29.10.2024
Interview mit Prof. Christian Leßmann: Ehrenamtliches Engagement als Baustein einer funktionierenden Demokratie
In diesem Jahr beschäftigt sich die TUD und insbesondere das Dezernat Universitätskultur mit den Themen Demokratie und Freiheit. Eine stärkende Säule der demokratischen Gesellschaft ist das Ehrenamt, das in manchen Bereichen nicht mehr wegzudenken ist.
Christian Leßmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der TUD und wirkt in verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen. Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit ist er jedoch auch ehrenamtlich aktiv. Heute spricht culTUre mit ihm über seine Tätigkeit bei den „Leselernhelfern“.
Beschreiben Sie Ihr Ehrenamt. Was genau machen Sie dabei? Was sind die „Leselernhelfer“?
Die „Leselernhelfer“ der Kindervereinigung Dresden e.V. bieten ein 1:1-Mentoring für Kinder an. Das Besondere an dem Programm ist, dass die Mentor:innen sehr individuell auf die Bedürfnisse und jeweilige Tagesform der Kinder eingehen können, anders als etwa bei Maßnahmen zur Leseförderung in Gruppen. Unser Projekt bietet eine Plattform für Schulen und potentielle Ehrenamtliche und stellt einen passenden Match her. Die wöchentliche Lesestunde findet dann in den Schulen bzw. im Hort statt, sodass die Hürde zur Teilnahme für die Kinder minimal ist. Ich bin Mitinitiator und Schirmherr der Initiative und kümmere mich aktiv um die Öffentlichkeitsarbeit und Spenden. Die eigentliche Vermittlungs- und Koordinationsarbeit macht die Kindervereinigung.
Welche Erfolge und Herausforderungen gab und gibt es in diesem Projekt?
Erfreulich ist, dass die Resonanz seitens der Schulen sehr groß ist und keine Berührungsängste vorhanden sind. Das ist einerseits ein Erfolg der Initiative, zeigt allerdings auch, welch großer Bedarf dort herrscht. Die größte Herausforderung ist nun, viele engagierte Lesepat:innen zu finden und zu vermitteln. Wir haben bereits rund 20 ehrenamtliche Pat:innen an zehn Dresdner Schulen im Einsatz, obwohl wir erst zum aktuellen Schuljahr gestartet sind. Aber damit können wir noch lange nicht die Anfragen der Schulen abdecken. Wer also selbst Lust hat oder jemanden kennt, für den das etwas sein kann: Man kann sich ganz einfach auf der Website der Kindervereinigung als Interessent:in online registrieren.
Gibt es eine Verbindung zu Ihrer Arbeit an der TUD und Ihrem Einsatz bei den „Leselernhelfern“?
Eigentlich nicht. Als Ökonom weiß ich jedoch, dass Bildung eine zentrale Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung ist – sie formiert das Wissenskapital der Nationen. Auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene ist das eine zentrale Voraussetzung für technischen Fortschritt und auf individueller Ebene ist Bildung natürlich eine ganz wichtige Voraussetzung für einen guten Job und gesellschaftliche Teilhabe. Leider ist die Bildungsungleichheit in Deutschland ausgesprochen hoch. Ich würde mir wünschen, dass der Staat hier deutliche Fortschritte machte, aber meine Befürchtung ist, dass wir hier ohne ehrenamtliches Engagement nicht so weit kommen, wie wir müssten. Das ist einerseits frustrierend, da ich es für ein echtes Staatsversagen halte, andererseits aber eine große Motivationsquelle.
Warum ist Ehrenamt für Sie wichtig? Welchen Stellenwert hat Ehrenamt in Ihren Augen in unserer Gesellschaft und Demokratie?
Mir persönlich gibt es die Möglichkeit, tatsächlich etwas an die Gesellschaft zurückzugeben. In meinem Job sehe ich außerdem selten Erfolge oder vielleicht schaffe ich es nicht, diese so wahrzunehmen. Ein Beispiel aus meiner Disziplin, der Volkswirtschaftslehre: Ich habe gerade eine Studie sehr gut publiziert, an der ich mit Kolleg:innen seit rund sieben Jahren gearbeitet habe. Drei Jahre sind wir durch die Top-Journals getingelt und haben hier und da einfach Pech gehabt, bis es dann zum Erfolg kam. Das ist ein sehr zähes Geschäft und fordert die Frustrationstoleranz immer wieder heraus. Bei diesem ehrenamtlichen Projekt kann ich etwas sehr Konkretes machen und habe auch großen Einfluss auf das Ergebnis.
Das Ehrenamt hat einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Der Staat ist nicht allmächtig – auch wenn er dies gern suggeriert. Ohne das ehrenamtliche Engagement von immerhin rund 29 Millionen Menschen in Deutschland wären wir viel ärmer an Sicherheit, Kultur und Bildung. Vereine und Ehrenamt sind sicherlich ein wichtiger gesellschaftlicher Kitt, der Vertrauen zwischen Menschen schafft.
Wie motivieren Sie andere oder Ihr Umfeld für ehrenamtliche Aufgaben?
Eigentlich gar nicht. Es ist eine ganz individuelle Entscheidung, ob man ein Ehrenamt wahrnimmt. Ich bin aber wiederum gar nicht verlegen darum, bei passenden Personen um eine Spende für unsere Initiative zu bitten. Wer unser Projekt durch eigenes Engagement oder eine Spende unterstützen möchte, findet alle Daten auf der Website der Kindervereinigung.
- Erfahren Sie mehr über die "Leselernhelfer" auf der Homepage der Kindervereinigung Dresden e. V.: https://kindervereinigung-dresden.de/leselernhelfer/