17.04.2024
Interview mit Zhala Bayramova und Prof. Marcel Thum zur Inhaftierung Dr. Gubad Ibadoghlus: Angriff auf die wissenschaftliche Freiheit
Der aserbaidschanische Wissenschaftler Dr. Gubad Ibadoghlu sollte im Januar dieses Jahres über ein Stipendium der Philipp-Schwartz-Initiative seinen Gastaufenthalt an der TU Dresden antreten. Doch seit dem 24. Juli 2023 sitzt der anerkannte Wirtschaftswissenschaftler, der sich intensiv mit Korruption und den nachteiligen wirtschaftlichen Folgen autokratischer Herrschaft beschäftigt hat, wegen des angeblichen Besitzes von Falschgeld in Baku in Haft. Trotz des weltweiten Engagements von Menschenrechtsorganisationen sind die Aussichten auf seine Freilassung schlecht. Auch die TUD setzt sich für Dr. Ibadoghlus Rechte ein. In dem Zuge gab es am Montag, 15. April 2024, eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Menschenrechte, Wissenschaftsfreiheit und politische Realität zusammen mit Gubad Ibadoghlus Tochter, Zhala Bayramova und seinem Mentor an der TUD, Prof. Marcel Thum. CulTUre sprach mit beiden über die Umstände der Inhaftierung, die Auswirkungen auf die gesamte Familie und den Ruf als Dresden-Fellow an die TU Dresden.
Prof. Thum, Sie haben sich bereits vor 3 Jahren dafür eingesetzt, Dr. Gubad Ibadoghlu als Fellow an die TU Dresden zu holen. Was waren die ursprünglichen Gründe, weshalb er hier herkommen sollte?
Marcel Thum: Wir kennen uns seit Anfang 2021 – coronabedingt nur per Zoom. Wir hatten damals ein Forschungsprojekt zu Korruption in ressourcenreichen Staaten entwickelt. Die Korruptionsforschung ist ein gemeinsames Steckenpferd von uns. Er hat viel dazu gearbeitet, wie Gewinne aus Öl und Gas in den GUS-Ländern „privatisiert“ wurden und welche Folgen das für die Wirtschaftsentwicklung hatte. Ich hatte zu den theoretischen Grundlagen korrupter Bürokratien geforscht. Er ist dann erst mal für zwei Jahre an die London School of Economics gegangen. Ende 2023 wollten wir ihn dann als Dresden Senior Fellow und als Stipendiat der Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander-von-Humboldt-Stiftung nach Dresden holen.
Und dann wurde er kurz vor seiner Zeit in Dresden verhaftet. Wie sind denn die offiziellen Gründe für seine Inhaftierung einzuschätzen?
Marcel Thum: Da ich Aserbaidschan und die dortigen Verhältnisse nicht persönlich kenne, kann ich nur berichten, was ich von der Familie und NGOs gehört habe. Es ist schon auffällig, welche Gründe das Regime nennt und wie diese Gründe je nach Bedarf wieder wechseln. Angeblich hat man Falschgeld in seiner Wohnung gefunden, in der er seit Jahren nicht mehr gelebt hat. Das ist so ein typischer Vorwurf in autokratischen Ländern. Der Vorwurf hat den Vorteil, dass man die „Evidenz“ leicht selbst produzieren kann und dass man für solche Anschuldigungen die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung bekommt. Damit soll das Bild ausländischer Eliten gefördert werden, die das arme aserbaidschanische Volk ausbeuten wollen. Später kam dann der Vorwurf des religiösen Extremismus dazu – ein völlig abstruser Vorwurf, wenn man den nüchternen Ökonomen Gubad Ibadoghlu kennt. Angeblich wurden Schriften der Gülen-Bewegung bei ihm gefunden, die aber in den ursprünglichen Durchsuchungsprotokollen gar nicht auftauchen. Ich vermute, damit wollte man es Kolleg:innen aus der Türkei und anderen Ländern schwerer machen, Gubad zu unterstützen, weil sie damit im eigenen Land unter Beschuss gerieten.
Zhala Bayramova, Sie setzen sich seit letztem Sommer gemeinsam mit ihren Brüdern und vielen Engagierten und Kolleg:innen Ihres Vaters für seine Freilassung ein. Was tun Sie aktuell gegen die Inhaftierung Ihres Vaters?
Zhala Bayramova: Die Hauptanstrengung besteht darin, ihm eine angemessene medizinische Versorgung und einen Krankenhausaufenthalt zu ermöglichen. Uns liegt bereits ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor, in dem die aserbaidschanischen Behörden aufgefordert werden, diese beiden Dinge zu tun. Wir müssen jedoch genügend Druck auf sie ausüben, um diese Entscheidung umzusetzen. Um sie dazu zu bewegen, treffe ich mich mit Mitgliedern der staatlichen und europäischen Parlamente, Diplomat:innen und anderen Behörden. Ich versuche, sie dazu zu bringen, so viel Druck wie möglich auszuüben und sich mit aserbaidschanischen Behörden zu treffen, um den Fall meines Vaters zu besprechen. Die Haftanstalt erlaubt nicht einmal dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, ihn zu untersuchen, sodass es absolut keine unabhängige Aufsicht gibt. Er braucht dringend Hilfe. Er leidet an Diabetes, kann sich kaum bewegen und seine Nerven sind aufgrund hoher Blutzuckerspiegel geschädigt.
Ist dies ähnlich zu Ihrer "normalen" Arbeit? Welche Fälle bearbeiten Sie üblicherweise in Ihrer Arbeit als Menschenrechtsanwältin? Wie ändert sich die "Arbeit", wenn sie die eigene Familie angeht? Würden Sie hier von "Arbeit" sprechen?
Zhala Bayramova: Das ist meiner üblichen Arbeit als Anwältin nicht wirklich ähnlich, da ich mich hier wesentlich mehr für meine Interessen einsetze. Allerdings war ich auch schon aktivistisch tätig, sodass der Unterschied hauptsächlich in der Intensität der „Arbeit“ und dem nicht enden wollenden Sturm schlechter Nachrichten liegt. Als Menschenrechtsanwältin hat man vor allem mit Gerichten zu tun, angefangen bei der nationalen Ebene bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Obwohl dies auch hier der Fall war, sind andere Anwält:innen mit dem Fall befasst und führen die Kommunikation mit dem EGMR, während ich mich auf die Advocacy/Interessenvertretung konzentriere.
Bei meiner bisherigen Arbeit ging es hauptsächlich um LBTQIA+-Fälle in Aserbaidschan. Allerdings gibt es in Aserbaidschan nur sehr wenige Menschenrechtsanwält:innen. Ich habe auch Fälle bearbeitet, die die Versammlungsfreiheit, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, das Recht auf Privatleben und das Recht auf Eigentum betreffen, also insgesamt ein sehr breites Spektrum.
Dieser Einsatz ist emotional sehr belastend, da ich das Gefühl habe, für das Leben meines Vaters verantwortlich zu sein. Selbst ein kleiner Fehler kann zu seinem Tod führen. Damit zu leben ist sehr schwierig und bereitet mir ständig Angst und Sorge. Ich setze mich auch für andere politische Gefangene in Aserbaidschan ein. Ich schreibe Grundsatzdokumente und versuche, europäische Behörden auf sie aufmerksam zu machen. Einige der Gefangenen haben Familienmitglieder, die nicht aus Aserbaidschan fliehen können, weil sie keine anderen Sprachen sprechen oder weil sie kleine Kinder haben. Also ja, ich könnte dies „Arbeit“ nennen, aber sie ist vielleicht etwas schwieriger als früher.
Gerade arbeiten Sie von Aserbaidschan aus. Wie gut können Sie von dort aus Ihre Tätigkeit ausführen? Werden Sie irgendwie blockiert?
Zhala Bayramova: Nein, ich arbeite nicht von Aserbaidschan aus, da ich derzeit in Schweden lebe. Wenn ich in Aserbaidschan wäre, könnte ich meine Arbeit nicht ausführen, da ich bereits verhaftet worden wäre. Ich wurde bereits im Jahr 2020 von der Polizei verprügelt und gefoltert, als ich während der Parlamentswahlen im Februar Wahlbeobachterin war. Ich wurde auch von der Polizei sexuell belästigt, während die staatlichen Medien eine strafrechtliche Untersuchung gegen mich forderten, nicht aber gegen all die Leute, die mir diese Dinge angetan haben. Später nannte man mich eine Verräterin, weil ich mich während des zweiten Karabach-Krieges für Frieden eingesetzt hatte. Ich stand also definitiv auf der Beobachtungsliste der Regierung.
Bald nach der Verhaftung meines Vaters wurde gegen unsere restliche Familie in Aserbaidschan ein Reiseverbot verhängt. Dieses Verbot wurde erst aufgehoben, nachdem das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet hatte, in der die Freilassung meines Vaters gefordert wurde. Meine persönlichen Bilder aus unserem Familien-Chat auf dem konfiszierten Telefon meines Vaters wurden im Internet verbreitet und verschiedene staatliche und staatsfreundliche Medien in Aserbaidschan bezeichneten mich als armenische Verräterin und behaupteten, ich würde „homosexuelle Propaganda“ verbreiten, da einige der Fotos LGBT-Flaggen zeigten.
Obwohl ich mich zu dieser Zeit in Schweden aufhielt, fühlte ich mich auch hier nicht völlig sicher, da ich in Stockholm verfolgt wurde. Außerdem wurde das Zimmer meines Bruders Emin, der an der Rutgers-Universität in New Jersey studiert, von aserbaidschanischen Staatsbeamt:innen durchwühlt. Wir wissen, dass sie es waren, weil er in einem Wohnhaus mit anderen Studierenden lebt und nur sein Zimmer betroffen war. Sie stahlen Dokumente, die Emin im Zusammenhang mit meinem Vater bei sich hatte wie Kopien seines Passes und Kontoauszüge, während nichts anderes von Wert im Haus mitgenommen wurde. Mein Bruder steht derzeit unter dem Schutz des FBI, aber aufgrund all dieser Vorfälle kann sich keines unserer Familienmitglieder wirklich sicher fühlen.
Prof. Thum - als sein Mentor, inwiefern sehen Sie es als Ihre Aufgabe an, Gubad Ibadoghlu zu helfen und seine Inhaftierung in die breite Öffentlichkeit zu tragen?
Marcel Thum: Zunächst einmal natürlich, um ein klein wenig dazu beizutragen, damit wir Gubad, den ich sehr schätze, aus der lebensbedrohlichen Situation im aserbaidschanischen Gefängnis herauszubekommen. Dann geht es aber auch um einen grundsätzlichen akademischen Grund: Gubad hat mit seiner Forschung, die ökonomische Theorie mit empirischer Analyse und institutionellem Detailwissen zu verknüpfen, dazu beigetragen, dass wir viel besser verstehen, was in den GUS-Ländern schiefgelaufen ist. Einige wenige sind superreich geworden, aber es gab keine echte wirtschaftliche Entwicklung, von der die breite Bevölkerung auf Dauer profitieren konnte. Aber Gubad ist mit dieser Forschung – wie wir jetzt sehen – auch zur Zielscheibe der Autoritäten in diesen Ländern geworden. Wir brauchen jedoch diese fundierte Forschung mit hoher Politikrelevanz und wir müssen die unterstützen, die sie mutig betreiben.
Die Philipp Schwartz-Initiative
Mit dem Vollstipendium der Philipp Schwartz-Initiative (PSI) erhalten alljährlich Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland die Möglichkeit, in ihren Heimatländern gefährdete oder bereits geflüchtete Forscher:innen für 24 Monate aufzunehmen. Die Philipp Schwartz-Initiative wurde von der Alexander von Humboldt-Stiftung gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt ins Leben gerufen. Finanziert wird diese Initiative durch das Auswärtige Amt, die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die Andrew W. Mellon Foundation, die Fritz Thyssen Stiftung, die Gerda Henkel Stiftung, die Klaus Tschira Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, den Stifterverband sowie die Stiftung Mercator.
Informationen zum Förderprogramm: http://www.philipp-schwartz-initiative.de