Dec 01, 2020
ct.qmat – Die Physik mit dem Donut
In der Welt der Quantenmaterialien auf der Suche nach neuen Wunderwerkstoffen
Magdalena Selbig/ct.qmat
"Das Exzellenzcluster ct.qmat forscht an Quantenmaterialien. Diese neuartigen Stoffe zeigen unter extremen Bedingungen wie außergewöhnlicher Kälte, hohem Druck oder starken Magnetfeldern überraschende Verhaltensweisen. Ziel der mehr als 250 Forscher/innen aus Physik, Chemie und Materialwissenschaften: diese Phänomene verstehen und steuern, damit die Werkstoffe unter Alltagsbedingungen anwendbar werden." - Prof. Matthias Vojta.
Ein Donut zieht weite Kreise in Dresden und ist eine haarige Angelegenheit. Denn statt aus Teig ist er aus Fell gefertigt, das glattgekämmt werden kann. An diesem wuscheligen Exponat in den Technischen Sammlungen Dresden ist höhere Physik erlebbar. Die laufende Ausstellung »Schaufenster der Forschung« (Das Web-Pendant steht unter: ct.qmat.de/schaufenster.) bringt dem Publikum nahe, worum es im Exzellenzcluster ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien geht: »Quantenphysik beschreibt die kleinsten Teilchen, aus denen jedes Material besteht. Während Quanteneffekte in unserem Alltag selten eine Rolle spielen, gibt es Materialien, deren zentrale Eigenschaften davon dominiert werden. Dazu zählen zum Beispiel Magnete oder Supraleiter – und hier sind wir auf der Suche nach Neuem«, erklärt Cluster-Sprecher Prof. Matthias Vojta.
Gemeinsam mit Kolleg/innen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg widmen sich die Wissenschaftler/innen der TU Dresden der Grundlagenforschung zu Quantenmaterialien. Denn ct.qmat bündelt seit 2019 die Kompetenzen beider Physik-Standorte. Von 57 Exzellenzclustern ist ct.qmat der einzige Forschungsverbund, der bundeslandübergreifend arbeitet. »Arbeitsgruppen aus Dresden und Würzburg haben schon vor der Exzellenzförderung intensiv zusammengearbeitet. Diese Kooperationen haben sich seitdem eindrucksvoll weiterentwickelt. Unsere Expertisen ergänzen sich in vielen Bereichen«, so Vojta.
Zentral für die Arbeit von ct.qmat ist die Suche nach neuen Quantenmaterialien: Oft werden diese zunächst am Computer designt, um maßgeschneiderte Eigenschaften zu realisieren. Anschließend stellen Chemiker/innen die Materialien im Labor her. »Nicht alle Versuche sind erfolgreich. Nicht jedes Material hält, was es verspricht. Gelegentlich verhelfen auch Glück, Zufall und regelrechte Detektivarbeit zum Durchbruch«, resümiert Vojta. »Viele der neuen Phänomene, die Quantenmaterialien zeigen, beruhen auf topologischen Effekten. Die Topologie ist eine mathematische Disziplin, deren Anwendungen in der Physik in den letzten 15 Jahren zu einer Revolution unseres Verständnisses von Materiezuständen geführt haben. Die Topologie befasst sich mit Eigenschaften von Objekten, die bei Verformung erhalten bleiben – Beispiele sind die Anzahl der Löcher eines Donuts oder einer Tasse. Beide haben genau ein Loch, sodass sich der Donut zur Tasse kneten lässt. Zudem können wir Quantenmaterialien mithilfe von Wellen auf einem geometrischen Gebilde beschreiben, das die Gestalt eines Donuts hat – wir machen also ›Donut-Physik‹.«
Topologische Quantenmaterialien, an denen ct.qmat-Forscher/innen arbeiten, können beispielsweise zur Entwicklung von »kalten Chips« beitragen – Grundlage einer verlustarmen und nachhaltigen Elektronik, megaschnell und mit wenig Abwärme. Ein entscheidender Forschungserfolg war hierbei die Herstellung des Quantenmaterials Mangan-Bismut-Tellurid, veröffentlicht im Wissenschaftsmagazin »Nature«. Dieser vielversprechende Wunderwerkstoff braucht kein starkes äußeres Magnetfeld mehr, um Strom verlustfrei zu leiten – anders als andere Quantenmaterialien. Das maßgeschneiderte Kristall bringt sein Magnetfeld selber mit und ist somit viel besser geeignet für praktische Anwendungen. Bei ct.qmat stehen nicht zuletzt Materialien im Fokus, die als Bausteine für Quantencomputer dienen könnten. Der Schlüssel: besondere Teilchen. Vojta führt aus: »Denkbar sind Teilchen, die zugleich ihre eigenen Antiteilchen sind. Diese Idee hatte der italienische Physiker Ettore Majorana schon 1938. Heute vermuten wir, dass es solche Teilchen zwar nicht als natürliche Elementarteilchen gibt, wir sie aber in speziellen Quantenmaterialien als Quasi-Teilchen finden können.«
Wofür wird eine solche Spezialwissenschaft gebraucht? »Quantenmaterialien sind für viele Anwendungen denkbar. Maßgeschneiderte Funktionalitäten in der Informationsverarbeitung, Sensorik oder der Medizintechnik für den OP-Saal« – Vojta hat viele visionäre Einsatzmöglichkeiten vor Augen. »Topologische Physik gibt es ebenfalls mit Licht. So existieren topologische Laser schon im Labor. Optische Quantenchips liegen im Bereich des Möglichen.«
Doch das Exzellenzcluster widmet sich nicht nur der Forschung: »Nachwuchsförderung auf allen Ebenen ist wichtig. So wird ct.qmat neue Juniorprofessuren einrichten. Lehre und Ausbildung von Studierenden und Promovierenden sind in der integrierten Graduiertenschule des Clusters gebündelt, der Quantum Matter Academy. Außerdem hat ct.qmat das Grete-Hermann- Netzwerk ins Leben gerufen, das seit 2020 internationale Wissenschaftlerinnen der Physik kondensierter Materie zusammenbringt.« Unterstützt wird die Forschung an beiden Universitäten durch vier Partner-Institute aus dem DRESDEN-concept-Verbund und einem Partner in Bayern. »Auf dieser Grundlage wollen wir uns zu einem weltweit führenden Zentrum für die Erforschung von Quantenmaterialien entwickeln«, unterstreicht Vojta. »Den Anwendungen der Quantenphysik gehört die Zukunft. Dieser Trend ist weltweit sichtbar – und wir wollen dafür wegweisende Beiträge leisten.«
Weitere Informationen: https://www.ctqmat.de/
An der TU Dresden werden drei Exzellenzcluster gefördert – eine erste Zwischenbilanz
Es war Anfang November 2019, als an der TU Dresden zum dritten Mal die Exzellenzförderung des Bundes startete, nachdem sie im Juli zum zweiten Mal Exzellenzuniversität geworden war. Bis 2026 erhält die TUD nun Gelder, um über 40 Maßnahmen umzusetzen, die die Weiterentwicklung der gesamten Universität gewährleisten. Um diesen Status der Exzellenzuniversität zu erlangen, mussten die Bewerber mehrere Bedingungen erfüllen: zum einen ein dezidiertes Konzept für besagte Weiterentwicklung vorlegen, zum anderen den Zuschlag für die Förderung von mindestens zwei Exzellenzclustern erhalten. Von den sechs Forschungsclustern, die sich 2018 dafür bewarben, gewannen im Januar 2019 ganze drei! Sie erhalten jährliche Ausschüttungen für ihre Forschung und sind die Voraussetzung dafür, dass die TUD bei Vorhaben zur Optimierung ihrer Infrastruktur, Lehrangeboten und Service-Leistungen gefördert wird. Spitzenforschung findet seitdem in interdisziplinären Projekten der Elektrotechnik (CeTI), der Physik (ct.qmat) und der Biologie (PoL) statt. Ein Jahr nach Beginn der Exzellenzförderung für die TUD und fast zwei Jahre nach Förderungsbeginn der Exzellenzcluster ziehen deren Sprecher – die Professoren Frank Fitzek, Matthias Vojta und Stephan Grill – ein Resümee und erläutern ihre Forschung.
Magdalena Selbig
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 19/2020 vom 1. Dezember 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.