Pädagogik trifft Architektur
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„der Mensch befindet sich nicht im Raum, wie ein Gegenstand sich etwa in einer Schachtel befindet, und er verhält sich auch nicht so zum Raum, als ob zunächst etwas wie ein raumloses Subjekt vorhanden wäre, das sich dann hinterher auch zu einem Raum verhielte, sondern das Leben besteht ursprünglich in diesem Verhältnis zum Raum und kann davon nicht einmal in Gedanken abgelöst werden“ (Bollnow 1963: 23; zit. in Hammerer & Renner 2006)
Warum sich mit Lernräumen beschäftigen?
Wie das obige Zitat sichtbar macht, steht der Mensch in einem beständigen Wechselverhältnis zu Räumen, in denen er*sie sich bewegt. Regeln, Abläufe und Rollenvorstellungen können sich in der Gestaltung von Räumen widerspiegeln und ggf. manifestieren. Dergleichen verhält es sich in der Institution Schule: Die dort konstruierten Regeln, Abläufe und Rollenvorstellungen nehmen (bewusst oder unbewusst) Einfluss auf das tägliche Leben. So wird mit der häufig anzutreffenden Ausrichtung aller Tische Richtung Lehrer*innentisch klar: Hier spielt die Musik! Überspitzt könnte man sagen: Die Gestaltung des Raumes gibt Aufschluss darüber, wie Schüler*innen darin lernen können und sollen.
Dahlinger (2009) hebt deutlich hervor, dass Schulgebäude den jeweiligen pädagogischen Zeitgeist repräsentieren: “Ändert sich das ‘Innen’, pädagogische Leitgedanken und damit die Art des Unterrichts, ändert sich auch das ‘Außen’, die Gebäude und Räume, in denen der Unterricht stattfindet. [...] Wird man sich dieser Vergangenheit bewusst, lassen sich aus ihr sinnvolle Schlüsse für die Zukunft ziehen.” (ebd.: 249). Schulräume und ganze Schulgebäude schaffen die Bedingungen für Lernen, unterstützen und steuern diesen Prozess: “Das selbstständige, selbstgesteuerte Lernen, die handlungsorientierte, selbsttätige Aneignung von Kompetenzen, die konsequente Individualisierung und Differenzierung im Unterricht erfordert Räume, die gleichzeitiges Arbeiten von einzelnen Schülerinnen bzw. Schülern und Gruppen an verschiedenen Inhalten ermöglichen.” (Hammerer, Renner 2006: 1) Dem gegenüber steht: “In Räumen in denen Lernbereiche und Materialien nicht geordnet und übersichtlich sind, finden emotional verunsicherte Kinder keine räumliche Antwort auf ihre Emotionen und ziehen sich deshalb zurück oder reagieren unter Umständen ungerichtet aggressiv” (Hammerer, Renner 2006: 5 mit Verweis auf Mahlke 1998: 18). Dass die Gestaltung von Lernräumen jedoch über Ordnung und Übersichtlichkeit von Lernmaterialien hinausgeht, lesen Sie unter “Wie Lernräume gestalten?”
Aus der Reggio-Pädagogik stammt das Bild des Lernraums als “dritte*n Erzieher*in" (u. a. Dahlinger 2009, Hammerer/Renner 2006, bpb.de, 2018). An erster Stelle steht das Kind selbst als Konstrukteur*in der eigenen Welt. An zweiter Stelle übernimmt die soziale Umwelt die Rolle der Erzieher*innen (Knauf 2017: 18f.). Die “deutliche Wirkung des Raumes auf das Lern- und Sozialverhalten” (Hammerer, Renner 2006: 2) konnte durch eine Studie in 35 Montessori-Grundschulklassen in Österreich gezeigt werden. In deren Resumé haben die Lehrpersonen eine positive Veränderung des Verhaltens ihrer Schüler*innen wahrgenommen, nachdem die Raumgröße und -gestaltung, bspw. durch die Nutzung weiterer Räume oder die Aufteilung in Raumzonen, verändert wurde. Lesen Sie die positiven Eindrücke der Lehrpersonen im Artikel von Franz Hammerer und Clara Renner nach.
Nichtsdestotrotz mangelt es immer noch an entwicklungspsychologischen Studien zur Wirkung von Räumen (Dalinger 2009).