Jun 29, 2021
Sachsen soll Modellregion für Bau-Kreislaufwirtschaft werden
Nexus-Konferenz: TUD-Partner UNU-FLORES schlägt »Haus aus Abfall« für Dresden vor
Heiko Weckbrodt
In Sachsen soll eine interdisziplinäre organisierte Modellregion für eine neue, umweltfreundlichere Bau-Kreislaufwirtschaft der Zukunft entstehen. Dafür haben sich Wissenschaftler der TU Dresden und weiterer Forschungseinrichtungen während der virtuellen Fachtagung »Zirkuläre Wertschöpfung im Baubestand« ausgesprochen. Als Leitprojekt solch einer Modellregion könnte dabei in Dresden ein »Haus aus Abfall« entstehen. Das hat Prof. Reimund Bleischwitz vom »United Nations University – Institute for Integrated Management of Material Fluxes and of Resources « (UNU-FLORES) vorgeschlagen - UNU-FLORES hatte diese internationale »Dresden Nexus Conference« ausgerichtet.
Zustimmung erntete Bleischwitz mit seinen Vorstößen unter anderem bei Prof. Jürgen Stamm von der TU Dresden. »Ich sehe hier viel Potenzial für eine zirkuläre Wertschöpfung«, schätzte der Dekan der Fakultät Bauingenieurwesen ein. »Wir benötigen weitere Pilotprojekte. « Dabei sei es indes wichtig, die Recycling-Industrie enger als bisher einzubinden, ergänzte Dr. Georg Schiller vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) Dresden.
Nicht alle haben Interesse an neuen Recyclingkonzepten
In vielen Betrieben der sächsischen Abfallwirtschaft wachse nämlich der Innovationsdruck Jahr für Jahr, berichtete Sebastian Karwatzki von Bauschutt- Verwerter »Nestler« in Dresden. Die Triebfedern dabei: Immer mehr Kommunen und andere Auftraggeber betten in ihren Ausschreibungen ökologische Ziele ein. Auch werden Sekundärrohstoffe angesichts stark steigender Baustoffpreise wieder interessanter. Nicht zuletzt verringert sich der verfügbare Verfüllraum für Bauschutt.
Gerade an diesen Punkten zeigt sich allerdings auch, wie unterschiedlich stark die Branchenbetriebe an Innovationen interessiert sind: »In Sachsen sind wir mit Sand und Kies reich gesegnet«, erklärte er. Daher sei der Leidensdruck durch steigende Rohstoffpreise für die Bauunternehmen hier nicht ganz so hoch wie anderswo. Und: Viele regionale Steinbruch-Betreiber, die Baurohstoffe liefern, seien zugleich Abnehmer von Bauabfällen, mit denen sich ihre Gruben prima verfüllen lassen. Karwatzki: »Bei diesen Unternehmen besteht dementsprechend wenig Interesse an neuen Recyclingkonzepten.«
Andererseits aber gibt es in Sachsen viele Forschungsprojekte und teils auch Pilotprojekte, die auf eine neue, stärker ökologisch orientierte Art des Bauens zielen. Einige Beispiele: Am Institut für Bauklimatik der TU Dresden arbeitet Prof. John Grunewald an neuen Konzepten für die regenerative Wärmeversorgung städtischer Gebäude. Karin Gruhler vom IÖR Dresden baut mit Kolleginnen und Kollegen ein regionales »Materialkataster« auf, das langfristig den Kreislaufgedanken beim Planen und Bauen stärken soll. Derweil untersucht Prof. Christina Dornack vom Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der TU Dresden, welche regionale Wertschöpfungschancen sich durch zirkuläres Bauen erschließen lassen. Und mit ihrem Vorschlag, in der Lausitz ein Bau- Großforschungszentrum »LAB – Lausitz Art of Building« einzurichten, hatten die TU Dresden, das UNU-FLORES und weitere Partner erst kürzlich deutschlandweit für Furore gesorgt.
LAB-Konsortialleiter ist Prof. Manfred Curbach. Der Leiter des TUD-Instituts für Massivbau steht auch für eine der bekanntesten sächsischen Bau-Innovationen: Er hat den leichten Carbonbeton miterfunden, dessen Einsatz den Ressourceneinsatz auf vielen Baustellen halbieren und die Kohlendioxid-Bilanz drastisch verbessern könnte. Inzwischen ist dieser neue Leichtbaustoff schon vielerorts im Testeinsatz: Arbeiter haben damit eine luftige Brücke für das Deutsche Museum in München gebaut, die Carolabrücke in Dresden verbreitert; wenige Kilometer weiter errichten sie gerade das weltweit erste komplette Carbonbetonhaus.
Carbonbeton rettet historische Bausubstanz
Zudem hilft der universitäre Carbonbeton auch, historische Bausubstanz zu retten. Im über 100 Jahre alten Beyer- Bau der TU Dresden beispielsweise wollten die Sanierer ursprünglich 40 Prozent der originalen Zwischendecken durch neuen Stahlbeton ersetzen, erzählt Professor Curbach. Mit einer zentimeterdünnen Verstärkung aus Carbonbeton sei es dann aber gelungen, alle Decken zu erhalten. Mit Blick auf den enormen und stetig wachsenden Ressourcenverbrauch der weltweiten Bauwirtschaft forderte der Experte: »Vorhandene Bauwerke sollten wir so lange wie möglich erhalten und neue Bauwerke so sparsam wie möglich errichten.«
Laut Schätzungen der »Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« (OECD) verbraucht die globale Bauwirtschaft jedes Jahr rund 80 Milliarden Tonnen Materialien – seien es nun Sand, Kalk, Holz, Stahl oder ganz andere Stoffe. Bis 2060 wird sich laut OECD dieser weltweite Bedarf mehr als verdoppeln, auf dann 167 Gigatonnen Baustoffe. Die jüngsten Preissprünge für Baumaterialien auf den Weltmärkten, ausgelöst durch die nach Corona wieder anspringende Konjunktur in China und anderswo, geben bereits einen kleinen Vorgeschmack auf den Ressourcenkampf, der daraus noch erwachsen könnte.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 12/2021 vom 29. Juni 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.