04.02.2025
#FactFriday: Femizide
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Femizide
FEMIZIDE - „NEHMT IHR UNS EINE, KÄMPFEN WIR ALLE“
Folgende Situation: Es ist der 2. Januar 2025. Das Jahr hat gerade erst begonnen; manche versuchen bereits, ihre Neujahrsvorsätze in die Tat umzusetzen, andere erholen sich von den Silvesterfeierlichkeiten. Doch die 38-jährige Stefanie W. aus dem Hamburger Stadtteil Groß Borstel hat dazu keine Chance mehr: am Abend wird sie von ihrem 38-jährigen Mann vor den Augen ihres 3-jährigen Sohnes erstochen. Es ist der erste Femizid im Jahr 2025 - doch ist es weder ein Einzelfall, noch wird es der letzte in diesem Jahr bleiben. Doch was sind eigentlich Femizide? Und wie können wir sie verhindern?
Was sind Femizide?
Per Definition sind Femizide Tötungen von Frauen oder weiblich gelesenen Personen rein aufgrund ihres Geschlechts - motiviert durch hierarchische Geschlechtsvorstellungen und Rollenbilder, etwa vermeintliche Besitzansprüche gegenüber Frauen oder die Verteidigung von Stellung, Macht und Kontrolle. Oft werden Femizide im Beziehungskontext ausgeübt, zum Beispiel durch (Ex-)Partner*innen bei einer Trennung/Scheidung, aber auch außerhalb dessen geht es im Grunde um strukturelle und gesamtgesellschaftliche Gewalt und Morde an Frauen. Femizide sind Ausdruck eines patriarchalen Systems, in dem Frauen als weniger wert als Männer betrachtet werden.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Im Schnitt versucht in Deutschland jeden Tag ein Mann, seine (Ex-)Partnerin umzubringen. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres (Ex-)Partners. Allein im Jahr 2023 wurden 360 Femizide verübt - die höchste unnatürliche Todesursache bei Frauen.
Dennoch werden diese schrecklichen, offensichtlich systemischen Taten so gut wie immer als Einzelfälle, Familientragödien und Beziehungsdramen dargestellt. Es gibt keine einheitliche und rechtliche Definition für den Begriff Femizid; die Bundesregierung hat den Begriff nicht formal anerkannt. Das hat Konsequenzen in der Rechtsprechung: oft werden Femizide nicht als Morde, sondern als Totschläge oder Körperverletzung mit Todesfolge eingestuft. Ebenso werden Tätermotive wie Misogynie oder gekränkte Männlichkeit nicht als solche erfasst und dokumentiert. Oft wird auch das “Verhalten der Frau” in den Urteilen betrachtet.
Und wie ist die Lage in anderen Ländern?
2023 sind weltweit etwa 89.000 Frauen und Mädchen ermordet worden - mehr als die Hälfte davon von Familienmitgliedern und Partnern.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland in etwa im Mittelfeld - in Frankreich, Finnland oder den Niederlanden starben weniger Frauen durch Femizide. In Ländern wie Honduras, Russland, Salvador und Südafrika ist die Femizidrate am höchsten - 40 mal höher als in Westeuropa.
Auch die Rechtslage ist in den Ländern verschieden; in vielen lateinamerikanischen Ländern gibt es sogar eigene Straftatbestände für Femizide, während dies in europäischen Ländern weitgehend fehlt.
Das zeigt sich auch in verschiedenen Gerichtsurteilen:
Im Januar 2025 beginnt der Prozess gegen einen 57-jährigen Mann - 25 Jahre zu spät. Bereits im Jahr 2000 soll er seine Frau in München erdrosselt haben, hat es aussehen lassen, wie einen Suizid. Alles, weil sie nach jahrelanger häuslicher Gewalt vor ihm flüchtete und er Rache verüben wollte. Doch ihm konnte scheinbar nichts nachgewiesen werden - er wurde wieder freigelassen. Erst jetzt, 25 Jahre später, sitzt er durch einen Zeugenhinweis endlich auf der Strafbank. Vor 25 Jahren wurde der Mann lediglich des Totschlags angeklagt - erst jetzt spricht man von Mord.
Im Gegensatz dazu erschüttert in Italien der Femizid an Giulia Cecchettin im November 2023 die Bevölkerung: ihr Ex-Freund, Filippo Turetta, erstoch sie mit zahlreichen Messerstichen und warf sie anschließend in eine Schlucht. Giulia hatte sich zuvor von Filippo getrennt, da er ihr zu besitzergreifend geworden war.
Bereits am selben Abend wurde Filippo in Deutschland auf der A9 festgenommen. Wegen besonderer Brutalität der Tat und der vorherigen Planung wurde Filippo bereits ein Jahr später zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.
Doch wie hart oder eben nicht ein Fall bestraft wird, ist nicht aussagekräftig. Fakt ist: wir haben ein großes Problem.
Darauf aufmerksam macht ein Instagram-Account:
Selbst eine Freundin durch einen Femizid verloren, gründeten die zwei Freundinnen Lilly und Saskia 2022 den aktivistischen Instagram-Account “Femizide stoppen”. Sie berichten tagesaktuell über Femizide, die in Deutschland verübt wurden, haben sogar einen “Counter”, wie viele Frauen pro Jahr aufgrund ihres Geschlechts getötet werden. Die Fälle recherchieren sie selbst, oder werden von Follower*innen informiert. Die Forderungen der beiden erscheinen simpel: auf Femizide aufmerksam machen, diese als solche benennen und im besten Fall: Femizide verhindern – ganz nach dem Motto „Ni Una Menos“; nicht Eine mehr.
Wie können wir Femizide verhindern?
Als allererstes: das Thema braucht mehr Aufmerksamkeit, besonders darauf, dass Femizide nicht einfach “nur” Beziehungsdramen sind. Also: Nennt es Femizide! Nur so können wir erreichen, dass das Wort anerkannt wird und auch strafrechtlich Schritte gegangen werden, Femizide als eigene Straftatbestände aufzunehmen.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Täterprävention. Viele Initiativen in Deutschland geben Workshops, Aggressionstrainings, Beratung. Das muss dringend ausgebaut werden - denn auch wenn Männer gewalttätiges Handeln gelernt haben, müssen sie Verantwortung dafür übernehmen, sich gewaltfreies Handeln anzueignen.
Aber auch Frauenhäusern fehlen überall Plätze - das muss erhöht werden, denn Frauen müssen einen geschützten Ort haben, an dem sie geschlechtsspezifischer Gewalt entfliehen können.
Ein Fazit: ist damit alles gesagt?
Nein, auf keinen Fall. Femizide sind ein so vielschichtiges und weitreichendes Problem, dass in einem Posting wie diesem gar nicht zusammenzufassen ist. Festhalten kann man jedoch:
Systemische, geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen und weiblich gelesenen Personen ist nicht okay und wird es niemals sein.
Wir alle und insbesondere staatliche Akteur*innen sind dazu aufgerufen, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen.