Feb 16, 2021
Neues zu entdecken gibt es immer wieder
Andreas Körner veröffentlicht in dieser UJ-Ausgabe seinen 150. »Zugesehen«-Filmtipp
Mathias Bäumel
Seinen allerersten Artikel veröffentlichte Andreas Körner Anfang 1984 zum Tod von Alexis Korner, der – welch ein pikantes Zufallstreffen – eigentlich Alexis Andrew Nicholas Körner (Koerner) hieß. Mittlerweile ist Andreas Körner einer der letzten Film-Fachjournalisten in der Region von einstmals sechs – auch für das Dresdner Universitätsjournal ist er seit Längerem regelmäßig tätig. In dieser UJ-Ausgabe erscheint sein 150. (!) Filmtipp unter der Rubrik »Zugesehen«; Körners erstes »Zugesehen« im UJ wurde am 17. April 2012 veröffentlicht.
Was steckt dahinter? »Etwa 610 neue Kinofilme kamen 2019 in Deutschland heraus, das sind seit Jahren schon viel zu viel.« Die Angebote von Netflix, Amazon und weiteren Online-Diensten sind da noch gar nicht eingerechnet. Mit seinen »Zugesehen«-Beiträgen will und soll Körner Orientierung in diesem Dschungel geben. »Gott sei Dank! Eine erste wichtige Vorauswahl nehmen die Kinobetreiber selbst vor, sie entscheiden, welche Filme in ihren Kinos laufen.« Aus denen filtert Körner seine Tipps. Ohne Arbeit und Mühe geht das nicht. Er selbst schätzt, dass er wöchentlich durchschnittlich zehn Filme sieht, ohne Sonderaktionen – wie im Falle einer Jury- Tätigkeit – mitzurechnen. »Den Text einfach so runterschreiben geht nicht«, betont er. »Wenn von einem Regisseur ein neuer Film rauskommt, muss man wenigstens auch den Vorgänger-Streifen nochmal anschauen, um sich das richtige Verständnis zu erarbeiten.« Trotz der großen Menge an Filmen: Andreas Körner legt Wert auf gründliches Arbeiten.
Jahrzehntelang gab es in den Kinos die wöchentlichen sogenannten Pressevorführungen für die ortsansässigen Filmjournalisten, damit deren Texte dann rechtzeitig zum donnerstäglichen Filmstart in den jeweiligen Medien – in Tageszeitungen, Monatsmagazinen und Online-Portalen – erscheinen können. Seit einiger Zeit läuft dieser Vorgang (nicht nur, aber überwiegend) dezentral über das Verschicken von Links an die Journalisten – das ist für die Verleiher und die Kinos deutlich preiswerter. Jedoch mit Konsequenzen: Ob man einen Film auf einer großen Leinwand mit fast perfektem Ton sieht oder auf einem PC-Bildschirm mit Plastik-Computerlautsprechern, ist ein entscheidender Unterschied. Denn es geht ja darum zu beurteilen, was ein guter Kinofilm ist und was nur Durchschnittsware. Das muss der Kritiker selbstverständlich erkennen können – danach auch für den Kinobesucher nachvollziehbar.
Denkt man an die Filmavantgardisten vom ersten Viertel des 20. Jahrhunderts wie Viking Eggeling, Hans Richter, Man Ray oder auch Walter Ruttmann, steht das Visuelle am Ausgangspunkt, versteht man Film als das Bewegen von Bildern. Die weitere Entwicklung des Genres hin zur Produktion möglichst populärer Streifen favorisiert immer mehr eine Filmauffassung, nach der Handlungen, Stories, bebildert und, historisch etwas später, vertont werden. Andreas Körner dazu: »Bei einem guten Film muss alles stimmen – die Story, die Kameraführung und die Bilder, der Sound und die Musik, die Sprache und natürlich die Schauspieler. « Jeder mediale Eingriff verändere den Film, einen Kinofilm per Computerdisplay zu schauen, gehe eigentlich nicht.
Leider komme man als Filmkritiker immer häufiger in genau diese Lage: über Kinofilme zu schreiben, die man lediglich auf einem PC »erleben« konnte ... Energisch formuliert Körner: »Film ist das Gesamtereignis aus allen Elementen! « Und: »Ich plädiere seit langer Zeit dafür, dass die Filme auch im Original mit Untertiteln – nicht synchronisiert – gezeigt werden!« Nur das sei authentisch. Deutschland gehöre zu jenen Ländern, in denen das Synchronisieren üblich sei. So stünde der Kinofilm-Kritiker häufig vor der Situation, dass er in 90 Prozent aller Fälle die neuen Filme vorab im Original, also untertitelt, sieht, dem Kinobesucher dann aber die synchronisierte Version vorgespielt würde. »Wie soll man dann dem Kinopublikum die möglicherweise faszinierende Ton-Dialog-Spezifik eines Films deutlich machen?«
Dabei sind die Dresdner ein dankbares und kundiges Filmpublikum, und Dresden eine wirkliche Kinostadt. »Mit 2,9 Kinobesuchen pro Einwohner und Jahr liegt Dresden deutlich besser als vergleichbare Städte wie Erfurt oder Hannover«, so Körner. »Hier in Dresden haben wir alles«, meint er. »Sowohl die großen Multiplexe als auch Programmkinos mit sogenannten Arthausfilmen und Spezialfilmprogramme wie beim Museumskino in den Technischen Sammlungen oder beim studentischen Kino im Kasten.«
Gerade bei der Versorgung mit Programmkinos, damit also mit künstlerisch anspruchsvolleren Kinofilmen, liegt Dresden gut. Die deutsche Filmförderanstalt (FFA) teilt auf Anfrage mit, dass Sachsens Landeshauptstadt hinsichtlich der Einwohner pro Programmkino-Leinwand 2019 bundesweit die zweite Stelle hinter Freiburg und vor beispielsweise Leipzig und Berlin einnimmt; Städte wie Frankfurt, Hamburg oder München schaffen es dabei nicht einmal in die Top Ten. In Zahlen: In Dresden steht eine Programmkino- Leinwand für 30 814 Einwohner zur Verfügung, im nur wenig kleineren Nürnberg reicht der FFA zufolge eine Programmkino- Leinwand zur Versorgung von anderthalbmal so vielen (47 684) Einwohnern.
Das Interesse an Filmkunst ist also deutschlandweit ungleich verteilt. Dass Dresden da eine gute Rolle spielt, lässt die Arbeit von Fachjournalisten wie Andreas Körner auf relativ fruchtbaren Boden fallen. Diese bereichernde Situation ist nicht nur dem Dauerengagement bestimmter Kinobetreiber, sondern auch der klugen Arbeit solcher Berufscineasten wie Körner zu verdanken.
Nach seinen persönlichen Lieblingsfilmen befragt, antwortet er, dass er auf solche Fragen nicht antworten will, denn was seine besten, wichtigsten und bemerkenswertesten Filme seien, schwanke immer wieder. Schließlich nennt er doch ein paar Titel: Zu seinen persönlichen filmgeschichtlichen Top-Movies zählt er alles von Buster Keaton, »Citizen Kane« von Orson Welles und »Spiel mir das Lied vom Tod« (Sergio Leone), aus dem Kreis der letzten Jahr(zehnte) nennt er »Spur der Steine« von Frank Beyer, »Der Mann der Friseuse« (Patrice Leconte) und »Inception« von Christopher Nolan. Inwieweit diese Aufzählung Bestand hat angesichts zehn neuer Filme pro Woche, sei dahingestellt; Neues zu entdecken gibt es immer wieder.
Unser »Zugesehen«-Autor Andreas Körner
Jahrgang 1962, seit 1986 festangestellter Kulturredakteur beim Sächsischen Tageblatt, ab 1990 Popmusik- und Filmredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten, ab 1994 freier Musik- und Filmkritiker für DNN, SAX, SZ, von 1996 bis 1998 Redakteur der 14-täglichen, zweistündigen Rock-Nachtsendung bei Radio Energy Dresden, von 1996 bis 2012 verantwortlich für die wöchentlichen fünf Filmseiten des Veranstaltungsmagazins PluSZ, Jury-Mitglied beim Filmfest Dresden, Filmkritiker für Sächsische Zeitung, Player Leipzig, Dresdner Universitätsjournal. Parallel dazu Veröffentlichung essayistischer Texte und Beiträge für Veranstaltungskataloge, Gestaltung von Workshops (für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, u. a. Schulkino Dresden), Vorträge (TU Dresden, Urania) und Moderationen. Körner schreibt regelmäßig die Texte für Pressehefte und damit auch für DVD-Booklets. 2005 gründete er seine Videoproduktionsfirma Mehr- Korn Filme, mit der er einige Kurzfilme veröffentlichte.
Seit 2011 ist er verantwortlich für Konzeption und Moderation seiner thematischen Gesprächsreihe »Körners Corner – reden über Film« im Programmkino Ost – bis Ende Januar 2021 gab es 81 dieser Veranstaltungen. Seit 2017 ist Körner in die Kinoprogrammpreisjury der Mitteldeutschen Medienförderung berufen.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 03/2021 vom 16. Februar 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.