Welchen Einfluss hat ein fester Seminarplan auf die Beteiligung von Studierenden?
Begeben sich Menschen in Situationen, in denen sie Neues lernen (können), erfolgt immer eine Erfolgsbewertung (Jugel, Steffens 2019: 96). Dabei geht es neben der Frage nach Sinn und Bedeutung immer auch darum, ob Lernenden durch das Thema Potenzial zu individueller Weiterentwicklung erkennen können (Besand, Hölzel, Jugel 2019: 104). Lernende stellen sich Fragen wie: „Warum soll ich hier mitmachen? Wozu dient das? Was habe ich davon? Worum geht es hier eigentlich? Gibt es etwas, was ich eigentlich lieber tun würde?“ (ebd.: 103). Auch wenn die Fragen zunächst banal erscheinen, die individuellen Antworten geben Aufschluss darüber, ob es für die Lernenden sinnvoll erscheint, das Seminar zu besuchen oder nicht. Mit Seminarplänen und guten Seminarbeschreibungen, geben Sie den Lernenden Orientierungshilfen durch Transparenz (ebd.: 104). So werden ihnen Möglichkeiten zur Mitbestimmung, für adaptives Handeln sowie Selbstwirksamkeit” aufgezeigt (ebd.: 92f). Fluktuationen während des Semesters sowie Frustration kann so, für alle Beteiligten, vermieden werden. Wirkungsvoll werden diese Orientierungshilfen vor allem dann, wenn Austausch mit den Lernenden zum geplanten Ablauf und den Themen zusätzlich ermöglicht wird. Es kann und sollte darüber gesprochen werden, warum die Themen bedeutsam sind, was die Ziele des Seminars sein sollen und welche Rahmenbedingungen existieren (ebd.: 104). Aber auch Erwartungen und Wünsche - von Lehrenden und Lernenden - können und sollten an dieser Stelle besprochen werden (ebd.: 102). Möglich ist auch, den Seminarplan gemeinsam mit den Studierenden zu entwickeln und zu gestalten. Hier bieten sich echte Mitbestimmungschancen und gute Selbstwirksamkeitserfahrungen. Seminarpläne, die weder besprochen, noch erklärt, noch eingehalten werden, führen zu Verunsicherung und Frustration.
Impulse, wie Sie Transparenz und Orientierung in Ihren Veranstaltungen schaffen können, finden sie im Fundus unter „Orientierung geben“.
Welche positiven Folgen hat es, wenn die Studierenden die Inhalte mitbestimmen können?
Ronja wählt im vorliegenden Fall Veranstaltungen nach deren Beteiligungsmöglichkeiten aus. Denn ihre Erfahrungen zeigen, dass sie dann besonders gut lernt. Ronjas Wahrnehmung lässt sich verallgemeinern: Mitbestimmung signalisiert den Lernenden die Möglichkeit, zur Ausgestaltung von Lehr-Lern-Angeboten (ebd.: 92f, 104f). So können sie anhand ihrer Ideen, Bedürfnisse und Interessen die inhaltliche und methodische Gestaltung der Veranstaltung mit beeinflussen. Mitbestimmung eröffnet außerdem vielfältige Perspektiven zum Thema und überindividuelle Erkenntnisräume, in denen Sinn und Bedeutung konstruiert werden können. Wird Lernenden transparent gemacht, was sie erwartet und dass sie Gestaltungsmöglichkeiten haben, fördert dies den Aufbau von Sinn und Motivation (Kracke 2021: 39) und wirkt sich demnach positiv auf die Erfolgsbewertung aus (Besand, Hölzel Jugel 2019: 104). Welche Bedeutung die gemeinsame Konstruktion von Sinn und Bedeutung hat, können Sie im Fall „Keine Praxisrelevanz“ nachlesen.
Weiterhin ermöglicht Mitbestimmung, dass Lernende in Lern- und Entwicklungsprozessen positive Selbstwirksamkeitserfahrungen machen (Deci, Ryan 1993: 236). Wenn Lernende “wahrnehmen, dass sie selbst wirksam werden” (Besand, Hölzel, Jugel 2019: 104) können, so wird das Angebot als “nachhaltig interessant und wertvoll” (ebd.) empfunden. Lehramtsstudierenden Mitbestimmung zu ermöglichen hat darüber hinaus auch positive Konsequenzen über das Studium hinaus. Erleben Lehramtsstudierende positive Momente, in denen ihnen Mitbestimmung im Lernprozess ermöglicht wird, können sie diese Erfahrungen in ihre spätere Berufstätigkeit mitnehmen. Besonders bedeutsam ist dies für die fachwissenschaftliche Ausbildung. Für Lehramtsstudierende stellen Dozierende oftmals Vorbilder dar, wenn es um die Vermittlung fachwissenschaftlicher Inhalte geht (Besand 2018: 157f). Erfahren sie in der fachwissenschaftlichen Ausbildung ebenfalls Mitbestimmungschancen, fällt es ihnen unter Umständen leichter, diese in ihren schulischen Alltag zu übertragen.
IN*GE hat zum dazu einen Text von Anja Besand eingelesen. Hören Sie im IN*GE liest vor Stück „Vom Zuwenig zum Zuviel“ mehr über das Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Zum Thema Mitbestimmung finden Sie im Fundus zum einen unter „Mitbestimmung ermöglichen“ Impulse zur Umsetzung. Zum anderen das IN*GE liest vor "Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation" von Edward Deci und Richard Ryan. Außerdem bietet der Fundus unter „Open Space“ eine Methode an, die Mitbestimmung im Seminar ermöglicht.
Warum bringt die “Mitbestimmung” der Studierenden keine dauerhafte Verbesserung der Teilnehmendenzahlen mit sich?
Anhand des Perspektivwechsels lässt sich erkennen, dass die von Frau Z. angebotene Mitbestimmungsmöglichkeit bei Ronja zunächst zu mehr Interesse geführt hat. Jedoch kam es im Verlauf vor allem zu Frustration statt zu Selbstwirksamkeitserfahrungen. Der erhoffte Effekt stärkerer Beteiligung der Studierenden am Seminar war nur kurzzeitig vorhanden. Denn Frau Z. ist in die „Scheinfalle“ getappt. Die von Ronja erhofften Beteiligungsprozesse, in denen gemeinsam verschiedene Ideen, Interessen und Fragen eingebracht, diskutiert und verhandelt werden, blieben aus. Statt echter Mitbestimmung fand lediglich eine einzige Abstimmung statt. Ronjas anfängliche Begeisterung für das Seminar schlug vor allem auf Grund der Schein-Mitbestimmung in Frustration um. Denn Schein-Mitbestimmung vermittelt das Gefühl, dass die eigene Perspektive und Stimme zum Thema irrelevant ist. Die Konsequenz aus dem Widerspruch zwischen Ankündigung und Realität, führt zu einer negativen Neubewertung der Veranstaltung hinsichtlich Sinn, Bedeutung sowie der eigenen Wirksamkeit. Wie Ronja geht es viele Studierenden, deren Erwartungen an Seminare oft unerfüllt bleiben oder im Widerspruch zu Ankündigungen stehen. Das hat Auswirkungen auf die Ausbildung der Studierenden: Haben sie einmal derartige negative Erfahrungen gemacht, werden sie in der Zukunft bei der Auswahl ihrer Seminare noch vorsichtiger sein. Eventuell steigen sie zukünftig bei ähnlichen Anzeichen von Scheinbeteiligung sogar noch früher aus Veranstaltungen aus, da die negative Erfahrung sie in diese Richtung vorsichtig werden ließ. Mehr dazu können Sie im Fall “Wohin mit den Emotionen” nachlesen.