Was bringt der Einsatz von Wildwarnreflektoren gegen Wildunfälle?
TUD-Experten gefragt: Dipl.-Psych. Christoph Schulze vom Lichtlabor der Professur für Verkehrspsychologie
Wildunfälle sind ein bedeutendes Problem. Etablierte Maßnahmen (Zäune, Wildbrücken) sind flächendeckend weder möglich noch sinnvoll. Vielerorts werden daher Wildwarnreflektoren eingesetzt. Obwohl es einige nationale und viele internationale Studien über deren Auswirkungen auf das Unfallgeschehen gibt – übrigens mit unterschiedlichen Ergebnissen –, steht der Nachweis des Nutzens noch aus. Das technische Funktionsprinzip wurde erstmals umfassend im Lichtlabor an der Fakultät Verkehrswissenschaften »Friedrich List« untersucht.
Das UJ befragte Christoph Schulze vom Lichtlabor, der gemeinsam mit Jens-Ulrich Polster von der Dozentur für Wildökologie und Jagdwirtschaft (Fakultät Umweltwissenschaften) das Projekt »Wirkungsweise von Wildwarnern« der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) durchgeführt hat.
UJ: Natürlich ist die Vermeidung von leidvollen Unfällen von Mensch und Tier das wichtigste Ziel bei Vorhaben, mit denen das Wild vom Straßenverkehr ferngehalten werden soll. Lässt sich darüber hinaus der wirtschaftliche Nutzen für Kfz-Versicherer und -Halter beziffern, wenn man die Kosten für die Ausstattung der Landstraßenränder mit Wildwarnreflektoren dagegenrechnet? Oder anders gefragt: Lohnt sich die weiträumige Einführung solcher Warneinrichtungen überhaupt angesichts der relativ geringen Zahl an Wildunfällen?
Christoph Schulze: Die Anzahl an Wildunfällen ist leider erheblich größer als manchmal angenommen, wobei wir die genaue Zahl nicht kennen. Sie haben die Kfz-Versicherer angesprochen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. gibt für das Jahr 2017 die Zahl von 275 000 Fahrzeugschäden durch Wildunfälle an, deren Gesamtumfang mit rund 775 Millionen Euro reguliert wurde.
Der Deutsche Jagdverband e.V. berichtet etwa 230 000 Fälle von sogenanntem Fallwild. In dieser Kategorie werden die bei Unfällen mit Kraftfahrzeugen getöteten Wildtiere gezählt, aber auch andere im Wald verendet aufgefundene Tiere mit offensichtlichen Verletzungen. Die Zahl umfasst nur die großen Wildtierarten, das sind Rehwild, Schwarzwild, Damwild und Rotwild.
Diesen Zahlen steht eine erheblich geringere Anzahl von Unfällen mit Wildtierbeteiligung in der amtlichen Verkehrsunfallstatistik gegenüber. Laut statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2017 in Deutschland rund 2500 Unfälle mit Personenschäden und Wildbeteiligung polizeilich aufgenommenen. Dabei wurden etwa 2900 Personen verletzt und zehn getötet. Der größte Teil der Wildunfälle wird somit nicht polizeilich aufgenommen. In sehr vielen Fällen sind jedoch Jäger gefordert, einerseits vor Ort zu erscheinen und sich andererseits um das zumeist getötete Wildtier zu kümmern. Das betrifft übrigens nicht nur den Straßen- sondern auch den Schienenverkehr.
Maßnahmen, egal welcher Art, die zu einer systematischen Verringerung von Unfällen zwischen Kraftfahrzeugen und Wildtieren führen, sind daher dringend gesucht. Eine Maßnahme, die dafür international seit längerem im Gespräch ist und in den vergangenen Jahren auch in Deutschland vermehrt eingesetzt wird, sind Wildwarnreflektoren.
Was ist eigentlich der Grundgedanke des Einsatzes solcher Wildwarnreflektoren? Kurz gesprochen sollen Wildtiere mit zusätzlichen Lichtreflexen vor herannahenden Kraftfahrzeugen gewarnt oder verschreckt werden. Dabei sind mehrere Komponenten beteiligt. Da ist zunächst das Fahrzeug mit seinen Scheinwerfern. Diese müssen das Licht zur Verfügung stellen, wobei es erhebliche Unterschiede in der Intensität gibt, nicht nur im Annäherungsverlauf. Als Zweites ist da der eigentliche Wildwarnreflektor. Befestigt werden Wildwarnreflektoren aus pragmatischen Gründen zumeist an der Rückseite der Leitpfosten, die zur normalen Ausstattung von Außerortsstraßen gehören. Der Wildwarnreflektor soll das ihn treffende Scheinwerferlicht in den Seitenraum zu den Wildtieren umlenken. Da nicht bekannt oder beschränkt ist, wo sich Tiere befinden, müsste idealerweise der gesamte Seitenraum mit Lichtreflexen versorgt werden. Die intendierte Wirkung ist, dass Wildtiere das reflektierte Licht sehen und dadurch von der Straße ferngehalten werden. Von einigen Wildwarnreflektoren soll zudem nur der blaue Anteil des Scheinwerferlichtes reflektiert werden. Die Intention dabei ist die Behauptung, dass blaues Licht Wildtiere stärker beeinflusst als andersfarbiges Licht.
Darf man erwarten, dass diese Wildwarnreflektoren bei verschiedenen Tierarten etwa ähnlich wirken? Das Sehverhalten und die Sehleistung dürften doch von Art zu Art unterschiedlich sein, mal abgesehen von der Größe der Tiere?
Tatsächlich wissen wir insgesamt sehr wenig über das konkrete Sehverhalten von Wildtieren. Auch die für das Verhalten nutzbare Sehleistung lässt sich sozusagen von außen schwer beziffern. Wir wissen ja über unsere menschliche Sehleistung nur deshalb so gut Bescheid, weil wir die Effekte unterschiedlicher Lichtreize verbalisieren oder in semantisch vorher vereinbarten Experimenten nachweisen können. Für die Untersuchung von Wildtieren sind solche Möglichkeiten leider nicht gegeben. Daher bleibt neben der äußeren Verhaltensbeobachtung nur die physiologische Untersuchung der Sinnesorgane selber. Die Erkenntnislage hierzu lehrt uns allerdings große Unterschiede zwischen verschiedenen Wildtierarten. Seriös abgeschätzt, müsste sich somit auch die Wahrnehmung bestimmter Lichtreize zwischen Wildtieren erheblich unterscheiden. Dies mag unter anderem auch daran liegen, dass das Sehen an sich für verschiedene Wildtierarten ganz unterschiedliche Bedeutung hat, die zudem oft geringer sein dürfte als die Relevanz visueller Wahrnehmung für uns Menschen. Dafür haben viele Wildtiere ein wesentlich differenzierteres Riech- und Hörvermögen als wir.
Was genau haben Sie wie untersucht?
Wir haben an zehn verschiedenen Wildwarnreflektoren untersucht, wie die Lichtreflexe tatsächlich sind, die diese in Richtung Seitenraum erzeugen. Bevor fundiert über mögliche Wahrnehmungs- oder Verhaltenseffekte bei Wildtieren diskutieren werden kann, braucht es zunächst Daten über die tatsächliche Reizsituation. Interessanterweise gab es bislang weltweit keine systematischen Laboruntersuchungen, in welcher Weise diese Elemente lichttechnisch wirken.
Zunächst haben wir bestimmt, in welche Richtungen Licht, das von einem vorbeifahrenden Fahrzeug auf den Wildwarnreflektor gelangt, mit welcher Intensität abgestrahlt wird. Dazu haben wir einen Versuchsstand aufgebaut, in dem die Reflexion in den gesamten potentiellen Wirkbereich (Seitenraum der Straße) simultan aufgenommen werden konnte. Das erlaubt nicht nur, den lichttechnischen Wirkungsgrad der Elemente zu bestimmen, sondern auch die Bewertung der räumlichen Reflexionsverteilung.
Außerdem haben wir messtechnisch die Perspektive von Wildtieren im Seitenraum eingenommen und bestimmt, wie die Reflexion auf den Wildwarnreflektoren für den gesamten Verlauf einer Fahrzeugannäherung über 300 m aussieht. Daraus konnten wir Visualisierungen erstellen, die zeigen, mit welcher Größe und Intensität Lichtreflexe in Richtung von Wildtieren gelangen und wie sich diese beispielsweise vor dem Hintergrund der ebenfalls beleuchteten Straße darstellen. Schließlich haben wir auch untersucht, mit welcher Form und Intensität das Scheinwerferlicht in Richtung des Fahrzeugverkehrs reflektiert wird.
Welche Ergebnisse haben Sie herausgefunden?
Zunächst muss man sagen, dass hinsichtlich aller untersuchten Merkmale erhebliche Unterschiede zwischen den Wildwarnreflektoren bestehen. Nimmt man beispielsweise den Wirkungsgrad, reflektieren die besseren Exemplare bis zu drei Viertel des mit an sich schon relativ geringer Leistung auftreffenden Scheinwerferlichtes in den Seitenraum, andere nur zwei Prozent davon.
Auch die räumliche Verteilung unterscheidet sich erheblich, beschränkt sich jedoch in den besten Fällen auf wenige relativ kleine Bereiche. Im Mittel über alle untersuchten Reflektoren senden diese Licht in etwa vier Prozent des Seitenraumes, in den besten Fällen waren es knapp über zehn Prozent. Daraus folgt, dass zu den meisten Stellen, an denen sich Wildtiere befinden können, überhaupt kein zusätzliches Licht gelangt.
Aus Sicht eines Tieres im Seitenraum handelt es sich zudem um sehr kleinflächige, zumeist punktförmige Lichterscheinungen. Keinesfalls wird der Wildwarnreflektor als Gesamtelement sichtbar. Wir konnten auch zeigen, dass in den meisten Fällen Oberflächenspiegelung an winzig kleinen Teilen der glatten Kunststoffe als lichttechnisches Prinzip vorliegt. Daraus folgt, dass es unabhängig von der Farbe der Oberflächen zu keiner spektralen Filterwirkung kommen kann und damit auch keine farbigen Reflexe erzeugt werden. Diese Reflexe haben stattdessen die Lichtfarbe des Fahrzeugscheinwerfers.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass Wildwarnreflektoren unabhängig von ihrer Bauart kein Mittel sind, um Lichtsignale relevanter Intensität und Verteilung in den Seitenraum von Straßen zu bringen.
Wer eigentlich müsste die Ränder der Landstraßen (um die dürfte es ja überwiegend gehen) mit solchen Warneinrichtungen ausstatten und was würden Sie denen aufgrund Ihrer Ergebnisse empfehlen?
Als potenzieller Teil der Straßenausstattung wäre die öffentliche Hand gefordert, im Falle vieler Landstraßen somit die Bundesländer und Landkreise. Diese haben bislang, auch weil ein belastbarer Wirkungsnachweis fehlt, die Anbringung von Wildwarnreflektoren durch Jäger oder Waldeigentümer lediglich toleriert, zumeist jedoch nicht selbst durchgeführt.
Schwieriger ist es leider mit Empfehlungen. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass eine mehr als zufällige Warnung von Wildtieren mittels Lichtreflexen durch Wildwarnreflektoren praktisch ausgeschlossen ist. Gleichzeitig besteht vielerorts ein bedeutsamer Handlungsdruck aus entsprechenden Wildunfallzahlen, für den bislang flächendeckend geeignete Maßnahmen fehlen.
Im Moment sind daher verschiedene Forschungslinien in diesem Bereich absehbar. So wurde beispielsweise die Seite der Fahrzeugführer und deren Möglichkeiten zur Verringerung von Wildunfällen nicht systematisch untersucht. Technische Sensorik in Fahrzeugen ist ebenfalls ein Betrachtungsbereich. Schließlich legen bereits vorliegende Befunde nahe, dass insbesondere zeitliche und räumliche Häufungen von Wildunfällen in systematischem Zusammenhang zu anderen Faktoren als dem Fahrzeugverkehr stehen dürften, deren Analyse und Gestaltung ebenfalls Aussicht auf positive Beeinflussung der Verkehrssicherheit haben.
Die Fragen an Christoph Schulze stellte Mathias Bäumel.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 18/2018 vom 13. November 2018 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.