Oct 19, 2021
»Es gibt eine unglaubliche Menge an essbaren Arten«
Das Nachhaltigkeitsprojekt »Essbarer Stadtteil Plauen« untersucht, was hier an Früchten von Bäumen und Sträuchern genießbar ist
Beate Diederichs
Noch bis Ende des Jahres beschäftigt sich das Team des Projekts »Essbarer Stadtteil Plauen« damit, wie viele Gehölze zwischen Weißeritz, Heidenschanze und Uni-Gelände wachsen, deren Blüten oder Früchte auf dem Speisezettel landen können. Die Projektkoordinatorinnen Nadine Scharf und Gerda Berger sind von der schieren Zahl der essbaren Gehölze in Plauen beeindruckt. Tatkräftige Hilfe bei der Kartierung erhielten die beiden Frauen vom Institut für Landschaftsarchitektur der TU Dresden. Die Erkenntnisse aus der Kartierung flossen auch in ein Mastermodul in diesem Institut ein.
Wertvolles direkt vor der Haustür
»Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.« Dass man oft Wertvolles direkt vor der Haustür findet, wusste schon Goethe, auch wenn er sich sicher nicht auf essbare Pflanzen im eigenen Stadtviertel bezog. Das Projektteam von »Essbarer Stadtteil« hingegen möchte zeigen: An Hauswänden, an Hecken, auf Streuobstwiesen, sogar direkt neben Wegen wachsen Alternativen zu Früchten und Gemüse, die oft aufwändig angebaut und importiert werden. Man muss es nur wissen. »Wir haben uns für den Stadtteil Plauen als Modellregion für dieses eine unserer acht Nachhaltigkeitsprojekte für ›Zukunftsstadt Dresden‹ entschieden, weil hier viele unterschiedliche Gehölz-standorte zu finden sind und Plauen mit seiner soziokulturellen Vielfalt und seinen städtebaulichen Strukturen interessant ist«, begründen die Projektkoordinatorinnen Nadine Scharf und Gerda Berger ihre Wahl. Das Projekt startete mit einer Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im August 2019 und wäre regulär Ende Juli 2021 ausgelaufen. »Zum Glück konnten wir aufgrund der Corona-Ausfälle noch um einige Monate verlängern, so dass das Projekt nun erst im Dezember endet«, sagt Nadine Scharf.
Zurück zum August 2019: Am Anfang musste das Projektteam festlegen, auf welche Pflanzen es sich bei der Kartierung konzentrieren will. »Wir haben uns ausschließlich die Gehölze vorgenommen, also Bäume und Sträucher. Das hat zwei Gründe: Einerseits lassen sich Wildkräuter, die grundsätzlich auch infrage gekommen wären, aufgrund der saisonalen Unterschiede sehr schwer kartieren. Man kann ja nicht sicher davon ausgehen, dass im nächsten Jahr noch an derselben Stelle die gleichen Kräuter wachsen. Andererseits gibt es schon bei den Gehölzen eine so unglaubliche Menge an essbaren Arten, dass diese fast den Rahmen unserer Untersuchung gesprengt hätte. Daher haben wir häufig vorkommende essbare Arten wie Linde und Buche schon weggelassen, weil es sonst noch mehr geworden wäre«, erläutert Nadine Scharf. Für die Kartierung suchte das Projektteam eine geeignete Person und fand diese am Institut für Landschaftsarchitektur der TUD, genauer: beim Lehr- und Forschungsgebiet für Pflanzenverwendung und beim dortigen Juniorprofessor Martin Hellbach.
Stadtteil Plauen wird nach und nach kartiert
»Wir fanden, dass unser Projekt sich gut in den Uni-Kontext einbetten lässt, und nahmen also zu Beginn des Jahres 2020 Kontakt mit Herrn Hellbach auf. Er vermittelte uns die sehr fähige Tutorin Franziska Krämer, die dann im Frühjahr Schritt für Schritt den Stadtteil Plauen nach unseren Kriterien kartierte. Später wurden die Ergebnisse extern, durch einen gesonderten Auftrag, digitalisiert«, berichtet die Projektkoordinatorin weiter.
Die Auswertung der Kartierung ergab: 62 Arten an über 2000 Standorten wurden erfasst, deren Teile essbar sind. Auf ihrer Homepage zeigen die Projektmitarbeiterinnen an Beispielen, was man aus diesen mitunter unscheinbaren Pflanzen herstellen kann: Likör aus Früchten des Feuerdorns, Marmelade aus Hagebutten, Ketchup aus Schlehen oder Chutney aus Vogelbeeren. Als zweiter Schritt sollten die Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und nutzbar gemacht werden, beispielsweise durch die Online-Spazierrouten, an denen das Team nun noch arbeitet. »Dies stellte uns vor eine Herausforderung: Viele der Flächen, wo wir Gehölze gefunden haben, sind privat. Das heißt, man darf diesen Standort nicht einfach veröffentlichen.« Als Kompromiss entwickelten die Mitarbeiterinnen auf der Grundlage der Kartierung eine Onlinekarte mit verschiedenen Spazierrouten durch Plauen, die an den Standorten vorbeiführen. »Mithilfe der digitalisierten Daten legten wir den genauen Routenverlauf fest. Zusätzlich diente der Datensatz als Grundlage für ein Mastermodul, das Herr Hellbach zu Ende des Wintersemesters 2020/21 anbot«, so Nadine Scharf weiter. »Dabei griffen wir die Ergebnisse der Kartierung auf. Die Studierenden sollten Konzepte für den Umgang mit essbaren Gehölzen im städtischen Raum entwickeln. Das ist eine schwierige Aufgabe, da Schadstoffe, Erntefähigkeit, Pflegezustand und Zugänglichkeit begrenzende Faktoren sind. Trotzdem entstanden spannende Konzepte, die Aspekte wie Umweltbildung, Wertschöpfung und Bürgerpartizipation ansprachen. Städtisches Gärtnern an der Schnittstelle zur Landschaftsarchitektur ist ein hochinteressantes Thema, das uns weiter beschäftigt«, kommentiert Martin Hellbach selbst.
Workshops und Spaziergänge
Das Team vom »Essbaren Stadtteil« möchte interessierten Mitmenschen nicht nur digital mit Routen- und Rezeptvorschlägen zur Seite stehen, sondern auch vor Ort: Bei Workshops und geführten Spaziergängen kann man den Feuerdorn selbst pflücken, die Hagebutten selbst berühren oder die Farben der Schlehen und Vogelbeeren bewundern. »Die Resonanz ist bei unseren Live-Spaziergängen sehr gut. Trotz der aktuellen Situation konnten wir auch dieses Jahr einige davon anbieten. Das Format spricht die unterschiedlichsten Personengruppen an. Auch ältere Menschen interessieren sich offenbar dafür und für das Thema allgemein«, so Nadine Scharf. Nun möchte das Projektteam die Idee des essbaren Stadtteils auf weitere Dresdner Stadtviertel übertragen. Geplant ist dies für Johannstadt und Löbtau. Nadine Scharf würde dafür gern die Zusammenarbeit mit der TUD fortsetzen. Ob das in großem Rahmen möglich ist, hängt allerdings von der Finanzierung ab: »Einen anderen Stadtteil umfassend kartieren können wir nur, wenn es uns gelingt, erneut Fördermittel einzuwerben.«
Weitere Informationen unter: www.essbarer-stadtteil.de
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 16/2021 vom 19. Oktober 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.