Bund, Länder und Kommunen haben gemeinsam versagt
TUD-Experten befragt: Prof. Dominik Steiger zur Legitimität der Fahrverbotsklagen der DUH
Seit einer ganzen Reihe von Monaten erstreitet die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit ihren Klagen innerstädtische Fahrverbote für Diesel-Kfz. Die Folgen sind umstritten: Noch vor ein paar Jahren wurde der Diesel gelobt, weil er durch seine günstigere CO2-Bilanz den Treibhauseffekt weit weniger fördert als beispielsweise Benziner, jetzt wird er mit der Absicht, die Gesundheit Einzelner – die der Anrainer – zu schützen, zurückgedrängt. Dabei haben in Hamburg erste Analysen der »Welt« und dem Nachrichtenportal »Heise Online« zu-folge erbracht, dass die Schadstoffbelastung der Luft nach der Einrichtung der Sperrzonen angestiegen ist. Dass diese Klagen und deren Urteile juristisch dennoch richtig sind und wie es sich mit deren rechtlichen Grundlagen verhält, erfragte das Universitätsjournal bei Prof. Dominik Steiger, Professor für Völkerrecht, Europarecht und Öffentliches Recht der TU Dresden.
UJ: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ist ein Verein, der sich satzungsgemäß vor allem für Natur- und Umweltschutz engagiert. Welche rechtlichen und sachlich-inhaltlichen Voraussetzungen muss die DUH erfüllen, damit sie die Klagebefugnis erhält?
Prof. Dominik Steiger: Erlauben Sie mir, dass ich als erstes etwas zum Rechtsschutz in Deutschland sage: Aus der Gewaltenteilung folgt zunächst einmal, dass jemand nur seine eigenen Rechte, die sogenannten subjektiven Rechte einklagen darf. Die Gerichte dienen damit nicht der objektiven Rechtskontrolle, sondern dem Schutz der individuellen Selbstbestimmung des Einzelnen. Dieses Verständnis wurde durch die Einführung des Verbandsklagerechts schon in den 1970er-Jahren aufgeweicht. Die Länder durften anerkannten Naturschutzverbänden eine Klagemöglichkeit gegen Entscheidungen, die gegen Reglungen der Landschaftspflege und des Naturschutzes verstoßen, ermöglichen. 1979 machte Bremen als erstes Land davon Gebrauch. Seit 2002 findet sich die naturschutzrechtliche Verbands-klage auch auf Bundesebene. Bei dieser sog. altruistischen Verbandsklage handelt es sich um eine Ausnahme von der Notwendigkeit des Vorliegens eines subjektiven Rechts. Die Verbandsklage stellt also ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren dar: Ohne subjektive Rechtsverletzung darf ein Verband die Gerichte anrufen, damit diese überprüfen, ob in einem bestimmten Fall Recht eingehalten wurde. Diese Entwicklung weg vom subjektiven Recht wurde u.a. als »gravierender Sündenfall« und »Fremdkörper« im deutschen Rechtsschutzsystem bezeichnet. Der Gesetzgeber hat sich von dieser Kritik aber nicht davon abhalten lassen, diesen Weg weiter zu gehen. So kommen u.a. den Industrie- und Handelskammern und Verbraucherschutzverbänden Verband-klagerechte zu, nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz auch Umweltverbänden. Letztlich sprechen auch gute Gründe für eine solche Ausweitung des Klagerechts. So korrespondiert sie im Umweltbereich mit einer Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung, eine wesentliche Errungenschaft, um die Bürgerfreundlichkeit staatlichen Handelns durch Partizipation zu sichern. Außerdem sind gerade in Sachverhalten mit Bezug zum Europarecht der nationalen Gesetzgeber ebenso wie die nationalen Behörden manchmal doch sehr zurückhaltend, wenn es um die Implementierung verbindlichen europäischen Rechts geht. Hier bedarf es leider häufig des Drucks durch die Gerichte, um das Recht zu wahren. Da Gerichte aber nicht selbständig tätig werden dürfen und Bürger nicht immer klagen, hat der Gesetzgeber eben bestimmten Verbänden erlaubt, die Gerichte anzurufen. Dabei ist ganz wichtig zu betonen, dass selbstverständlich die Gerichte, nicht die Verbände, die Klage entscheiden und die Gerichte alleine im Rahmen des demokratisch zustande gekommenen Rechts handeln. Verbandsklagerechte erlauben also die Wahrung und Herrschaft des Rechts und sichern damit das Fundament unserer nationalen wie auch europäischen Gemeinschaft. So werden die Gerichte – mittels der Verbände – zu Hütern des Gemeinwohls und damit kollektiver Selbstbestimmung, obgleich die primäre Aufgabe der Gerichte der Schutz individueller Selbstbestimmung ist.
Wer darf also nun klagen? Die jeweiligen Gesetze sehen genaue Regelungen dazu vor, für die hier interessierenden Klagen dürfen anerkannte Umweltverbände klagen. Laut § 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist vom Umweltbundesamt zwingendermaßen eine Anerkennung zu erteilen, wenn die Vereinigung nach ihrer Satzung ideell und nicht nur vorübergehend vorwiegend die Ziele des Umweltschutzes fördert, im Zeitpunkt der Anerkennung mindestens drei Jahre besteht und in diesem Zeitraum auch tatsächlich Ziele des Umweltschutzes gefördert hat. Außerdem muss sie die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung, insbesondere für eine sachgerechte Beteiligung an behördlichen Entscheidungsverfahren, bieten. Um dies festzustellen, müssen Art und Umfang der bisherigen Tätigkeit des Verbandes, der Mitgliederkreis sowie die Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden. Weiterhin müssen gemeinnützige Zwecke verfolgt werden und jeder Person, die die Ziele der Vereinigung unterstützt, muss der Eintritt als Mitglied ermöglicht werden.
Der Gesetzgeber legt also fest, in welchen gesellschaftlichen Bereichen Verbandsklagerechte bestehen sollen, oder? Im Fall der DUH hat das Umweltbundesamt als eine Bundesoberbehörde dann nach Recht und Gesetz entschieden, dass die DUH dieses Klagerecht erhält?
Genau, so lässt sich das gut zusammenfassen.
Hier sind wir an der Stelle, wo juristische mit inhaltlichen Bewertungen verknüpft sind. Einerseits geht es ja bei den gegenwärtigen Fahrverbotsklagen der DUH um die Durchsetzung von in der EU geltenden Grenzwerten mit dem Ziel, die Gesundheitsbedingungen von Menschen zu verbessern, andererseits hätten die durch die DUH-Klagen bewirkten Fahrverbote ein Zurückdrängen des Dieselantriebs und damit der hinsichtlich des Treibhauseffektes deutlich besseren Technologie zur Folge. Erinnern wir uns: Noch vor ein paar Jahren wurde der Diesel gelobt, weil er durch seine günstigere CO2-Bilanz den Treibhauseffekt weit weniger fördert als beispielsweise Benziner. Ein Aspekt, der gerade im Kontext der jüngsten UN-Klimakonferenz in Kattowitz aktueller denn je ist. – Wer also prüft nach welchen von wem festgelegten Kriterien, ob das Tun der DUH überhaupt eine »Förderung der Ziele des Umweltschutzes« darstellt? Erste Analysen in Hamburg haben der »Welt« und dem Nachrichtenportal »Heise Online« zufolge erbracht, dass die Schadstoffbelastung der Luft nach der Einrichtung der Sperrzonen deutlich angestiegen ist.
In Ihrer Frage kommt sehr gut das Spannungsverhältnis von individuellem und kollektivem Interesse zum Ausdruck. Die Fahrverbote sind nach Ansicht der Gerichte zwingend not-wendig, weil nur so kurzfristig an den neuralgischen Straßen die Werte sinken. Dies ist aufgrund der bestehenden Rechtslage zwingend notwendig, weil es um die dort lebenden individuell betroffenen Menschen und den Schutz ihrer Gesundheit geht. Für diese Menschen ist es erstmal nicht relevant, wie hoch der Ausstoß von Schadstoffen insgesamt ist, sondern wie hoch sie selbst in ihrem Lebensmittelpunkt belastet sind. Kollektiv betrachtet erscheint diese Lösung nicht optimal zu sein, da es zu Umwegen kommen wird, die die Schadstoffbelastung insgesamt erhöht und weil viele Menschen von den Fahrverboten betroffen sind, die darauf vertraut haben, dass die Politik bessere Wege findet, die europarechtlich vorgesehenen Kriterien einzuhalten.
Und um Ihre Frage konkret zu beantworten: Wie gesagt, das Umweltbundesamt prüft nach den vom Gesetzgeber festgelegten Kriterien, ob ein Verein den Umweltschutz fördert. Dabei geht es auch nicht darum, ob eine bestimmte Maßnahme umweltschutztechnisch umstritten ist, sondern ob der Verein insgesamt dieses Ziel verfolgt. Aus dem Umstand, dass manche Kritiker von Fahrverboten diese für umweltschädlicher als Nichtstun halten, lässt sich also in keinem Fall ableiten, dass die DHU nicht den Umweltschutz fördert.
Sind die Gerichte juristisch verpflichtet, Fragen der Verhältnismäßigkeit zu berück-sichtigen? Ist es verhältnismäßig, wenn durch die Fahrverbote gerade die »Kleinen«, also klein- und mittelständische Betriebe, aber auch Familien aus den Vorstädten und dem Umland der Großstädte, die in die City zum Einkaufen oder für kulturelle Zwecke fahren wollen, benachteiligt werden?
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein wesentlicher Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips und findet immer Anwendung. Jeder staatliche Eingriff muss verhältnismäßig sein. Fahrverbote sind grundsätzlich als letztes Mittel anzusehen und müssen selbstverständlich stets den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren. Aber der Begriff zeigt schon, dass wir Bezugspunkte brauchen: Auf der einen Seite steht das Recht auf Leben und Gesundheit, auf der anderen Seite muss man für die betroffenen Einzelnen genau hinschauen. Für alle gilt das Recht auf Freizügigkeit und für manche das Recht auf Eigentum und eventuell das Recht auf Berufsfreiheit. Wenn man nun auf manchen Straßen nicht mit seinem Eigentum fahren darf, schränkt das zwar die Freiheit ein, aber einen Umweg in Kauf nehmen zu müssen, wiegt nicht sonderlich schwer und muss daher zurücktreten. Außerdem haben die Gerichte ja sehr wohl die Möglichkeit für Ausnahmen, etwa für den Lieferverkehr, vorgesehen.
Die Debatte um die Verhältnismäßigkeit verstellt den Blick auf die wahren Probleme: Die Kommunen sind jahrelang ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, Luftreinehaltepläne aufzustellen. Schon die Aufstellung der Luftreinhaltepläne musste vielfach durch die Gerichte erzwungen werden. Bund, Länder und Kommunen haben gemeinsam versagt, darauf hinzuarbeiten, die Werte, denen die Bundesrepublik selbst zugestimmt hat, einhalten zu können. Das ist eines Rechtsstaats, der die Gesundheit seiner Bürger schützen muss und für den der Umweltschutz Staatszielbestimmung ist, nicht würdig. Auf politischer Ebene wurden – auch wegen der offensichtlich nicht unbegründeten Angst vor den überzogenen Reaktionen auf Einschränkungen der Mobilität aus dem Volk – Lösungen nicht ausreichend gesucht und daher auch nicht gefunden. Jetzt haben die Gerichte den schwarzen Peter zugeschoben bekommen und da sie nur sehr beschränkte Mittel zur Verfügung haben, kommt es zu Fahrverboten. Diese mögen politisch unklug sein, sind aber zwingende Folge der bestehenden rechtlichen Regelungen. Hier ist die Politik aufgefordert, andere Wege – und zwar möglichst schnell – zu finden, um die Grenzwerte einzuhalten, die Gesundheit der Anwohner zu schützen und Fahrverbote zu vermeiden. Und wir als Bürger sind aufgefordert, auch Einschränkungen unserer Mobilität zum Zweck des Schutzes unserer Gesundheit und unserer Umwelt hinzunehmen, so schwer uns das auch fallen mag. Und damit es in Deutschland nicht zu ähnlichen Reaktionen wie in Frankreich kommt, wäre die Politik meines Erachtens gut beraten, die ökologische Frage gemeinsam mit der sozialen Fragen zu betrachten und hier Ungerechtigkeiten, etwa bei der im Vergleich zu niedrigen Besteuerung von Kerosin, zu beheben.
Die konkreten Formulierungen der DUH-Klagen sind der Öffentlichkeit wohl eher nicht geläufig. Könnten im Zuge solcher Klagen nicht auch Urteile gefällt werden, die die Kommunen verpflichten, auf den Flächen deutlich mehr Grün anstelle von Betongebäuden anzulegen?
Welche konkreten Maßnahmen zur Luftreinhaltung geeignet sind, schreibt das Gesetz nicht vor. Es müssen aber geeignete und effektive Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte ergriffen werden. Mehr Grünflächen sind mittel- und langfristig eines von mehreren denkbaren Mitteln, können aber nicht unmittelbar die Schadstoffe senken. Auch andere von Planungsbehörden in Betracht gezogenen Maßnahmen wie Geschwindigkeitsbeschränkungen, Verkehrsverbote nach Kennzeichen, City-Maut, Nahverkehrsabgabe und sog. »Nachrüstlösung« sind von ihrem Wirkungsgrad nicht gleichwertig. Deshalb sprechen wir Juristen von einer sogenannten »Ermessenreduzierung auf Null«: es gibt nur eine richtige Maßnahme, selbst wenn diese nicht im Gesetz steht. Und die darf – und muss – dann auch das Gericht anordnen.
Die Fragen stellte Mathias Bäumel
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 02/2019 vom 29. Januar 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.