Dec 01, 2020
Aufmerksamkeit fürs Gehirn, damit die Seele gesundet
TUD-Hochschulgruppe »Brain Awareness« leistet erste Hilfe bei psychischen Erkrankungen. In Ghana fing alles an
Beate Diederichs
Die Hochschulgruppe »Brain Awareness « setzt sich dafür ein, über die Ursachen psychischer Erkrankungen aufzuklären und gesellschaftliche Unsicherheit im Umgang damit abzubauen. »Jährlich ist mehr als ein Viertel der erwachsenen deutschen Bevölkerung von einer solchen Erkrankung betroffen«, sagt Paul Andrä, Medizinstudent und Gründungsmitglied der Hochschulgruppe. Ein großes Thema, das aber immer noch viele Berührungsängste auslöst. »Brain Awareness« versucht dies mit seinen Projekten zu ändern, unter anderem mit dem »Erste-Hilfe-Kurs für die Seele«.
Für Paul Andrä kam die Motivation, sich zum Thema psychische Gesundheit zu engagieren, bei einem Praktikum in Ghana. Der Medizinstudent arbeitete damals bei einem Projekt des Vereins »On The Move e.V.« mit, das sich dagegen einsetzt, dass psychisch Erkrankte in dem afrikanischen Land stigmatisiert und teilweise wie Aussätzige behandelt werden. »Zurück in Deutschland beschäftigte ich mich mit der Situation hier: Die Statistik sagt, dass jährlich mehr als ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen hat.«
Angststörungen und Depressionen
»Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählen Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- und Medikamentengebrauch. Dies ist für die knapp 18 Millionen Betroffener und ihre Angehörigen oft mit massivem Leid verbunden, nicht zuletzt durch teils schwerwiegende Einschränkungen im sozialen und beruflichen Leben«, berichtet Paul Andrä und bezieht sich dabei auf Zahlen der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde). Um diese Situation zu verbessern, gründete er 2017 mit Gleichgesinnten die Hochschulgruppe »Brain Awareness«, die mit dem Verein »On The Move e.V.« verbunden ist und teilweise dessen Organisationsstrukturen nutzt.
Sinngemäß übersetzt heißt »Brain Awareness« bekanntlich »Aufmerksamkeit fürs Gehirn«. Ihr Ziel ist es, die Rolle des Gehirns bei psychischen Erkrankungen besser zu klären, um das Verständnis für die und den Zugang zu der Thematik zu erleichtern. Die Mitglieder der Gruppe haben über die Jahre gewechselt. Aber es handelte sich stets um rund zehn Aktivistinnen und Aktivisten, die an der TUD studieren, die meisten in psychologischen oder medizinischen Fachrichtungen. »Wir haben aber auch einen BWL-Studenten in unseren Reihen, der sich gut mit Social Media auskennt und sich um unsere Öffentlichkeitsarbeit kümmert«, sagt Paul Andrä. »Wir freuen uns grundsätzlich stets über Unterstützende aus allen anderen Bereichen, die oft benötigt werden, etwa zu Rechtsfragen oder eben bei der Kommunikation in den Sozialen Medien.«
Über psychische Krankheiten auch an Schulen aufklären
Rund 500 bis 600 Menschen hat »Brain Awareness« in und um Dresden mit seinen Projekten schon erreicht und dabei wertvolle Aufklärungsarbeit zu psychischen Krankheiten und dem Umgang damit geleistet, unter anderem über Projektunterricht an Schulen, Diskussionsrunden und Musik- oder Ausstellungsprojekte zum Thema. Aufgrund der Herausforderungen der aktuellen Krisen formierte sich nun das »Team aufeinanderachten«, mit Judith Herbers, Theresa Geithel und Tabea Schwirblat und geleitet von Julia Kirsten. Dieses widmete sich mit Nachdruck der Fertigstellung und digitalen Umsetzung eines Formats namens »Erste-Hilfe- Kurs für die Seele«. Es startete online, lief im Sommer einige Male in Präsenz und wird momentan erneut online angeboten. Der Kurs richtet sich an junge Erwachsene bis 35, besonders Studierende, die Freunde oder Angehörige einer Person mit psychischen Belastungen sind. Sie sollen dafür sensibilisiert werden, Anzeichen psychischer Belastungen im Umfeld frühzeitig wahrzunehmen, und die Betroffenen kompetent unterstützen. »Der Kurs ist interaktiv, läuft am Wochenende und dauert vier Stunden. Die Interessenten erhalten zunächst inhaltliche Informationen zum Thema. Dann werden in Kleingruppen Fallbeispiele besprochen und Übungen durchgeführt. Wichtige Teile sind der Exkurs zur Suizidalität, also zur Gefahr, dass die Betroffenen Selbstmord begehen, und der Exkurs zum Thema Selbstschutz. Denn wer helfen will, muss auf sich achten«, fasst Paul Andrä zusammen. Für die Interessenten ist das Angebot kostenlos. Spenden werden natürlich gerne genommen. Kürzlich hat der Kurs ein Beratungsstipendium über www.startsocial.de erhalten.
Teilprojekt »We Talk« mit dem King's College
Paul Andrä selbst startete mit einem kleinen Team kürzlich ein neues Teilprojekt: »We Talk« innerhalb von »trans- Campus«, einer Kooperation mit dem King´s College in London. »We Talk«, in Englisch und Deutsch, ist eine Plattform nach dem Vorbild der TED-Talks. Ziel ist es, die zahlreichen vielversprechenden wissenschaftlichen Ansätze und bereits existierende Projekte zur Förderung der psychischen Gesundheit sichtbar zu machen und den Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren zu erleichtern. »Entstehen sollen dabei neben Inspiration für den Einzelnen auch neue interdisziplinäre Kooperationen innerhalb des ›transCampus‹ und darüber hinaus«, erläutert der Medizinstudent. »We Talk« startete im November.
Der psychologischen Sensibilität Paul Andräs und seiner Kolleginnen und Kollegen entgeht natürlich nicht, dass die Studierenden, vor allem die Erstsemester, momentan unter Bedingungen arbeiten, die psychosozialen Problemen Vorschub leisten können und dies oft auch tun. »Wenn man ins Studium startet, ohne wie sonst bei den Erstsemesterveranstaltungen oder den zahlreichen Lehrveranstaltungen ein erstes Netzwerk knüpfen zu können, kann das nicht nur einsam machen, sondern auch verschiedene psychische oder gar somatische, also körperliche, Folgeerscheinungen nach sich ziehen«, sagt Andrä. Auch die Studierenden der höheren Semester hätten teilweise mit finanziellen Problemen zu kämpfen, weil Studentenjobs beispielsweise in der Gastronomie wegfielen, oder litten unter der angespannten finanziellen Situation im Elternhaus, weil ein Elternteil durch die Maßnahmen der Corona-Politik Einkommenseinbußen habe. Zusätzlich sei der Zugang zu persönlichen Hilfsangeboten eingeschränkt oder eingeschränkt gewesen. »Man sieht sich einfach weniger. So fallen betroffene Studierende leichter durchs Netz.« Das Team des Erste-Hilfe-Kurses möchte die jungen Erwachsenen ausdrücklich ermuntern, sich zu trauen, einander auf das Befinden anzusprechen, zuzuhören und gegebenenfalls professionelle Hilfe durch Beratungsstellen oder den Hausarzt in Anspruch zu nehmen.
Weitere Informationen, vor allem zum zum Teilprojekt »We Talk«, gibt es unter: https://we-talk.eu.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 19/2020 vom 1. Dezember 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.