20.07.2024
#FactFriday: Medizin ist männlich
Gender Data Gap
Was bedeutet das?
Grundlagen der Medizin wurden seit jeher an männlichen Patienten untersucht, sodass es zu einem Gender Data Gap kommt. Das bedeutet also, es gibt eine riesige Lücke zwischen Daten von Behandlungen, Symptomen etc. zwischen Männern und Frauen.
Ein kleines Beispiel: Atemlosigkeit, Engegefühl in der Brust, ein Schmerz, der in den linken Arm streut … was könnte das sein? Die meisten werden jetzt an einen Herzinfarkt denken. Das ist auch richtig – für Männern. Seit der Etablierung dieses Krankheitsbildes in den 80er Jahren, ist die Überlebenswahrscheinlichkeit für Männer nach einem Herzinfarkt enorm gestiegen. Für Frauen blieb das Risiko noch 20 Jahre lang höher, bis man rausgefunden hat, dass sich Herzinfarkte bei Frauen ganz anders äußern. Das lag daran, dass es viel weniger Daten zu Erkrankungen von Frauen gab. Man spricht vom Gender Data Gap.
Auch bei Kniegelenkbeschwerden werden häufig falsche Behandlungsmethoden angewandt, da Becken und Hüfte bei Frauen anders gelagert sind.
Ein weiteres Beispiel sind Schlafmittel, die bei Frauen zu hoch dosiert verschrieben werden, was dazu führt, dass diese häufiger als Männer am Tag nach der Einnahme einen Autounfall haben.
Doch nicht nur physische Aspekte und Anatomie sind von dieser männlichen Orientierung betroffen: auch psychische Krankheiten werden bei Frauen anders diagnostiziert. Auch Medikamente wie die Anti-Baby-Pille, die starke psychologische Auswirkungen haben können, werden selten berücksichtigt.
Probleme
Warum ist das problematisch?
Das Problem ist, dass es zu wenige Studien mit Probandinnen gab. Männer und Frauen haben verschiedene Körperzusammensetzung und -struktur und funktionieren deshalb auf unterschiedliche Weise. Stoffwechselwege, Verdauung und Zusammensetzung des Körper beeinflussen die Pharmakokinetik, also die Wirkungsweise von Pharmazeutika. So werden Frauen Medikamente verabreicht, die positive Wirkungen auf Männer haben, bei Frauen aber zu einem verkürzten Leben führen können, wie zum Beispiel bei einigen Beruhigungsmittel. Auch die Gefahr einer falschen Dosierung, wie beispielsweise beim Antidepressivum Fluvoxamin, ist hoch.
Historie
Was ist passiert?
Erst seit 1994 gibt es eine Richtlinie in den USA, die es vorschreibt, dass Medikamente sowohl an Männern wie an Frauen getestet werden müssen. Vor allem die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking prägte 1995 prägte die Gleichstellung mit ihrem Beschluss, dass geschlechterspezifische Statistiken erhoben werden müssen. Es wurde daraufhin ein Aktionsplan verabschiedet. Die Statistikabteilung der UNO, die UN Statistics Division, gründete 2006 die Inter-Acengy and Expert Group on Gender Statistics (IAEG-GS), um die Förderung geschlechterspezifischer Daten zu erhöhen und zu aktualisieren. Weiterhin gibt es seitdem weitere Bemühungen, die Gender Data Gap in der Medizin zu überwinden. Beispielsweise die Plattform Data2X, die 17 Sustainable Development Goals oder die Organisation Open Data Watch setzen sich für größere geschlechterbezogene Datenmengen in der Medizin ein.
Und jetzt?
Hat sich die Situation verbessert?
Doch noch immer gibt es zu wenige Daten über Frauen. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass bis zu 20% aller Studien kaum auf unterschiedliche Wirkungen auf Männer und Frauen eingegangen wird.
Außerdem ist es schwieriger, Daten für Frauen zu sammeln und in Studien zu verwerten, da der weibliche Körper zu verschiedenen Zyklusphasen, in der der Schwangerschaft sowie vor und nach der Menopause anders reagiert und Daten deshalb separat betrachtet werden.
Weiterhin werden bei über 70% der Tierversuche immer noch ausschließlich männliche Ratten verwendet und nur 10% Weibchen. Für 20% der Tiere ist das Geschlecht unklar. Besonders problematisch ist dabei, dass an Männchen getestete Medikamente trotzdem für Frauen zugelassen werden.
Unsere Zukunft
Welche Veränderungen brauchen wir?
Es geht nicht darum, zwanghaft ein 50:50-Geschlechterverhältnis bei medizinischen Studien zu fordern. Das ist auch gar nicht sinnvoll, da einige Krankheiten ausschließlich oder zu einem höheren Anteil in einem Geschlecht ausgeprägt sind. Trotzdem ist es wichtig, mehr medizinische Daten von Frauen zu erheben und uns vom männlichen Ausgangszustand zu entfernen, damit Frauen die passende medizinische Behandlung entsprechend ihrer Bedürfnisse bekommen.
Übrigens hat dieses patriarchalische Gesundheitssystem nicht nur negative Folgen für Frauen, auch Männer werden einem Idealbild entsprechend behandelt. So werden beispielsweise Depressionen bei Männern verspätet erkannt und auch Brustkrebs war Jahrzehnte lang eine Krankheit, die mit Frauen assoziiert wurde, obwohl sie auch für Männer sehr gefährlich sein kann.
Um sicherere und fortschrittlichere Medizin zu garantieren, sollten also sinnvolle Studien durchgeführt werden, die auf Geschlechterverhältnisse und Lebensphasen eingehen.
Quellen:
[1] https://www.spiegel.de/panorama/gendermedizin-medizin-forscht-fast-nur-an-maennern-mit-folgen-fuer-frauen-a-7d5bf557-f8dd-4cbc-ab2a-c02be3e777bd
[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/gender-data-gap-in-der-medizin-maenner-als-standard-100.html
[3] https://www.pressrelations.com/blog/de/gender-data-ga
[4] https://ourbodies.at/toedliche-datenluecken-der-gender-data-gap-in-der-medizin/
[5] https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/warum-frauen-medizinisch-benachteiligt-sind/
[6] https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/frau/gender-data-gap-frauen-daten
[7] https://www.hr-inforadio.de/programm/das-thema/gender-data-gap-in-der-medizin-unwissen-das-toedlich-sein-kann-v1,erkenntnisse-gendermedizin-100.html