NO-Grönland 2022 (Land)
Bericht vom 11.07.2022
Bereits im Flugzeug sitzend, das Matthias und mich zurückbringt nach Reykjavik, lasse ich die Woche in Grönland Revue passieren.
Am 2. Juli 2022 war ich von Dresden aus gestartet, über Frankfurt, Keflavik (dem internationalen Flughafen Islands), Reykjavik und Akureyri. Von Akureyri aus, das etwas südlich des Polarkreises liegt, flog ich genau vor einer Woche nach Grönland, nach Nerlerit Inaat (Constable Pynt), gerade nördlich des Eingangs zum Scoresby-Sund bei etwa 70° nördlicher Breite.
Zusammen mit DTU Space (der Dänischen Technischen Universität), AWI-Glaziologie und meinem Kollegen Matthias Braun von der Universität Erlangen-Nürnberg hatten wir Feldarbeiten im Bereich der großen Auslassgletscher Nioghalvfjerdsbræ und Zachariae Isstrøm geplant. Aufgrund der schwierigen logistischen Bedingungen – unser Arbeitsgebiet liegt einfach ewig weit weg, jede Operation ist stark vom Wetter abhängig – hatten wir die Kooperation vereinbart, um die Kosten für die einzelnen Partner nicht ins Unermessliche ansteigen zu lassen. Eine gemeinsame Klammer ist durch das Verbundprojekt „Greenland Ice Sheet – Ocean Interaction“ (GROCE) gegeben, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird. Matthias (und seine Gruppe) untersucht die Schmelzwasserseen, die sich im kurzen Sommer auf den Gletschern bilden, durch Satellitenfernerkundung zwar in ihrer Ausdehnung recht gut analysiert werden können – aber was fehlt, sind Informationen zur Tiefe der Seen. Durch direkte Messungen der Seetiefe kann Matthias in-situ Daten für die Justierung von Methoden gewinnen, die bestimmt spektrale Eigenschaften der in den Satellitenszenen identifizierten Seen mit der Tiefe korrelieren. Mein oberstes Ziel war es, die bereits im letzten Jahr begonnene Installation einer permanent aufzeichnenden GNSS-Station am westlichsten Punkt von Lambert Land fertig zu stellen und in Betrieb zu nehmen, dort wo sich Nioghalvfjerdsbræ und Zachariae Isstrøm endgültig aufspalten. In diesem Gebiet sehen wir in Nordost-Grönland die größte Rate der vertikalen Deformation, die durch die veränderliche Eismassenauflast hervorgerufen wird. Insbesondere der Zachariae Isstrøm hat in den letzten Jahren einen erheblichen Eismassenverlust erfahren, was sich auch in einem deutlichen Rückgang der Kalbungsfront manifestiert.
Nach dem ersten Leg von DTU und AWI flogen Matthias und ich am vergangenen Dienstag (5. Juli 2022) mit dem Helicopter von Nerlerit Inaat über Daneborg (mit einem Tankstop) nach Danmarkshavn, ca. 700 km weiter nördlich. Danmarkshavn ist eine Station, die v.a. für Wetterbeobachtungen mit täglich zwei Ballonaufstiegen (immer 11 und 23 Uhr) verantwortlich ist. Dort fanden wir – zusammen mit David, dem Heli-Piloten – überaus freundliche Aufnahme und Unterstützung. Unsere wissenschaftliche Fracht und v.a. der nötige Treibstoff Jet A-1 war bereits per Charterflug mit einer Twin Otter von Norlandair nach Danmarkshavn gebracht worden.
Dann hieß es aber erstmal, sich in Geduld zu üben, denn Mittwoch und Donnerstag war so überhaupt kein Flugwetter: Danmarkshavn ist bekannt für schwierige Wetterbedingungen, da vor allem vom Ozean her häufig Seenebel hereingedrückt wird. Am Freitag zeigte sich dann eine durchgreifende Wetterbesserung, auch die Vorhersage stimmte uns optimistisch, schließlich hatten wir von Danmarkshavn bis ins Arbeitsgebiet noch einmal gut 300 km zu fliegen.
Nachdem David freitags Vormittag zwei Fässer Sprit (also zusammen 400 Liter) an eine Lokation (Fuel Depot) auf halbem Weg bis zum Gletscher ausgebracht hatte, konnten wir zur späteren Mittagszeit starten. Nach Nachtanken am Fuel Depot ging es dann erstmal zur Westspitze von Lambert Land. Dort konnte ich zuerst die GNSS-Kampagnenstation LAMW in Betrieb nehmen. Der Großteil der Ausrüstung für diese Station war noch vom letzten Jahr her vor Ort verblieben. Für das AWI hatten wir eine GNSS-Ausrüstung mit, die Matthias in der Zwischenzeit vormontierte. Diese wurde anschließend auf dem Nioghalvfjerdsbræ ausgebracht. Ausrüstung für eine weitere AWI-GNSS-Station war an der Twin-Otter-Landepiste auf der Nordseite des Nioghalvfjerdsbræ deponiert (am Blåsø), die wir dort abholten, vormontierten und dann ebenfalls auf dem Gletscher ausbrachten. Zusammen mit weiteren zweckmäßig verteilten GNSS-Stationen sowie stationären Radarmessungen lassen sich Dickenänderung (vor allem Akkumulation und Ablation an der Oberfläche sowie Abschmelzen und Wiederanfrieren an der Unterseite) sowie Fließgeschwindigkeit bestimmen, die dann als Randwerte in eine 3D-Modellierung des Eiskörpers eingehen. Hier ist insbesondere der Übergangsbereich vom aufliegenden zum schwimmenden Eis (die Aufsetzzone) interessant. –
Nach der erfolgreichen Aktion auf dem Gletscher ging es zurück nach Lambert Land West. Dort wurde der Heli für’s längere „Parken“ fertiggemacht, und wir bereiteten uns in guter Campingmanier erstmal ein warmes Essen. Unser Plan war, die Nacht auf Lambert Land zu verbringen, um die Zeit optimal ausnutzen und vor allem nicht noch ein zweites Mal den langen An- und Rückflug von bzw. nach Danmarkshavn realisieren zu müssen (dies sparte uns immerhin 3 Flugstunden). Nach dem Essen richtete sich David im Heli für die Übernachtung ein; Matthias baute ein kleines Zelt auf: Wir beide konnten nur abwechselnd ruhen, da einer die Eisbärenwache übernehmen musste – es war zwar eher unwahrscheinlich, dass wir Besuch eines weißen Gesellen bekommen würden, aber man weiß ja nie… Am späteren Abend habe ich dann, mit Unterstützung von Matthias, die finale Installation der GNSS-Station in Angriff genommen: Empfänger, Iridium-Modem und Regler hatte ich in meinem Gepäck mit dabei. Es waren diverse Kabel zu ziehen, die Iridium-Antenne zu montieren, Solarmodule und Windgenerator anzuschließen. Weiterhin mussten an der Stahlkonstruktion alle Schrauben nachgezogen und die Kabel befestigt sowie die Aufstellung der GNSS-Antenne geprüft werden.
Schließlich verschwand Matthias gegen halb eins (also bereits Sonnabend) im Zelt. Und es war Stille, die Sonne stand im Norden und schickte den Polartag auf eine weitere 24-Stunden-Schicht. Gegen drei weckte ich Matthias und begab mich meinerseits zur Ruhe – aber an Schlaf war nicht so richtig zu denken. Bereits gegen fünf Uhr knatterte wieder der Benzinkocher, um frischen Kaffee zu bereiten.
Aber ich hatte noch etwas zu tun, die Arbeiten an der Permanentstation waren abzuschließen. An dieser Stelle sei Lutz ein großer Dank ausgesprochen, der sich um das Design und die technische Realisierung der gesamten Installation gekümmert hatte. Kurz nach acht Uhr konnte ich den GNSS-Empfänger (ein A10 von Alberding) in Betrieb nehmen. Die ersten täglichen Statusmeldungen, die über Iridium versandt wurden, konnten bereits in Dresden empfangen werden.
Nach Aufräumen und Abbau unseres kleinen Lagers setzten wir uns gegen neun Uhr wieder in Bewegung. Südlich von Lambert Land, auf dem Zachariae Isstrøm, legten wir Stops an drei supraglazialen Seen ein. Dort konnte Matthias erfolgreich Messungen der Seetiefen durchführen, wofür ein fernsteuerbares Boot mit entsprechenden Messinstrumenten (Echolot und GNSS) eingesetzt wurde. Die tiefblau schimmernden Seen inmitten des Gletscher, dessen Oberfläche sich zu sehr variablen Topographien auftürmt, vermittelten einen ganz besonderen, nahezu surrealen Eindruck.
Gegen 12:30 Uhr waren wir schließlich zurück in Danmarkshavn, hatten damit quasi eine 24-Stunden-Schicht absolviert.
Am Sonntag zeigte sich das Wetter weiteren Flügen wohlwollend zugeneigt – es sollte aber nicht nochmal zum Inlandeis gehen, sondern auf den langen Rückflug nach Nerlerit Inaat. Kurz nach 11 Uhr können wir losfliegen und erreichen unser Ziel gegen 15:15 Uhr, wieder nach einem Tankstop in Daneborg und knapp vier Stunden Flugzeit.
Das kleine Flughafenhotel in Nerlerit Inaat war diesmal voll belegt. Glücklicherweise konnten wir unseren für den 14. Juli 2022 vorgesehenen Rückflug nach Island auf Montag (11. Juli) vorverlegen. Und tatsächlich – am Montag gegen 13:45 Uhr hob die Beechraft King Air von Norlandair ab, und wir an Bord… Grönland verabschiedete uns mit Wolken, aber auch letzten Blicken auf die Berggipfel und Gletscher südlich des Scoresby-Sundes.