Feb 02, 2021
Forschung verständlich in die Gesellschaft tragen
Die Fragen stellte Magdalena Selbig.
»Fake Science« lautete der reißerische Titel eines Zukunftslabors im Juni 2019. Den weiblichen und männlichen Teilnehmern, die dort in zwangloser Atmosphäre »Narrative zu Migration und Integration« verhandelten, war zu diesem Zeitpunkt vermutlich nicht bewusst, dass sie den Grundstein für eine Veranstaltungsreihe erdachten, die schließlich zu einer Exzellenz-Maßnahme im Bereich der Universitätskultur heranwuchs: »TUD im Dialog« schafft Raum für den interdiskursiven Austausch mit der regionalen Zivilgesellschaft über aktuelle Themen.
Auftakt dieser Maßnahme war die Reihe »Vielfalt im Dialog« mit Terminen im Herbst und Winter 2020. Konzipiert und organisiert wurden sie durch Dr. Karoline Oehme-Jüngling (Zentrum für Integrationsstudien der TUD), Prof. Michael Kobel (Professur Teilchenphysik an der TUD, Willkommen in Löbtau, Sächsischer Flüchtlingsrat) und Dr. Oliviero Angeli (MIDEM, Institut für Politikwissenschaft der TUD) sowie zwei außeruniversitäre Institutionen: anDemos - Institut für angewandte Demokratie- und Sozialforschung und das Kulturbüro Sachsen. Für das Universitätsjournal beantworteten die drei Verantwortlichen einige Fragen über ihr Arbeitsprojekt.
UJ: Frau Dr. Oehme-Jüngling, Sie haben das Projekt vonseiten des Zentrums für Integrationsstudien begleitet, das ja ebenfalls exzellenzgefördert ist. Welche Arbeitsgebiete der Veranstaltungsreihe entfielen auf Sie und gab es in der Vergangenheit bereits vergleichbare Formate?
Dr. Oehme-Jüngling: Das Zentrum für Integrationsstudien ist als Partner im Projekt »Vielfalt im Dialog« insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Partnern der Zivilgesellschaft in Sachsen mitverantwortlich. Mit dem Kulturbüro Sachsen e. V. und dem anDemos e. V. verfügen wir über Partner, die die soziokulturelle Situation in den Landkreisen und Kommunen sehr genau kennen und ihre Netzwerke für die gemeinsame Arbeit aktivieren. Unsere Arbeit basiert auf der Idee einer öffentlichen Wissenschaft, die gesellschaftlich relevanten Themen begegnet und sich selbst als lehrender wie lernender Akteur versteht. Das Ziel ist es also, neben der aktuellen Forschung im Themenfeld der Integration zusätzlich den Wissenstransfer zwischen Öffentlichkeit, Wissenschaft und Praxis voranzubringen. Dafür setzen wir auf innovative und beteiligungsorientierte Formate, wie wir sie beispielsweise schon 2016 im Projekt »Courage: Wissen, Sehen, Handeln!« erprobt haben. Dort drehten sich Workshops, Vorträge und Kulturveranstaltungen um das Problem des Rassismus in alltäglichen wie institutionellen Zusammenhängen. »Vielfalt im Dialog« setzt neue Akzente: Wir richten uns mit unseren Aktivitäten an Zivilgesellschaft, Multiplikator:innen und entsprechende Institutionen im ländlichen Raum. Durch die Pandemie mussten wir umdisponieren und ein digitales Dialog- und Beteiligungsdesign konzipieren.
Und hinsichtlich des Zuschnitts Ihrer Zielgruppe sowie der digitalen Umarbeitungen: Welches Publikum wurde von Ihren Botschaften angezogen?
Dr. Oehme-Jüngling: Wir haben mit unseren Veranstaltungen ein möglichst heterogenes Publikum angesprochen und einen niedrigschwelligen Zugang zu der notwendigen Komplexität wissenschaftlicher Debatten ermöglichen können. Wichtig war uns vor allem ein sachlich-konstruktiver Austausch bei polarisierenden Themen, auch bei Wissenschaftler:innen den ein oder anderen »Aha-Effekt« zu produzieren und Grenzen gegenüber menschen- und demokratiefeindlichen Einstellungen zu setzen. Zentrales Kriterium sind die Interaktionen, die sich ergeben: sei es in der Veranstaltung selbst, in der flankierenden Öffentlichkeitsarbeit oder in den sich infolge der Veranstaltung ergebenden Kooperationen.
Dr. Angeli: Der Vorwurf an die Wissenschaft lautet meist, »ihr lebt im Elfenbeinturm und verkennt die gesellschaftliche Realität«. Als Migrationsforscher schlug mir in den letzten Jahren mitunter heftiger Gegenwind entgegen. Gerade beim Thema Flüchtlinge kochten die Emotionen schnell hoch. Meine Erfahrung dabei: Eine Wissenschaft, die belehrend Fakten an Fakten reiht, kommt bei den meisten Menschen nicht gut an. Es ist sicher wichtig, auf falsche Behauptungen mit Fakten zu reagieren. Aber gerade in Zeiten selektiv gewählter Statistiken gilt es, neue Interaktionsformen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu erproben, um verloren gegangenes Vertrauen wiederaufzubauen. Natürlich geht es nicht darum, unter »Gleichgesinnten« zu reden. Und das impliziert auch, über die doch oftmals sehr spezielle städtische »Blase« hinaus Migrationsforschung sichtbar zu machen. Will heißen: Wenn die Migrationsforschung mehr nachhaltigen gesellschaftlichen Einfluss erreichen möchte, muss sie auch mit Hilfe von Kooperationspartnern vor Ort kleinere Städte sowie den ländlichen Raum erschließen.
Für Sie alle ist dies freilich nicht die erste Veranstaltung mit der Zivilgesellschaft. Was fasziniert Sie besonders an diesen Formaten?
Prof. Kobel: Der Dialog mit der Gesellschaft außerhalb der Universität ist neben Forschung und Lehre eine der drei grundlegenden Aufgaben einer Universität. Dies gilt nicht nur, weil sie mit öffentlichen Geldern finanziert ist, sondern weil es einen Austausch geben muss: Die Universität profitiert davon, ihre Forschungsfragen in Bezug auf aktuelle Debatten oder Interessen der Gesellschaft zu bereichern, und umgekehrt ist es wichtig, die Ergebnisse der Forschung verständlich in die Gesellschaft zu tragen. In der Physik praktizieren wir das bereits seit mehreren Jahrzehnten systematisch und erfolgreich. Für mich ist es ungeheuer spannend, nun in einem anderen Gebiet als ehrenamtlicher Akteur an einem Dialog zum Thema Migration und Integration zwischen Forscher:innen und Gesellschaft teilzunehmen. Ich freue mich auf weitere kontroverse Diskussionen, die meist besonders geeignet sind, sich eine fundierte eigene Meinung zu bilden.
Dr. Oehme-Jüngling: Bei solchen Veranstaltungen erreichen uns als Forscher ganz andere Nachfragen aus vielfältigen Perspektiven, die uns die Begrenztheit der fachspezifischen Debatten vor Auge führen und Impulse für neue Fragestellungen ermöglichen. Deshalb planen wir für eine zweite Projektphase von »Vielfalt im Dialog«, uns stärker mit einem Ort in Sachsen auseinanderzusetzen und die Stadtgesellschaft einer sächsischen Kleinstadt an der Forschung zu beteiligen, etwa in Form einer bürgerwissenschaftlichen Forschungswerkstätte.
Welches Potenzial sehen Sie, Professor Kobel, für »TUD im Dialog« und welche Bedeutung messen Sie der Maßnahme bei?
Prof. Kobel: Die TUD hat bereits einige sehr gut funktionierende Formate der Wissenschaftskommunikation. Beispielsweise die »Lange Nacht der Wissenschaften« oder die Reihe »Nobelpreisträger zu Gast an der TU Dresden«. Diese Veranstaltungen wirken stark in die Breite, finden aber auf dem Campus der TUD statt, was für manche Menschen möglicherweise eine Hürde darstellt. »TUD im Dialog« verlässt den Campus und auch Dresden und sucht sein Publikum in Buchhandlungen, Schulen und anderen Treffpunkten in Sachsen, wodurch wir einen Dialog mit Gesellschaftsgruppen aufbauen wollen, die wir derzeit noch nicht erreichen. Die Maßnahme trägt der gesellschaftlichen Entwicklung zu einer Informationsgesellschaft Rechnung, in der echte und falsche Fakten für jede:n leicht zugänglich sind. Es ist innovativ, dass die Möglichkeit derartiger Auseinandersetzung nun innerhalb der Exzellenzstrategie zentral und prinzipiell für alle Themen verfügbar und verankert ist.