Willy Gehler – Spitzenforschung, politische Selbstmobilisierung und historische Rezeption
Inhaltsverzeichnis
Projektdaten
Titel | Title Willy Gehler (1876–1953) – Spitzenforschung, politische Selbstmobilisierung und historische Rezeption eines bedeutenden Bauingenieurs und Hochschullehrers im „Jahrhundert der Extreme“ | Willy Gehler (1876–1953) – edge research, political self-mobilization and historical assessment of an important civil engineer and professor in “the century of extremes” Förderer | Funding Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Zeitraum | Period 11/2014 – 10/2017 (Phase 1) 11/2018 – 09/2022 (Phase 2) Leiter | Project manager Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach Bearbeiter | Contributor Dr.-Ing. Oliver Steinbock Projektpartner | Project partner Lehrstuhl für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte, TU Dresden |
Bericht aus dem Jahrbuch 2019
WILLY GEHLER – BIOGRAFIE 2.0
Nachdem in den Jahren 2014 bis 2017 das Wirken und Leben Willy Gehlers (1876 – 1953) in einem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt beleuchtet werden konnte, wurde 2019 eine zweite ergänzende Phase gestartet. Grund hierfür waren die überraschenden Ergebnisse der ersten Phase, die vertieft werden und weitere Aufschlüsse zur Geschichte der Bauingenieure sowie zur Person Gehler liefern sollen. Erneut wird dabei auf die Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte gesetzt, um neben der Bewertung der fachlichen Expertise auch eine Einschätzung der Persönlichkeit Gehler vornehmen zu können.
In Phase I lag der Schwerpunkt des am Institut für Massivbau bearbeiteten Projektteils auf dem Herausarbeiten von Gehlers Beitrag an der Stahlbetonentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Insbesondere wurde hier seine Tätigkeit rund um seine Stelle als Leiter der Versuchs- und Materialprüfungsanstalt (VMA) Dresden untersucht. Neben Hinweisen auf kriegsrelevante Forschungen ergaben sich zahlreiche Hinweise auf bisher unbekannte Forschungsbereiche. Im konkreten waren dies Hinweise auf Forschungen zum Spannbeton. So wurde festgestellt, dass die damals konkurrierenden Systeme von Hoyer und Freyssinet erstmals in Dresden und somit im deutschsprachigen Raum wissenschaftlich untersucht wurden. Die Grundzüge des sogenannten Hoyer-Effekts gehen dabei auf wissenschaftliche Untersuchungen von Gehlers Mitarbeiter Erich Friedrich zurück. Festgestellt wurde zudem, dass Gehlers Expertise auch über die Grenzen des Stahlbetonbaus hinaus gefragt war, z. B. im Bereich des Stahlbaus. Erste Erkenntnisse lassen auf eine enge Zusammenarbeit mit Ernst Chwalla schließen, der insbesonderedurch seine Forschungsergebnisse rund um das Knicken druckbeanspruchter Querschnitte bekannt wurde. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, dass eine ausschließliche Betrachtung der Person Gehlers sowie seiner Forschungen nicht ausreichend ist, um eine Einordnung vornehmen zu können. Daher wird in Phase II das fachliche Umfeld Gehlers im Rahmen einer Netzwerkanalyse genauer betrachtet. Diese Analyse soll auch dazu dienen, den Projektpartner bei der Einordnung der politischen Positionierung Gehlers zu unterstützen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf seine Kollaborationen in beiden deutschen Diktaturen als auch der Wertung seiner Person als akademische persona non grata.
Bericht aus dem Jahrbuch 2017
WILLY GEHLER – STAHLBETONPIONIER AUF ABWEGEN
Der bis heute in der Bauingenieurcommunity kaum präsente Stahlbetonpionier Willy Gehler (1876–1953) ist aufgrund seiner politischen Verstrickungen – u. a. war Gehler Mitglied der NSDAP – auch nach 3 Jahren Grundlagenforschung weiterhin umstritten. Unumstritten sind dagegen seine fachlichen Errungenschaften im Bereich des Bauin-genieurwesens, die innerhalb des Projektes aufgezeigt werden konnten. Um darauf und auf die Person Gehlers aufmerksam zu machen, standen im dritten Förderjahr vornehmlich Publikationen von Forschungsergebnissen im Vordergrund. Der Auftakt hierzu erfolgte im Rahmen eines Workshops zu Willy Gehler im April 2017, an dem v. a. Fachleute aus dem Bereich der Bautechnikgeschichte teilnahmen. Die Ergebnisse dieses Workshops, zu dem verschiedene Referenten eingeladen waren, sind in einem Tagungsband niedergelegt. Ergänzend hierzu wurde auch eine Ausstellung in der Bereichsbibliothek DrePunct der Sächsischen Landesbibliothek– Staats- und Universitätsbibliothek Dresden eröffnet, die im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte in einem studentischen
Praxisseminar umgesetzt wurde. Ergänzt wird die Ausstellung durch eine Begleitbroschüre, die auch online einsehbar ist. Die Ausstellung steht noch bis März 2018 den Besuchern offen, ehe sie im Anschluss an der BTU Cottbus-Senftenberg zu sehen sein wird.
Die Komplexität der Persönlichkeit Gehlers war Schwerpunkt einer Präsentation auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Bautechnikgeschichte, in der Gehler als ein Wandler zwischen Industrie, Verwaltung und Wissenschaft beschrieben wird. So ist aus der Perspektive der Industrie vor allem seine praktische Tätigkeit beim damals aufstre-benden Betonbauunternehmen Dyckerhoff & Widmann zu nennen. Die Perspektive der Verwaltung vertritt er zum Berufseinstieg zunächst bei der Königlich Sächsischen Staatseisenbahn als Regierungsbauführer bzw. -meister. Seine umfangreichen Tätigkeiten in Verbindung mit dem Deutschen Institut für Normung und dem Deutschen Ausschuss für Eisenbeton, bei denen er langjähriges Mitglied war, sind ebenfalls zu nennen. Die Perspektive der Wissenschaft nimmt Gehler aber für die längste Zeit ein, sowohl als ordentlicher Professor der TH Dresden als auch als Leiter des Versuchs- und Materialprüfungsamtes Dresden. Es zeigte sich jedoch auch, dass Gehler über das Gebiet des Stahlbetons hinaus wegweisende Ansätze lieferte, sodass weitere Forschungsarbeit notwendig ist, um eine umfassende Darstellung dieses umtriebigen Ingenieurs zu liefern.
Bericht aus dem Jahrbuch 2016
Willy Gehler – Auf den Spuren eines Genies?
Der ehemalige Professor und Bauingenieur Willy Gehler (1876–1953) ist trotz seiner Verdienste um die Erforschung und Etablierung des Baustoffs Stahlbeton heute kaum bekannt. Seine unklaren Verstrickungen mit den jeweils machthabenden politischen Mächten trugen hierzu in der Vergangenheit bei. Doch gerade diese politischen Verstrickungen hinweg über vier Epochen deutscher Geschichte – u. a. war Gehler Mitglied der NSDAP – sowie seine herausragende Stellung in der Stahlbetonentwicklung machen ihn für die heutige Forschung interessant. Hier setzt das interdisziplinäre Forschungsprojekt an.
2016 standen wieder ausgiebige Recherchen im Vordergrund. Neben der üblichen Archivrecherche gingen wir jedoch auch die Spurensuche zu Willy Gehler in der Baupraxis an. In diesem Zusammenhang wurde die wohl älteste, bis vor kurzem erhaltene Stahlbetonbrücke Mitteldeutschlands, die Brücke über den Lockwitzbach in Dresden/Niedersedlitz, aufgefunden. Leider wurde die Brücke im April 2016 aufgrund eines zu geringen Durchflussquerschnitts abgerissen. Für die Forschung ist es ein Glücksfall, dass der Abbruch dokumentiert werden konnte. Beim Abbruch konnten sowohl Betonprüfkörper als auch Betonstahlproben entnommen werden, die nun im Labor analysiert werden können. Aus den Untersuchungen erhoffen wir uns vertiefte Erkenntnisse zum Materialverhalten historischer Betone und Betonstähle, die bei der Bewertungen von Bauvorhaben im Bestand nützlich sein können.
Ähnlich vielseitig wie die Forschung Willy Gehlers ist auch die Archivrecherche zu seiner Person. Neben dem Universitätsarchiv der TU Dresden wurden auch Archive anderer Hochschulen, z. B. der Universität Stuttgart, besucht. Auch der Großteil der relevanten Bestände des DAfStb, des Bundesarchivs Berlin und des Hauptstaatsarchivs Dresden wurden in Augenschein genommen. Hierbei ergaben sich Hinweise zu möglichen Forschungsvorhaben Willy Gehlers in den verschiedenen Epochen, beispielsweise zum Bau einer Versuchsanlage für den Betonstraßenbau für die Organisation Todt. Die Recherchen wurden auch auf Archive der russischen Föderation in Moskau ausgeweitet. Zunächst wurde vermutet, dass Akten zur Forschung nach den Wirren des 2. Weltkriegs nach Russland gelangten. Dies konnte zunächst nicht bestätigt werden, jedoch ergaben sich Hinweise, die auf Beziehungen und einen Forschungstransfer mit russischen Institutionen hindeuten.
Bericht aus dem Jahrbuch 2015
Willy Gehler – Ein Beispiel für politische Irrwege an der TU Dresden?
Die Stadt Dresden sorgte in jüngster Vergangenheit beim Thema Flüchtlingspolitik und im Umgang mit Ausländern für wenig erfreuliche Schlagzeilen. Dass vor allem die TU Dresden sich von rechten Irrwegen wie „Pegida“ abgrenzt, zeigt sich nicht nur in der unproblematischen Aufnahme von Flüchtlingen in den Sportzentren der TU Dresden, sondern auch durch vielzählige Aufrufe zu Gegenveranstaltungen und nicht zuletzt durch die Internationalität ihrer Studenten und Mitarbeiter. Hinsichtlich der Aufarbeitung der Geschichte der Hochschulen während der NS-Zeit als auch in den ersten Nachkriegsjahren trägt das interdisziplinäre Projekt Willy Gehler (1876–1953) – Spitzenforschung, politische Selbstmobilisierung und historische Rezeption eines bedeutenden Bauingenieurs und Hochschullehrers im „Jahrhundert der Extreme“, einen Teil bei.
Der ehemalige Professor und Bauingenieur Willy Gehler durchlebte vier Epochen deutscher Geschichte. Geboren im Kaiserreich, beginnt er nach dem Studium der Mathematik und des Bauingenieurwesens sein Berufsleben zunächst im Staatsdienst bei der Königlich Sächsischen Staatsbahn (1900–1904). Nach seinem Wechsel aus dem Staatsdienst in die Wirtschaft zur Firma Dyckerhoff und Widmann steigt Gehler schnell im Unternehmen auf und arbeitet an Projekten wie der Querbahnsteighalle Leipzig oder der Jahrhunderthalle in Breslau. 1913/1914 wird er als ordentlicher Professor an die TU Dresden im Fachbereich Bauingenieurwesen berufen. Bereits im 1. Weltkrieg zum Leiter der Bautenprüfstelle im Kriegsamt aufgestiegen, leitet er ab 1918 die Versuchs- und Materialprüfungsanstalt in Dresden.
Gehler entwickelt in der jungen Weimarer Republik einen großen Tatendrang hinsichtlich des damals ebenfalls noch jungen Baustoffs „Eisenbeton“. Ab 1933 führt er vermutlich auch kriegsrelevante Forschungen durch, nachdem er bereits 1933 der NSDAP beigetreten war. Der Umfang dieser Tätigkeit und die möglichen Verstrickungen, aber auch die rein wissenschaftliche Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse sind Gegenstand aktueller Forschungen. Aus der Professorenstelle nach dem 2. Weltkrieg im Rahmen der Entnazifizierung entlassen, arrangiert sich Gehler auch mit den neuen politischen Kräften in der sowjetischen Besatzungszone. Diese stetige Anpassung an die politischen Randbedingungen und die fachliche Expertise dieses Ingenieurs machen ihn für die Forschung besonders interessant.