Er übersetzte das Allroundgenie der Renaissance in die Gegenwart
Zur Erinnerung an Karl-Heinz Adler ‒ Ehrenprofessor der TU Dresden und Ausnahmekünstler aus Dresden
Niels-Christian Fritsche
Gwendolin Kremer
1993 schrieb Thea Herold in der Wochenzeitung DIE ZEIT über Karl-Heinz Adlers große Werkschau in den damaligen Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus anlässlich seines 65. Geburtstags:
»Denn schließlich behielt der alte Lehrer Wilhelm Rudolph recht: ›Alt mußt du werden und deine Widersacher überleben.‹ So hatte er es dem jungen Studenten am Brühl in Dresden damals gesagt. Und der Vogtländer Adler bewies so viel Geduld. Außerdem fand er schon im Ausland Unterstützung, als ›hüben und drüben‹ in deutschen Landen noch jede Anerkennung fehlte.«
Mit 92 Jahren verstarb Karl-Heinz Adler am 4. November 2018 in Dresden. Der 1927 in Remtengrün im Vogtland geborene Künstler musste lange, sehr lange auf Erfolg und Anerkennung warten. In der Weimarer Republik geboren, im Nationalsozialismus aufgewachsen und schließlich in der DDR zum Maler an den Hochschulen für Bildende Künste (HfBK) Dresden und Berlin-West ausgebildet, galt seine konstruktivistische, immer abstrakter werdende Kunst wenig.
25 Jahre später, ein ganzes Vierteljahrhundert, nahezu eine Generation, wurde Karl-Heinz Adlers umfangreiches konstruktivistisches Werk dann endlich ‒ möchte man sagen ‒ unter anderem in Dresden im Albertinum, in Gera und in Budapest gewürdigt und große Anerkennung gezollt. Und auch in der Altana-Galerie der Kustodie im Görges-Bau wurde anlässlich des 90. Geburtstags des Ausnahmekünstlers eine Werkschau seiner Arbeiten gezeigt, die sich im Kunstbesitz befinden sowie von der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden e. V. (GFF) der TU Dresden angekauft wurden. Diese Kabinettausstellung unterstrich Adlers lange Verbundenheit mit der TU Dresden und der Altana-Galerie, die ihn in den vergangenen 15 Jahren immer wieder in Ausstellungen zeigte. Sein Werk und sein Wirken sind unmittelbar mit unserer Universität verknüpft.
Adlers Arbeiten aus dem Kunstbesitz der Kustodie der TU Dresden sowie Leihgaben der GFF und Leihgaben des Künstlers selbst erlaubten es im vergangenen Jahr, einen kleinen Einblick in sein mannigfaltiges Schaffen zu erhalten, wenn neben seinen Seriellen Lineaturen auch Schichtungen, Collagen und rhythmische Farbfeldmalerei zu sehen waren, die in den Schauvitrinen um studentische Arbeiten und Adlers und Friedrich Krachts Erfindung der Keramiksilikate ergänzt wurden. Die Edition Graphische Etüden aus dem Jahr 1982, herausgegeben von Lothar Lang im Reclam Verlag Leipzig, zeigten darüber hinaus seine Kontextualisierung neben Arbeiten von Hermann Glöckner, Willy Wolff und anderen ‒ die um drei wunderbare Gouachen von Friedrich Kracht, mit dem er das patentierte Betonformsteinprogramm entwickelte, ergänzt wurden.
Der Künstler übersetzte das Allround-Genie der Renaissance in unsere vom Konstruieren und Probieren faszinierte Gegenwart. 1956 kam er dem vor dreitausend Jahren im Vorderen Orient verloren geglaubten materialtechnischen Geheimnis der nilblau-persischen Fliese auf die Spur. Das »Kollektiv junger Wissenschaftler« um den Künstler und Dozenten an der damaligen Technischen Hochschule Dresden in der Abteilung für Architektur entwickelte dazu Silikatstein und ein keramisches Granulat. Ab 1963 entstanden unter Adlers Regie weitere Reihen von patentierten Verfahren und Produkten.
Karl-Heinz Adlers Werk überschreitet, es transzendiert das 20. Jahrhundert auf drei Arten: Seine Erfindung des Silikatsteins etabliert die Fliese in der modernen Architektur der Nachkriegszeit: Die vorher nicht atmungsaktiven Fliesen fielen von den Häusern der Stalin-Allee. Seit 1962 hält das bunte »Kino Kosmos« in Berlin seine Oberflächen mit Silikatfliesen wasserdicht zusammen ...
Das mit dem Künstlerfreund Friedrich Kracht entwickelte »Beton-Formstein-Programm« erklärt das Ornament selbst zur Substanz des Bauwerks: Bei den Formsteinen können wir nichts an Dekoration, an Akzidenz wegnehmen, weil dann schlichtweg auch die Substanz wegfiele. Ein Montagebaukasten für die von Niklas Maak so bezeichnete »Ostmoderne«.
Die Farbschichtungen, die auch Schichtungen von Farbschichtungen heißen können, brechen das Tabu der malerischen Werkspur in der konkreten Kunst: Die Bilder müssen nicht wie maschinell lackiert aussehen. Colin Ardley spricht bei Karl-Heinz Adler von »subversivem Impressionismus«.
Karl-Heinz Adler verband künstlerisches, baubezogenes, wissenschaftliches und pädagogisches Arbeiten. Er deklinierte sein kosmologisches Interesse, sein Prinzip des Vereinfachens und seine unmittelbare Freude an stofflichen Wirkungen zu vielfachen Werkserien. Die Balance zwischen dem Beschränken der gestalterischen Mittel und der opulenten technologischen Neugier zieht sich durch seine gesamte Arbeit. Die Materialforschung, die »komplexe Umweltgestaltung« und die konkrete Kunst des 20. Jahrhunderts werden zu einem durchgängigen Œuvre geflochten, das malerische und dreidimensionale Bildfindungen in eins zu setzen vermag.
In der DDR lebten nicht systemkonforme Künstler als »Dissidenten in tödlich dünnen Lüften«, wie Heinz Rudolf Kunze das nennt: »Und Freiheit heißt: gelitten sein als Zaungast bei dieser Autopsie von Utopie« mit einer, wie Kunze es weiter ausführt, »bodenlosen Unversehrtheit«. Adler kombinierte grafische, malerische und plastische Arbeit, wir könnten auch schreiben: System und Intuition. Nach Wolf Biermann gilt: »Nur wer sich ändert, bleibt sich treu«. Adlers Werk ist voller solcher Momente. Er bleibt uns als skeptischer Enthusiast und enthusiastischer Skeptiker in Erinnerung.
In der opaken Gesellschaft DDR galt nach Peter Handke: »Von dem, was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich.« Für Adler bedeutete das: Stille, Produktivität, Ruhe, keine Ablenkung, etwa durch Galeristen, wenngleich ohne große Ausstellungsmöglichkeiten. Lange Zeit parallel: baubezogene und freie Kunst.
Auf Bewertungen seiner Arbeit antwortete Karl-Heinz Adler in der Regel mit einer zunächst wohlwollenden Bestätigung und einem freundlichen: »Es könnte so sein.« Gefolgt vom Nachsatz: »Aber es könnte auch so, oder vielleicht sogar ganz anders sein.« Für Olaf Lauströer wurde Adler zum »Meister des kategorischen Konjunktivs«. 1988, mit 61 Jahren, erhält Karl-Heinz Adler eine Gastprofessur an der Kunstakademie in Düsseldorf, 2008 wird ihm im Alter von 81 Jahren der Kunstpreis der Stadt Dresden sowie die Honorarprofessur für Bildnerische Lehre an der TU Dresden verliehen.
Als die polnische Kunstkritikerin Bozena Kowalska 2004 ‒ Karl-Heinz Adler war damals 77 Jahre alt ‒ das großartige Buch »Adler. Auf der Suche nach Ordnung und Raum« für die Kunstsammlungen Chemnitz und das Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt schreibt, wird klar: Hier liegt nicht nur ein schöner Katalog auf dem Tisch, sondern ein Start zum umfassenden Werkverzeichnis.
Acht Jahre später, 2012, konnten Ingrid Mössinger und Sabine Tauscher den »Adler« herausgeben. Das war und ist doppelt schön: Wir können uns das Adlersche »Innovationspotenzial« ansehen und wir können anhand von Adlers Arbeit ‒ nicht über ihn, das ist ein wesentlicher Unterschied ‒ nein, für uns selbst »autonome«, also selbstständige, interessenfreie Kunstkritik üben. Was probiert Karl-Heinz Adler alles? Und was bedeutet das für uns, die wir selbst nicht probierten? Den »Adler« gilt es zu entdecken. Als »the artist’s artist«, als Künstler, den Künstler schätzen und rezipieren, wie Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, betont.
Am 20. November 2018 erhielt Karl-Heinz Adler posthum den Verdienstorden der Bundesrepublik.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 19/2018 vom 27. November 2018 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.