16.03.2021
Dresdner Technologie kühlt vegane Leckereien
Das TUD-Institut für Naturstofftechnik baut mit an der Bioökonomie von morgen
Heiko Weckbrodt
Papier mag ein seit Jahrhunderten bekanntes Material sein – doch sein Potenzial ist längst noch nicht ausgeschöpft. Davon sind die Forscher und Forscherinnen im Institut für Naturstofftechnik überzeugt: Statt Knabberchip-Verpackungen, Transportboxen oder Strohhalme aus Plaste zu machen, lassen sich Kunststoffteile in vielen Fällen durch Alternativen auf Papier- beziehungsweise Zellulosebasis ersetzen.
»Die Substitution von Kunststoff durch Papier ist in der Wirtschaft ein ganz großes Thema geworden«, schätzt Ingenieur Thomas Schrinner von der Professur für Holztechnik und Faserwerkstofftechnik ein. Auch gesamtgesellschaftlich sei der starke Wunsch deutlich spürbar, »zu einer Bioökonomie mit Kreislauf-Produkten zu kommen, in der nachwachsende Rohstoffe die Plastestrukturen ersetzen«.
Die TUD geht da mit gutem Beispiel voran: Jüngst erst haben die Dresdner ein Isoliermaterial aus Altpapier entwickelt. Daraus stellt nun die bayerische easy2cool GmbH umweltfreundliche Kühlmatten und -boxen her, die ohne Styropor oder andere erdölbasierte Schaum-Polystyrole auskommen. »Die Dämmschichten basieren letztlich auf Karton-Stanzabfällen, die ansonsten im Altpapier landen würden«, wie easy2cool-Mitgründer und Ingenieur Marco Knobloch erklärt. Er und sein Team sind sehr angetan von der gemeinsamen Entwicklung: »Wir verwenden die Isolierungen aus Zellulosefasern, die in dem Kooperationsprojekt zwischen der TU Dresden und uns entwickelt worden sind, sehr erfolgreich«, betont Vermarktungschef Timo Hantel. »Ave« – ein großer Versandhandel für vegane Lebensmittel – will die neuen Kühlmatten nun im großen Maßstab testen. Die neuen stabilen Öko-Kühlboxen mit den Dresdner Papier-Kühlmatten darin haben Ave-Chef Michael Schertl gleich überzeugt: »Perfekt« – so sein erster Eindruck. Er möchte damit nun zum Beispiel vegane Milch versenden.
Bisher allerdings sind die Isoliermatten noch mit Kunststofffolien ummantelt: als Schutz für die Lebensmittel, aber auch gegen Feuchtigkeit und Aromaverluste. Im nächsten Schritt wollen die Forscher auch diese Folien durch papierartige Barriereschichten ersetzen. Dabei setzen sie unter anderem auf sogenannte »Zellulose-Mikrofibrillen«, die eingepackte Speisen aroma-, fett- und luftdicht abschirmen. Allerdings sei noch viel Forschungsarbeit zu leisten, betont Thomas Schrinner. »Wir müssen die Eigenschaften unserer Maschinen und Materialien noch weiter verbessern«, sagt er. »Einen Königsweg, um Styropor hundertprozentig zu ersetzen, gibt es derzeit noch nicht.«
Stichwort »Altpapier-Recycling«
Pro Jahr stellt Deutschland rund 22,6 Millionen Tonnen Papier und Papiererzeugnisse her. Rund vier Fünftel davon entstehen aus aufbereitetem Altpapier. Durch das Zeitungssterben und andere Effekte der digitalen Transformation hat es in jüngerer Vergangenheit allerdings deutliche Verschiebungen in der Papier-Wirtschaft gegeben. Bis heute sind zwar »grafische Papiere« (Zeitungen, Zeitschriften, Druckerpapier usw.) sowie Verpackungspapiere und -kartons die Hauptquellen für das Papier-Recycling, während Etiketten, Aufkleber, Toilettenpapier sowie andere Spezial- und Hygienepapiere nur ein Achtel der jährlich verbrauchten Papiermenge ausmachen. Aber standen grafisches Papier und Kartons noch vor 15 Jahren für je 44 Prozent der erfassten Altpapiermenge, ist der Anteil der Verpackungspapiere und -kartonagen inzwischen auf 54 Prozent gestiegen: hauptsächlich wegen zurückgehender Zeitungsauflagen auf der einen Seite und dem Internet-Handel auf der anderen Seite.
Die Suche nach neuen Recycling- und Verwertungswegen für altes Papier und die wachsenden Kartonberge des Online-Versandhandels ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und ressourcenstrategisch wichtig. Denn ohne Kreislaufwirtschaft wäre die deutsche Papierproduktion in Deutschland gar nicht mehr möglich. Insgesamt gewinnen die Deutschen derzeit 79,8 Prozent ihres verbrauchten Papiers zurück. Weltweit liegt diese Erfassungs-Quote nur bei etwa 50 Prozent. Obwohl die Bundesrepublik insofern zu den internationalen Spitzenreitern beim Altpapier-Recycling zählt, gehen doch immer noch viel zu viele Ressourcen verloren. Das ist für die deutsche Papierindustrie umso schmerzlicher, da Altpapier mit großem Abstand die Hauptnachschubquelle für ihre Fabriken ist. Anders ausgedrückt: Ein Fünftel der in Deutschland »in Umlauf gebrachten Papiere wird gar nicht erfasst«, schätzen Ingenieure von der Professur für Holztechnik und Faserwerkstofftechnik von Prof. André Wagenführ ein.
Gerade in Sachsen gibt es aber lange Traditionen und viele Innovations-Akteure, die das ändern wollen. Sie arbeiten daran, die Papier-Recyclingquoten zu erhöhen, schwer verarbeitbare Spezialpapiere doch noch zu verwerten und neue Einsatzmöglichkeiten für Kartons und Altpapier zu finden. Dazu gehören das Institut für Naturstofftechnik an der TUD, die Papiertechnische Stiftung in Heidenau, aber auch Papierfabriken in Königstein, Annaberg-Buchholz, Kriebstein und anderswo.
In diesem Video werden die Isoliermatten vorgestellt.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 05/2021 vom 16. März 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.