05.02.2025
Dresden und der 13. Februar: Interview und Essay
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Dr. Johannes Schütz und Prof. Dr. Mike Schmeitzner
Interview zum "Forum 13. Februar transnational"
mit Dr. Johannes Schütz (wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Neuere und Neueste Geschichte, TU Dresden)
1. Das interaktive "Forum 13. Februar transnational" vom 10. bis 12. Februar 2025 beschäftigt sich mit der transnationalen Perspektive auf den 13. Februar 1945. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, den 13. Februar aus einer internationalen Perspektive zu betrachten?
Der Luftangriff auf Dresden war von Beginn ein internationales Thema. Dresden war bereits für seine Architektur, Musik, Kunst etc. bekannt und zog in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele internationale Gäste an. Gerade deshalb nutzte die nationalsozialistische Propaganda ihre Kontakte zu ausländischer Presse, um ihre Deutungen und Übertreibungen zu streuen, aber auch Anklagen und Schuldzuweisungen zu ventilieren. Darauf reagierten vielzählige internationale Akteure und es deshalb gibt es zahlreiche, sehr unterschiedliche internationale Erzählungen von Dresden. Diese Erzählungen, Deutungen und Positionen können der städtischen Erinnerungskultur neue Perspektiven eröffnen, weil sie die lokale Isolation der Erinnerung aufbrechen und zugleich unterstreichen, die Deutung des 13. Februars funktionierte von Beginn in einem internationalen Austausch.
2. Angesichts der politischen Lage in Sachsen, insbesondere des zunehmenden Rechtsrucks, wird der 13. Februar häufig politisch instrumentalisiert. Können Sie erläutern, wie diese Instrumentalisierung erfolgt und wie das Forum dazu beitragen möchte, einen Ausgleich zu schaffen und extremen Positionen entgegenzuwirken?
Die politische Instrumentalisierung selbst geht bis ins Jahr 1945 zurück und diente den Nationalsozialisten dazu, moralische Überlegenheit zu erlangen, einen Opferstatus zu behaupten und die eigene Bevölkerung für die eigenen Kriegsziele weiter zu mobilisieren. Manche dieser Erzählmotive wurden in der DDR übernommen. Sie dienten nun aber dazu, die westlichen Alliierten als Prototypen der „kriegstreibenden Imperialisten“ zu zeichnen und sich selbst als „Friedensmacht“ zu inszenieren. Die Instrumentalisierung ist daher nicht vom Gedenken zu trennen, bisher. Seit 1990 dient der 13. Februar vor allem der extremen Rechten in Deutschland, aber auch in ganz Europa, um eigene Geschichtsdeutungen zu thematisieren, sich vor einer mit Symbolen überladenen Bühne zu inszenieren und dabei eigene Wirksamkeit herzustellen. Das Forum thematisiert diese Mechanismen der Inszenierung, die durchaus auch transnationalen Verflechtungen der Akteure, und leuchtet sie historisch aus.
3. Welche Themen oder Perspektiven sollen im Forum besonders im Mittelpunkt stehen und warum sind sie gerade jetzt relevant?
Im Mittelpunkt wird stehen, dass die Erinnerung in Dresden nie frei war von den politischen Deutungen, sondern diese immer auf das Erinnern der Bewohner:innen einwirkten. Dabei spielen bei der Veranstaltung auch die Rückkopplungen mit internationalen Akteuren eine wichtige Rolle. Insbesondere die Erinnerungen von Menschen, die als Verfolgte, Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter:innen den Luftangriff miterlebten, wird ebenfalls thematisiert, da sie einen weiteren Fokus auf die Erinnerungsnarrative öffnen. Es wird also zentral um die Erinnerungen in verschiedenen nationalen Kontexten und die Verbindungen dieser Erinnerungsformen gehen.
4. Das Forum bringt Menschen aus verschiedenen Bereichen wie Kunst, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in diesem interdisziplinären Ansatz?
Die Chance besteht ganz klar darin, dass blinde Flecken einer Disziplin durch die Herangehensweisen der anderen angesprochen und benannt werden können. Die Herausforderung ist vor allem, die unterschiedlichen Zugänge für alle verständlich zu vermitteln und eine gemeinsame Sprache zu finden – das gemeinsame Interesse am interdisziplinären Austausch ist dafür die Grundlage.
5. Welche langfristigen Impulse erhoffen Sie sich durch das Forum für die Erinnerungskultur in Sachsen und darüber hinaus?
Ein weiterer Schritt wäre getan, wenn bei zukünftigen Debatten zu diesem und anderen Themen mitdiskutiert würde, dass Erinnerung eben kein isolierter Vorgang ist, der lokal stattfindet, sondern bei entsprechender Weitung internationale Ausmaße haben kann. Indem die internationale Dimension und der transnationale Austausch untersucht wird, lassen sich Rückzüge in den national Diskursraum sicherlich erschweren und damit auch eine gemeinsame, europäische Erinnerungserzählung finden.
Dresden und der 13. Februar 1945. Ereignis – Mythos – Reflexion
von Prof. Dr. Mike Schmeitzner (Stellvertretender Direktor des Hannah-Arendt-Instituts
für Totalitarismusforschung e. V. an der TU Dresden)
Hin und wieder scheint es immer noch so, als sei Dresden die einzige deutsche Stadt gewesen, die das Schicksal schwerer Zerstörung erlitt. Bis zu 25.000 Menschen wurden bei Tag- und Nachtangriffen von britischen und amerikanischen Bomberflotten zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 getötet, die prachtvollen Bauten des historischen Stadtkerns fast völlig zerstört. Zuletzt hat der bekannte und in Dresden geborene Schriftsteller Durs Grünbein in seinem Buch „Der Komet“ das Inferno beschrieben. Doch ähnelte das Schicksal Dresdens dem anderer deutscher Städte: Frankfurt am Main, Köln, Hamburg, München, Nürnberg, Stuttgart oder Berlin wurden ebenfalls schwer getroffen und auch dort Tausende Menschen getötet. Warum wird in Dresden dann anders an dieses Ereignis erinnert als in anderen Städten? Warum konkurrieren ausgerechnet hier rechtsextreme Gruppen und die Zivilgesellschaft Jahr für Jahr und weithin sichtbar um die Deutung des Ereignisses?
Gewiss gehörte Dresden mit zu den letzten zerstörten Städten des Deutschen Reiches und gewiss vernichteten die Angriffe weltbekannte Gebäude wie den Zwinger, die Frauenkirche oder das Schloss. Der durch die Bomben entfaltete Feuersturm erreichte hier auf engem Raum eine maximale Wirkung. Doch entscheidend für die Deutungen danach waren ganz andere Umstände: Kurz nach den verheerenden Angriffen initiierte Reichspropagandaminister Goebbels höchstselbst eine mediale Offensive gegen Briten und Amerikaner, die mit ihren Angriffen eine bedeutende Kulturstadt – mithin eine „unschuldige Stadt“ – ausgelöscht hätten. Die Opferzahl wurde verzehnfacht. Diese Offensive war aufgrund der Berichterstattung im neutralen Ausland durchaus erfolgreich. Und an diese Erzählung knüpften die neuen Machthaber nach dem 8. Mai 1945 fast umstandslos an. Im „Kalten Krieg“ waren Briten und Amerikaner erneut Gegner und die Dresdner Erzählung eine wichtige legitimatorische Ressource.
Nach der Friedlichen Revolution 1989/90 wurde diese Erzählung immer häufiger in Frage gestellt. Die Fortschreibung des Opfernarrativs kollidierte mit der Annäherung und Aussöhnung der einstigen Kriegsgegner. Und immer öfter wurde nun auch in Dresden daran erinnert, dass die Stadt nicht nur eine einzigartige Kulturstadt war, die im Bombenhagel unterging. Das Schicksal Dresdens war vielmehr auch mit dem 8./9. März 1933 und dem 8. Mai 1945 verflochten. Denn Dresden war keineswegs die mythisierte „unschuldige“ Stadt, sondern Verwaltungszentrum des NS-Gaus Sachsen, Operationsbasis wichtiger Repressionsorgane (die den Völkermord an den Juden in Dresden Gang gesetzt haben), eine Drehscheibe für Judentransporte quer durch Deutschland und Mitteleuropa, Sitz von Rüstungsunternehmen und Militärstrukturen. Zudem war Dresden Anfang 1945 ein Verkehrsknotenpunkt für Truppentransporte an die Ostfront. Und Dresden hatte spätestens mit der „Gleichschaltung“ des Geistes im Frühjahr 1933 aufgehört, Hort und Motor der kulturellen Moderne zu ein. Zwei zentrale Bücherverbrennungen in der Stadt, am 8. März als Startschuss der NS-Machteroberung in Dresden und eine zweite akademische am 10. Mai 1933, verdeutlichten, dass es für eine moderne, pluralistisch geformte Kultur – ja überhaupt für Pluralismus – keinen Platz mehr gab. Und man sollte nicht vergessen, dass lange vor 1933 völkische Strömungen in Dresden reüssierten; die Moderne war gerade hier janusköpfig, man denke nur an die sog. Rassenhygiene; einen Lehrstuhl für diese menschenfeindliche Disziplin gab es an der TH Dresden bereits ab 1920. Die Saat für das, was am 8./9. März 1933 in Dresden politisch aufging und am 8. Mai 1945 endete, war auch in dieser Stadt lange vorher gelegt worden.
Das heißt jedoch nicht, dass ein neues Narrativ, nämlich dass der Folgerichtigkeit des 13./14. und 15. Februar begründet werden sollte; zumal von den Angriffen unterschiedslos Zivilisten und Militärs, Nazi-Täter und politische Gegner und Häftlinge, Helfer und Akteure des „Dritten Reiches“ genauso wie Zwangsarbeiter und Juden betroffen waren, von Kindern ganz abgesehen. Was deutlich gemacht werden soll, ist der Zusammenhang, der zwischen dem 8./9. März 1933 einerseits und den Zäsuren vom 13./14./15. Februar und 8. Mai 1945 andererseits besteht. Dass es Juden wie Victor Klemperer aufgrund des Angriffs gelang, sich der drohenden Deportation zu entziehen, verdeutlicht diesen Kontext. Sein 1946 geschriebener und 1947 veröffentlichter Band „LTI“ hat den Geist und die Sprache des „Dritten Reiches“ entlarvt, seine Aktualität bis auf den heutigen Tag nicht eingebüßt. Dies wiederum hat mit den immer noch virulenten rechtsextremen Mythen und Aufmärschen zu tun, derer sich die Dresdner Zivilgesellschaft jährlich mit Menschenketten zu erwehren versucht. Grünbeins dokumentarischer Roman, der bis in die 1930er Jahre zurückreicht, dekonstruiert den Mythos vor allem alltagsgeschichtlich. Das vermag noch viel umfassender der Band „Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945. Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen“, der endlich auch in digitaler Form (https://hait.tu-dresden.de/ext/publikationen/publikation-14404/) verfügbar ist.