Anwohnerinnen und Anwohner der Äußeren Neustadt und Gorbitz verschickt. Hier wurden im Rahmen von Fallstudien vertiefende Analysen durchgeführt. Die übrigen Fragebögen wurden gleichmäßig auf die anderen Dresdner Stadtteile verteilt.
Es wurde unter anderem danach gefragt, wie sicher sich die Menschen im eigenen Wohngebiet fühlen, wenn sie dort alleine zu Fuß und zu verschiedenen Tageszeiten unterwegs sind. Außerdem wurden sie zu ihren Befürchtungen und Erwartungen befragt, Opfer von Kriminalität zu werden. Ein weiterer Anhaltspunkt bestand in der Befragung des Sicherheitserlebens: Werden bestimmte Straßen und Plätze gemieden? Dabei galt es zu bedenken, dass Sicherheit und insbesondere Sicherheitsgefühle vielschichtige Phänomene sind, die weit über kriminalitätsbezogene Wahrnehmungen und Verhaltensweisen hinausgehen. Daher wurden auch Fragen zu allgemeinen Lebensängsten gestellt, etwa in Bezug auf die persönliche wirtschaftliche Lage, auf Krankheit oder Einsamkeit. Um möglichst viele Bevölkerungsgruppen zu erreichen, wurde der Fragebogen neben der klassischen Papiervariante auch online sowie in mehreren Sprachen angeboten (Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch, Russisch). Darüber hinaus haben wir qualitative Experteninterviews in der Kommune und bei Behörden und Organisationen, die Sicherheitsaufgaben versehen, geführt (u.a. Polizei, Ordnungsamt und Straßensozialarbeit). Neben der Bewohnerperspektive sollte somit auch die institutionelle Perspektive auf die Sicherheitssituation in der Neustadt und in Gorbitz eingefangen werden. Zuletzt haben wir in qualitativen Interviews auch Personen befragt, die schon lange in den Stadtteilen wohnen oder die erst vor kurzer Zeit zugezogen sind.
Das Projekt wird durch die Landeshauptstadt Dresden und die Polizeidirektion Dresden unterstützt, die Kooperationspartner der TU Dresden sind. Durch die Kommune erhielten wir viele Hinweise zu lokal relevanten Sicherheitsthemen, die bei der Planung der Studie berücksichtigt werden konnten.
Warum wurden gerade diese beiden Stadtteile ausgewählt und nicht beispielsweise Prohlis und Pieschen?
Im SiQua-Projekt erforschen wir das Sicherheitsempfinden in Stadtquartieren, die sich in den letzten Jahren stärker als andere Stadtteile verändert haben. Aspekte, die für die Auswahl der Äußeren Neustadt und Gorbitz eine Rolle gespielt haben, sind Veränderungen in der Bevölkerungszusammensetzung (u.a. durch Zuwanderung), Gentrifizierung und eine gestiegene Beschwerdelage durch Anwohnerinnen und Anwohner und Gewerbetreibende. Auch in Prohlis und Pieschen gab es in den letzten Jahren einen starken Wandel. Das konnten wir im Rahmen des SiQua-Projektes berücksichtigen, wenngleich unser Schwerpunkt auf der Äußeren Neustadt und Gorbitz lag.
Welche Ergebnisse hat die Befragung gebracht?
Die Rücklaufquote übertraf mit 27 Prozent in der Äußeren Neustadt und 25 Prozent in Gorbitz deutlich unsere Erwartungen. Dies zeigt zum einen, dass das Thema Sicherheit für die Bewohnerinnen und Bewohner eine bedeutende Rolle spielt. Ebenso zeigt sich aber auch, dass die gefühlte Sicherheit nur bedingt etwas mit der objektiven Kriminalitätslage im Stadtteil zu tun hat. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik ist das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, in der Neustadt deutlich höher als in Gorbitz. Dennoch äußern die Gorbitzer in der Befragung eine deutlich höhere Kriminalitätsfurcht als die Neustädter. Ein Grund für die Unterschiede im Sicherheitsempfinden könnte der soziale Zusammenhalt der Bewohnerinnen und Bewohner sein. Dieser wurde darüber gemessen, ob man seinen Nachbarn vertraut, sich in der Nachbarschaft gegenseitig hilft und die Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsame Werte teilen. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass der soziale Zusammenhalt in der Neustadt deutlich positiver eingeschätzt wird als in Gorbitz.
Der soziale Zusammenhalt in Gorbitz und der Neustadt ist deutlich unterschiedlich. Spielt hier eventuell die altersmäßige Zusammensetzung der Bürger eine Rolle?
Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Äußeren Neustadt sind im Durchschnitt über zehn Jahre jünger als in Gorbitz. Die Neustadt ist außerdem ein studentisch geprägtes Viertel, in dem deutlich mehr Kontakt miteinander gepflegt wird als dies in Gorbitz der Fall ist. Soziale Kontakte und Beziehungen sind in der Tat ein wichtiger Faktor für das Vertrauen und den Zusammenhalt innerhalb der Nachbarschaft. Dennoch wäre es irreführend, einen Zusammenhang zu unterstellen, der besagt: »Je jünger die Einwohnerschaft, desto stärker der soziale Zusammenhalt im Stadtviertel.« Unsere Befragung zeigt beispielsweise, dass in Gorbitz die älteren Menschen einen deutlich stärkeren Zusammenhalt im Wohngebiet wahrnehmen als die jüngeren Altersgruppen.
Eine Situation zu erfassen, ändert erstmal nichts an den realen Zuständen. Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit das Sicherheitsgefühl der Bewohner in den beiden Stadtteilen zunimmt?
Das ist in beiden Stadtteilen ganz unterschiedlich. In der Neustadt sind es vor allem die Begleiterscheinungen des Party-Tourismus, die von den Anwohnerinnen und Anwohnern als störend und teils auch als verunsichernd empfunden werden – beispielsweise Abfall, Pöbeleien und Vandalismus. Im Rahmen der »Geistreich«-Kampagne werden durch die Landeshauptstadt derzeit Maßnahmen zur Erhöhung der Rücksichtnahme von Party-Besuchern umgesetzt, was wir für den richtigen Ansatz halten. In Gorbitz ist eher eine generelle Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung zu spüren, die teils durch finanzielle und soziale Sorgen der Anwohnerinnen und Anwohner getrieben ist. Hier ist es wichtig, den Kontakt zwischen den Menschen zu stärken, da nur so Vorurteile und gegenseitiges Misstrauen abgebaut werden können, auch zu Zugezogenen aus anderen Kulturkreisen.
Mit Dr. Jan Starcke sprach Karsten Eckold.
Weitere Infos zu SiQua unter:
http://si-qua.de/infos/ueber-siqua
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 16/2020 vom 20. Oktober 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.