05.10.2021
»Endlich mal was Praktisches in einem Seminar!«
Das Projekt »ELF« federt mögliche Praxisschocks ab, wenn das (Lehrer-)Berufsleben startet
Beate Diederichs
In der Erziehungswissenschaftlichen Lehr- und Forschungswerkstatt, kurz ELF, können Lehramtsstudierende aller Fächer und Schularten in die Rolle von Lehrkräften schlüpfen und so praktisch spätere Berufssituationen einüben. »Wir sind ein Praxisprojekt und wollen bereits im Studium Lehrkompetenz anbahnen«, so formulieren es Projektkoordinatorin Julia Nowak und ihr studentisches Team. Zu den Angeboten der ELF, die an der Professur für Schulpädagogik mit Schwerpunkt Schulforschung angesiedelt ist, gehört unter anderem die Kollegiale Fallberatung. Diese erhielt ebenso wie ein Kompetenztraining, das in einer Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk Sachsen stattfindet, im letzten Jahr einen Preis für diversitätssensible Lehre.
Der Praxisschock beim Eintritt ins Berufsleben kann jede Person ereilen, die ein theorielastiges Studium absolviert hat, ist also nicht nur angehenden Lehrkräften vorbehalten. Dennoch kann dieser Schock besonders heftig ausfallen, wenn man nach Studienabschluss und mit nur wenigen Praktikumsstunden im Rücken das erste Mal vor einer Klasse steht und diese sich ganz anders verhält, als man es im Studium gelernt hat. Wie schön, dass es an der TUD gute ELFen gibt, die dazu beitragen möchten, diesen Praxisschock zu minimieren. ELF, kurz für Erziehungswissenschaftliche Lehr- und Forschungswerkstatt, ist ein Praxisprojekt, das seit dem Wintersemester 2013/14 an der TU Dresden existiert. Es ist an der Professur für Schulpädagogik mit Schwerpunkt Schulforschung angesiedelt. »Die ehemalige Professorin Hedda Bennewitz brachte die Idee zu dem Projekt seinerzeit von ihrem vorherigen Wirkungsort Münster mit, wo sie es bereits erfolgreich erprobt hatte«, berichtet Koordinatorin Julia Nowak, die hier von Anfang an dabei war. »ELF ist ein Praxisprojekt, das Lehrkompetenz bereits im Studium anbahnt«, umreißen sie und ihr studentisches Team das Ziel. Etwas einfacher erläutert: Die Lehramtsstudierenden aller Fächer und Schularten schlüpfen in studentischen Gruppensituationen schon in die Rolle von Lehrkräften und können dabei trainieren, wie sie später im Beruf agieren werden. Zum Team studentischer Hilfskräfte, das mit Julia Nowak zusammenarbeitet, gehören Marie Weinhardt, zuständig für die Kollegiale Fallberatung, Aurélie Strohmaier, verantwortlich für die Trainings, Alexander Rehberg, der sich um das Tutorenprogramm kümmert, und Hannah Bartels, die die Kooperation mit universitären und anderen Partnern organisiert. Die Reaktionen der Zielgruppe auf ELF sind positiv: Das zeigt ein Evaluationsbericht, für den zwischen 2013 und 2018 fünfhundert Studierende befragt wurden. Die Aussagen »Das erste Seminar in den Erziehungswissenschaften, das mir tatsächlich schon weitergeholfen hat und das ich als sinnvoll für den Lehrberuf erachte!« und »Jetzt weiß ich wieder, warum ich Lehrer werden will!« bringen die Meinungen gut auf einen Punkt. Das Lob bezieht sich auch auf das studienbegleitende Zertifikat »lehren.lernen«, das sich über drei Semester erstreckt, aus einschlägigen Lehrveranstaltungen plus Kollegialer Fallberatung sowie Trainings bei ELF und einem Portfolio besteht und von einer Person aus dem ELF-Team begleitet wird. ELF als Ganzes gehört aufgrund seiner Praxisbezogenheit zu den Studienerfolgsprojekten unter dem Thema »Alles Theorie – Wo soll es nach dem Studium hingehen?«.
Julia Nowak und den studentischen Hilfskräften ist es wichtig, dass die Zielgruppe bereits früh im Studium von ELF erfährt und die Angebote dann über die Semester verteilt einplanen kann. »Wir freuen uns daher, dass wir in einigen Veranstaltungen des Grundstudiums für uns werben dürfen«, sagt die Koordinatorin. Gern berichten die ELFen dann beispielsweise über die Kollegiale Fallberatung als gelungenes Exempel dafür, wie der Rollenwechsel funktioniert und Studierende sich gegenseitig unterstützen und weiterbringen. Dies heißt in der Fachsprache Peer-Teaching und Peer-Coaching. »Geleitet von einem Studenten oder einer Studentin, den oder die ich für die Fallgruppenleitung ausgebildet habe, berät sich eine Kleingruppe in Präsenz oder digital zu einem schulischen Problem, das im Praktikum aufgefallen ist. Es geht zum Beispiel darum, dass ein Schüler sich komplett verweigert. In insgesamt sechzig Minuten besprechen die Teilnehmer das Problem nach einem festen Zeitplan. Wichtig ist es dabei: Jeder und jede soll offen entsprechende Vorschläge machen können, ohne diese in einer Diskussion verteidigen zu müssen. Die ratsuchende Person entnimmt dann die Lösungsmöglichkeit, die für die betreffende Situation passen könnte, und probiert sie im Idealfall später in der Klasse aus«, berichtet Marie Weinhardt, die für die Kollegiale Fallberatung verantwortlich ist. Im letzten Jahr erhielt diese Fallberatung einen Preis für diversitätssensible Lehre an der TUD, ebenso wie das seit 2018 regelmäßig angebotene Kompetenztraining »Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schule und Universität. Theorie und Praxis«, das ELF in Kooperation mit der LAG (Landesarbeitsgemeinschaft) Queeres Netzwerk Sachsen etabliert hat. »Wir halten uns alle für tolerant, verhalten uns aber nicht immer so, weil wir bestimmte Normen verinnerlicht haben«, sagt dazu Aurélie Strohmaier, die für die Trainings verantwortlich ist. Der Workshop vermittelt daher beispielsweise, wie eine Lehrkraft sensibel einschreiten kann, wenn ein Schüler wegen seiner Homosexualität gemobbt wird. Die Teilnehmer können sich dafür unter anderem beim sogenannten Forumtheater in die verschiedenen Rollen einfühlen und üben, ihre Position zu verteidigen. Vor allem bei den Trainings arbeitet man auch mit Videoanalysen, damit die Beteiligten ihr Verhalten danach in Ruhe anschauen und reflektieren können.
Für die Zukunft erhoffen sich Julia Nowak und ihr studentisches Team Stabilität in dem Projekt. »Nachdem Hedda Bennewitz vor einiger Zeit an die Universität Kassel gewechselt ist, wurde die Professur nur vertreten. Nun wird sie mit Anna Moldenhauer wieder regulär besetzt sein. Davon versprechen wir uns eine gute Perspektive, bei der wir unter anderem unseren Baustein Forschungswerkstatt ausbauen können«, meint die Koordinatorin.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 15/2021 vom 5. Oktober 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.