02.05.2025
#FactFriday: Ikkimel, Shirin David & Co

Ikkimel, Shirin David & Co
Ikkimel und Shirin David - Feministische Selbstermächtigung oder Reproduktion patriarchaler Strukturen?
Worum geht es eigentlich?
Im öffentlichen Diskurs (oder eher: in der deutschen Musikwelt) wird seit einiger Zeit ständig über sie geredet: deutsche Künstlerinnen im Deutschrap-Business. Besonders zwei Künstlerinnen stehen besonders im Fokus - Ikkimel und Shirin David. Der Grund dafür ist, dass ihre Musik die Menschen spaltet; die einen feiern die beiden für ihre direkten Lyrics, das Kein-Blatt-vor-den-Mund-Nehmen. Die anderen hingegen sträuben sich gegen die anzüglichen Texte oder sagen schlicht: das ist mir zu krass - und verstärkt nur die Stereotype über Frauen. Doch welche Seite “hat recht”?
Wer sind Ikkimel und Shirin David?
Ikkimel heisst eigentlich Melina, hat Linguistik studiert und stammt aus Berlin-Tempelhof. Ihre Musik beschreibt ihr eigenes Label als “stilbewussten Spagat zwischen HipHop, Techno und Hyperpop”, wobei Ikkimel sich “benimmt wie die offene Hose, keinen Hehl aus ihrem Drogenkonsum macht, Haut zeigt, selbstbewusst und rotzig über Sex rappt”. Das spiegelt sich in ihren Lyrics wieder, aber auch in ihren Song- und Albumtiteln sowie in ihrer gesamten Ästhetik. Klar ist: Ikkimel schockt, provoziert und sticht heraus. Aber ist sie auch feministisch?
Shirin David ist eine 29-jährige Rapperin aus Hamburg, die ursprünglich als Youtuberin in Deutschland bekannt wurde, bevor sie 2019 ihr erstes Album herausbringt. Mit ihrer Musik ist sie sehr erfolgreich: regelmässig landen ihre Songs in den Chart-Spitzen. Auch sie spielt in ihren Texten und Titeln mit weiblich konnotierten Themen, präsentiert sich oft freizügig und redet offen über ihre Sexualität. Das eckt an: die Musik wird als oberflächlich und auf den Male Gaze fokussiert beschrieben. Aber stimmt das?
Na klar ist die Musik feministisch!
Besonders Ikkimel nutzt obszöne Wörter wie “Fotze” nicht in ihrem ursprünglichen Kontext, sondern vollzieht ein Reclaiming, nutzt es als identitätsstiftendes Wort für weiblich gelesene Personen, die gerne Sex haben. Die sexuellen Handlungen werden außerdem sehr explizit beschrieben; damit werden Tabus über weibliche Lust gebrochen. Weiterhin stellt Ikki immer ein Verhältnis zwischen ihr und ihren männlichen Sexualpartnern her, in dem sie auf der höheren Stufe steht. Durch die allgemeine Wahr-nehmung ihrer Musik wird schnell klar: Es geht nicht darum, was Ikkimel mit ihrer Musik sagt, sondern was ihre Musik uns über uns selbst verrät. Und sie verrät, das Sexualität von weiblich gelesenen Personen immer noch nur in festen, engen Grenzen passieren darf und akzeptiert wird. “Bitte nicht zu viel Sex, bitte nur vanilla und vor allem: bitte nur heteronormativ”, so scheint die Devise. Aber gar keinen Sex? Das ist auch zu prüde. Ikkimel schafft es mit ihrer Musik, diese Tabus zu brechen und zeigt, wie wir als Gesellschaft immer noch dik-tieren, wie eine Frau zu sein und zu leben hat. Auch Shirin David wird regelmässig mit diesen Tabus konfrontiert und rechnet mit ihnen ab. Nur, weil sie sich freizügig präsentiert, ist es noch lange kein Freifahrtsschein, sie auf ihren Körper zu reduzieren - denn Shirin ist eine äusserst intelligente und talentierte Rapperin. Auch in ihren Liedern wie “Lächel Doch Mal” dreht Shirin den Spiess einmal um und rappt über all die Dinge, die Frauen im modernen Patriarchat immer noch erleben und sich anhören müssen.
“Ey, lächel doch mal (Ey, ey). Was regst du dich auf? Komm mal wieder runter. Gehst du wie 'ne Schlampe raus, musst du dich nicht wundern.”
Auf keinen Fall ist das feministisch!
“Nur” sex-positive zu sein, macht Menschen noch lange nicht zu Feminist*innen, denn dadurch werden patriarchale Strukturen und Sexismus nicht plötzlich abgeschafft. Ikkimel rappt zum Beispiel immer nur positiv über ihren Lifestyle, doch die Realität ist für Frauen und weiblich gelesene Personen oft eine andere: sexuell übergriffiges Verhalten, Vergewaltigungen, Angst vor K.O.-Tropfen im Drink - all diese Themen kommen in Ikkis Texten so gut wie gar nicht vor. Das ignoriert patriarchale Probleme, mit denen wir täglich konfrontiert werden. Auch Ikkimels Ästhetik, ihre dem Male Gaze entsprechenden Outfits und Musikvideos, fordern das Patriarchat nicht heraus, sondern reproduzieren es. Insgesamt wirkt Ikkimels Musik wie eine Flucht in ein Parallelleben, in dem es keine Konsequenzen für sexuell aktive Frauen gibt.
Auch bei Shirin David fällt schnell auf, dass problematische Überzeugungen reproduziert werden. In ihrem neusten Album “Schlau aber blond” sind mehrere Songs enthalten, die zum Beispiel dünn oder “normschön” sein als das oberste Ziel darstellen. “Schlank werden” ist hierbei auch scheinbar nur ein Ding der Selbstdisziplin und dem richtigen Workout – das ignoriert vollkommen die Realität weiblicher Körper. Ausserdem sind dicke oder normale Körper so scheinbar weniger schön, weniger wert. Damit reproduziert Shirin David direkt ein patriarchal geprägtes Schönheitsideal, ohne es nur einmal zu hinterfragen. Außerdem ist Feminismus mehr als nur ein “Frauen sollen sich anziehen und machen, was sie wollen” - es geht um die Abschaffung von diskriminierenden und unterdrückenden Strukturen. In anderen Songs des Albums geht es Shirin um das Leben an der Seite eines Mannes: er soll reich sein, sie dauerhaft beschenken, sie nicht arbeiten müssen. Sie ist der Preis, er der Käufer. Das beschreibt deutlich ein stark patriarchales Bild einer Beziehung.
Was sagen Ikki und Shirin dazu?
Sowohl Ikkimel als auch Shirin David bezeichnen sich selbst als Feministinnen.
“Die Sprache meiner Musik macht mich nicht weniger weiblich, nicht weniger sonst irgendwas. Also ich bin natürlich weder billig, noch weniger schlau, noch weniger lustig. Ganz im Gegenteil." - Ikkimel
“Als Feministinnen können wir gut aussehen und klug sein und eloquent und wunderschön zugleich.” - Shirin David
Dennoch muss zuletzt noch eine wichtige Ergänzung getroffen werden:
"Ich finde, dass sich da besonders die Männer mal an die Nase fassen dürfen. Ich glaube auch, dass viele Rapperinnen früher sich deswegen auch gezielt gar nicht zu dem Thema geäußert haben. [...] Ich meine, ich mache es trotzdem, weil es mir einfach ein sehr, sehr wichtiges Anliegen ist. Aber [...] Ich finde, Feminismus geht uns alle was an." - Ikkimel
Muss alles feministisch sein?
Ikkimel hat recht mit ihrer Aussage: es wird immer von den Musikerinnen erwartet, sich zu Feminismus und vor allem Feminismus in ihrer Musik zu äussern. Dass jedoch männliche Rapper vollkommen ungehindert seit Jahren sexualisiert über Frauen singen und Slogans gegen das Patriarchat predigen, wird selten hinterfragt. Wie feministisch ist das?
“Ist Ikkimel jetzt überhaupt noch feministisch? Plötzlich tun die kleinen Pisser so, als wär’s ihnen wichtig.”
Dazu kommt die Frage, ob alles, was eine Frau tut, immer automatisch feministisch ist oder sein muss; ob weibliche Musikerinnen immer feministische Musik machen müssen - und ob man den Feminismus immer auf Krampf in dieser Musik suchen muss.
Quellen
1. https://youtu.be/UzKtkd7t_nI?feature=shared (10.03.2025)
2. https://youtu.be/U203TNxpUR8?feature=shared (10.03.2025)
3. https://youtu.be/rsStucduT1w?feature=shared (11.03.2025)
4. https://youtu.be/CapBsY0nWGQ?feature=shared (11.03.2025)
5. https://www.zdf.de/video/reportagen/aspekte-106/selbstermaechtigung-feminismus-kampf-rechte-frauen-100 (27.03.2025)
6. https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/sex-rapperin-ikkimel-fotze-lady-bitch-ray-gen-z-100.html (27.03.2025)
7. https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.shirin-david-generation-z-idol-rapperin.68c0aed6-30df-436c-b30f-d6fafc7560dd.html (27.03.2025)
8. https://www.watson.ch/leben/kommentar/196224441-warum-shirin-david-den-modernen-feminismus-perfekt-verkoerpert (27.03.2025)
9. https://www.fourmusic.com/index.php/artist/ikkimel/# (31.03.2025)