Konflikte ansprechen?
Dicke Luft anzusprechen ist im ersten Moment oft unangenehm. Es ist unklar, wie die Gruppe oder Einzelne darauf reagieren und wie es danach weitergeht. Werden Konflikte ausgesessen oder es fühlt sich niemand zuständig, kann das fatale Folgen haben. Denn unausgesprochene Gefühle und Gedanken werden umso mächtiger, je länger sie nicht zur Sprache kommen. Nicht angesprochene Konflikte führen somit zu einer Verstärkung negativer Emotionen. So wird Lernen und Entwicklung gehemmt und Beziehungen in der Lerngruppe nachhaltig gefährdet. Das Störungspostulat von Ruth Cohn besagt, dass Störungen (z. B. Konflikte in Form von Auseinandersetzungen) zur Interaktion und Zusammenarbeit in Gruppen dazu gehören, was auch bedeutet, den Individuen und Bedürfnissen Vorrang zu geben. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) heißt es: „Störungen nehmen sich den Vorrang“ (Cohn 1974). Oftmals genügt es, das, was ohnehin im Raum ist, offen anzusprechen, um es einordnen zu können. Das heißt nicht, dass alle Gefühle unreflektiert geäußert werden sollten. Nur was tatsächlich die Gruppe (oder die Einzelnen) betrifft, sollte zum Thema werden. In der TZI wird in diesem Zusammenhang auch von der selektiven Authentizität gesprochen. Hierbei geht es darum ein Gleichgewicht zwischen den eigenen Gefühlen und der jeweiligen Rolle aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, Selbstaussagen zu treffen und involviert zu sein, ohne die Gruppe dabei mit zu viel Offenheit zu überfordern. Gerade in schwierigen Momenten ist es wichtig, der Gruppe oder dem Gegenüber mit Transparenz zu begegnen. Gleichzeitig gilt es immer über die Angemessenheit an Offenheit und Transparenz zu reflektieren und die Frage zu stellen, wie viel von der eigenen Person preisgegeben werden sollte. Zur Orientierung und Selbstreflexion können die folgenden Fragen unterstützen:
- Welche Konflikte können auf einen anderen Raum, eine andere Zeit verschoben werden, ohne sie zu unterbinden?
- Welchen Konflikt kann ich jetzt angehen?
- Bei welchem Konflikt reicht es, ihn wahrzunehmen?
- Wie gebe ich einem Konflikt Raum?
- Wie kann ich den Raum begrenzen?
- Wie mache ich den Nutzen eines Konfliktes deutlich, so dass alle ihn als hilfreich annehmen können?
- Wie schütze ich die Emotionen der unterschiedlichen Konfliktparteien, während der Thematisierung des Konfliktes?
Ist der Entschluss gefasst einen Konflikt anzusprechen, geht es darum die richtigen Worte zu finden. Dabei ist es hilfreich, sich seiner eigenen Position, Gefühle und Gedanken bewusst zu sein. Auf Marshall B. Rosenberg gehen die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation zurück:
- Beobachtungen
- Gefühle
- Bedürfnis
- Bitte
Dieser Schrittfolge liegt der Gedanke zu Grunde, dass hinter jedem Konflikt (Vorwurf, Kritik etc.) ein unerfülltes Bedürfnis liegt. Durch den Vierschritt übernehmen Sie Verantwortung für sich selbst und sind Ihrem Gegenüber transparent. Oft ist es nicht einfach die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu benennen. Als Hilfestellung finden Sie hier eine Übersicht erfüllter und nicht erfüllter Bedürfnisse aus der Gewaltfreien Kommunikation.
Durch aufrichtiges Interesse und aktives Zuhören wird dem Gegenüber signalisiert, ernstgenommen zu werden. Gelingt es, die eigene Meinung zunächst hintenanzustellen und sich mit aufrichtigem Interesse zuzuwenden, hilft es dabei die Situation inhaltlich und emotional bestmöglich zu erfassen und die Bedeutung des Erlebten zu entschlüsseln. Aktives Zuhören kann auch eine hilfreiche erste Maßnahme sein, um Zeit zu gewinnen, sich erstmal sammeln zu können und den eigenen Standpunkt zu klären.
Um schwierige Situationen bewältigen zu können, ist es unvermeidlich, sich mit den eigenen kritischen Punkten auseinanderzusetzen. Die Themen zu kennen, die aufgrund aktueller Lebensumstände und/oder gewachsener Verhaltensmuster emotional negativ belegt sind, hilft dabei, Konfliktsituationen realistischer einzuschätzen. Die Lernenden werden so nicht zu den Leidtragenden persönlicher Unklarheiten und eigener Probleme.
Es gibt Situationen, in denen hilft alles nichts, die Dynamiken haben sich eingefahren und ein konstruktives Gespräch funktionieren nicht mehr. In solchen Fällen hilft es ehrlich zu sich selbst und zum Gegenüber / der Gruppe ehrlich zu sein und ggf. eine dritte Person hinzuzuziehen. Ein*e Mediator*in kann dabei helfen, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten und als unabhängige und vorurteilsfreie Vermittler*in zu unterstützen. In manchen Situationen kann es auch helfen, das Kollegium als Unterstützung hinzuzuziehen. Um gemeinsam strukturiert und lösungsorientiert mit einer klaren zeitlichen Rahmung Konflikte reflexiv zu lösen, eignet sich die Kollegiale Fallberatung.