Polarstern Fahrt PS104 (2017)
06. Feb. - 19. März 2017, Punta Arenas - Punta Arenas
Nach langer Anreise, geplanten und nicht geplanten Aufenthalten erreichten wir Punta Arenas, die südlichste Stadt Chiles und Tor zur Antarktis.
Hauptprojekt im wissenschaftlichen Programm der bevorstehenden Fahrt ist die marine Geologie. Unser Ziel ist die Pine-Island-Bucht, ein küstennaher Meeresbereich des Amundsenmeeres bei ungefähr 110 Grad westlicher Länge und 74 Grad südlicher Breite. Dort sollen Bohrungen in den Meeresboden getäuft werden, um die Abfolge der Sedimente und Gesteinsschichten zu beproben. Mit deren Analyse, vor allem ihrer Datierung, hoffen die Kollegen, neue Erkenntnisse zur Vereisungsgeschichte der Antarktis zu gewinnen.
Für unser geodätisches Programm ist Polarstern mit den beiden an Bord befindlichen Hubschraubern die logistische Basis, um Lokationen im Küstenbereich der Pine-Island-Bucht zu erreichen. Dort hoffen wir vor allem, geodätische GPS-Messungen (GPS: Global Positioning System) auf bereits vermarkten Felspunkten durchführen zu können. Diese stellen Wiederholungsmessungen dar, die unsere Arbeitsgruppe 2006 begonnen hat und 2010 fortsetzen konnte. Aus den wiederholten Messungen können wir die Deformation der Erdkruste ableiten, die als ein Ergebnis der Vereisungsgeschichte entsteht.
Vorerst haben wir noch Ruhe. So alles gut läuft, soll es am Dienstag losgehen. Westlich bzw. nordwestlich wird uns die geplante Route durch die Magellanstraße zum Pazifik führen, um dann Kurs Süd zu nehmen. Wie es schon gute Tradition ist, werden wir in unseren Wochenberichten von unserer Arbeit und dem Geschehen während der Polarstern-Fahrt PS104 berichten.
Am Mittwoch vormittag (08.02.) um 13:30 Uhr kam dann endlich das Signal zur Abfahrt. Der Kurs führte uns zu Beginn durch die erst westlich, dann nordwestlich verlaufende Magellan-Straße - jene natürliche Wasserstraße, die der portugiesische Seefahrer Fernao Magalhaes (span. Fernando Magallanes) bereits vor ungefähr 500 Jahren für die Europäer entdeckt hatte. Na ja, damals war die Reise bestimmt nicht so bequem wie heute - man mag sich gar nicht vorstellen, wie damals die Seefahrer in ihren Nussschalen gegen die wechselnden und durch die besondere, kanalartige Topographie der Magellan-Straße sich noch verstärkenden Winde gekreuzt sind. Am frühen Donnerstag (09.02.), gegen 03:15 Uhr Ortszeit, erreichte Polarstern den offenen Pazifik, was sich sofort durch stärkere Roll- und Stampfbewegungen bemerkbar machte.
Benjamin und ich waren nicht untätig. Gleich am Montag konnten wir unsere 16 Zargeskisten ausstauen, die auf zwei Container der Geophysik verteilt war. Im Trockenlabor 4 haben wir Arbeitsplatz und Stauraum gefunden. Dann hieß es, die Ausrüstung auspacken, sichten und sortieren, und vor allem die Akkus, die für die Stromversorgung der GPS-Stationen benötigt werden, für's Laden vorzubereiten. Auf dem Peildeck brachten wir am Dienstag zwei GPS-Antennen an, die über 30-Meter-Antennenkabel mit Empfängern verbunden wurden, die in einem Arbeitsraum ein Deck tiefer angeschlossen werden konnten. Dies hilft uns, die Empfänger zu testen und für die jeweilige Messlokation zu programmieren. Bei drei verschiedenen Empfänger-Typen nahm dies doch beträchtliche Zeit in Anspruch. Eine Besonderheit stellt das Zusammenspiel von zwei Empfängern dar, wovon der eine als Referenzstation aufgestellt werden soll. Diese Referenzstation wird über ein Funkmodem Korrekturdaten aussenden, die mit dem zweiten, beweglichen Empfänger empfangen werden können. Damit wird es möglich, auch bei sehr kurzen Beobachtungszeiten (wenige Minuten oder sogar unter einer Minute) eine wesentlich höhere Genauigkeit (Dezimeter und besser) zu erreichen als mit Navigationsempfängern, wie sie z.B. aus der Autonavigation oder dem Sport bekannt sind. Diese Technik wird als "Real Time Kinematic" (RTK) bezeichnet. Nach Rücksprache mit dem Kommunikationsoffizier durften wir am Sonnabend die Sendeantenne des Funkmodems auch auf dem Peildeck montieren, so dass wir die RTK-Messung tatsächlich testen konnten. Nach einiger Justierung aller Einstellungen gelang dies erfolgreich.
In der Nacht von Freitag zu Sonnabend wurde der 60. Breitenkreis Süd überschritten, der das Gebiet des Antarktisvertrags nach Norden begrenzt. Am Sonnabend wurde auch der erste Eisberg gesichtet, allerdings noch in einer Entfernung von 14 NM (Nautische oder Seemeilen, 14 NM = 26 km). Und in der Nacht von Sonntag zum heutigen Montag, ca. um 4:00 Uhr UTC, kreuzte Polarstern den südlichen Polarkreis, so dass wir uns nun "wirklich" in der Antarktis befinden, genauer im Antarktischen Ozean. Die Lufttemperatur beträgt 0,7 Grad Celsius, die Wassertemperatur 1,1 Grad.
Zusammen mit der Landgeologie-Gruppe der Uni Bremen erwarteten wir die Möglichkeit zu den ersten Flügen. Am Mittwoch (15.02.) früh waren es nur noch 22 Seemeilen, die uns vom GPS-Punkt PIG2 trennten. Aber leider waren die Wetterverhältnisse und auch Aussichten nicht so rosig - es schneite und war durchgehend bewölkt. Am Donnerstag (16.02.) wurde es etwas besser - beim täglichen Wetter-Briefing um 8:15 Uhr gab es grünes Licht für Heli-Flüge.
Das Schiff war mittlerweile in der südlichen Pine-Island-Bucht angekommen. Der Pine-Island-Gletscher ist einer der am schnellsten fließenden Gletscher weltweit, mit einer Fließgeschwindigkeit von mehr als 4 Kilometer pro Jahr. Über eine große Entfernung bildet er ein Eisschelf - jenseits der Zone, in der er vom auf dem Untergrund aufsitzenden Gletscher übergeht in eine aufschwimmende Eismasse. Die Front dieses Pine-Island-Eischelfs ragt ungefähr 85 Meter über die Wasseroberfläche hinaus - also müsste nach Archimedes das Eis unter der Meeresoberfläche noch über 700 Meter tief reichen.
Unser erster Flug führte uns am Donnerstag zur vermarkten Station PIG2, die auf einer der Backer-Inseln liegt, die sich an das nördliche Pine-Island-Schelfeis anschließen. Noch zwei weitere Inseln konnten besucht werden, allesamt Felskleckse im Antarktischen Ozean. Zurück zum Schiff und nach einer kurzen Mittagspause ging es gleich weiter, diesmal in südöstlicher Richtung zu einem Basalt-Plateau unterhalb des Mt. Manthe. Dort konnten wir die zweite GPS-Station (MANT) aufbauen.
Das Wetter wurde stetig besser, wenn auch nicht strahlend schön. Somit waren an den folgenden Tagen weitere Heli-Flüge möglich. Neben den GPS-Messungen sieht unser weiteres Programm vor, biogenes Material (also z.B. Übrigbleibsel von verlassenen Pinguin-Kolonien) sowie Proben von Flechten zu sammeln. Diese Proben können, falls sie zeitlich eingeordnet werden, etwas über die Vereisungs- und Meeresspiegel-Geschichte aussagen. Somit hatten wir an den drei folgenden Tagen, also von Freitag bis zum heutigen Sonntag, regelrechte Arbeitstage an Land - auf mehreren der (relativ) kleinen Inseln.
Um die Funde an Proben und Flechten einmessen zu können, vor allem hinsichtlich der Höhe, haben wir auf der nördlichsten der Backer-Inseln eine weitere GPS-Station aufgebaut (am Freitag, 17.02.). Diese ist mit einem Funkmodem und entsprechender Antenne ausgerüstet, so dass Korrektursignale ausgestrahlt werden, die mit einem beweglichen GPS-Gerät empfangen und an die eigene Messung angebracht werden können. Somit ist auch bei sehr kurzen Messzeiten eine genaue Positionsbestimmung möglich - was wichtig ist, wenn man die Proben vor allem bzgl. der Höhe präzise einmessen möchte. Für die Einrichtung dieser Referenzstation blieben wir auf der Insel - d.h., der Heli flog zurück zum Schiff, so dass wir genügend Zeit zum Arbeiten hatten. Natürlich hatten wir die bei solchen Ausseneinsätzen entsprechend notwendige Notfallausrüstung dabei.
Somit waren unsere Tage mit den Feldarbeiten auf verschiedenen Inseln mehr als gut gefüllt... Die Korrektursignale konnten wir noch bis in eine Entfernung von ca. 30 km empfangen. Das hat uns sehr erfreut, zumal nicht klar war, wie gut diese Technik hier unter antarktischen Bedingungen funktionieren würde. Am heutigen Sonntag haben wir zudem am späten Nachmittag die Ausrüstung vom Punkt MANT (am Mt. Manthe) geborgen. Damit wurden drei ganze Tage (also volle 24 Stunden) an Daten aufgezeichnet, die dann zurück in Dresden ausgewertet werden müssen.
Am Montag abend dampfte Polarstern gen Norden und verließ den innersten Bereich der Pine-Island-Bucht. Das bedeutete für uns, dass wir, nachdem wir die GPS-Station am Mt. Manthe (MANT) bereits am Sonntag vor einer Woche geborgen hatten, nun auch die beiden verbleibenden GPS-Stationen auf der südlichsten bzw. der nördlichsten Backer-Insel (PIG2 sowie BAC1) abbauen mussten. Die Messungen waren, soweit es der erste Blick auf die Daten erlaubt, erfolgreich: An PIG2 haben wir ungefähr dreieinhalb Tage, an BAC1 knapp drei Tage Daten aufzeichnen können. Der Abbau der Station BAC1 bedeutete allerdings auch, dass wir das Funkmodem zum Aussenden der GPS-Korrekturdaten ausschalten mussten, so dass im weiteren Verlauf keine (echten) RTK-Messungen mehr möglich waren.
Trotzdem Polarstern also gen Norden dampfte, in ein Gebiet mit Zentrum bei ungefähr 73,5 Grad Süd und 107 Grad West, konnten wir doch im Verlauf der Woche an fünf Tagen (den Montag eingeschlossen) weitere Flüge zu verschiedenen Inseln durchführen. Die Inseln tragen Namen wie Suchland, Brownson, Jaynes, Lindsey und Schaefer... Manchmal ist es eine einzelne, größere Insel, meistens sind es aber Gruppen von Inseln, teilweise von einem Eispanzer bedeckt, teilweise flach wie eine Flunder, sich gerade aus dem Meer erhebend... Ist man aber einmal mit dem Heli gelandet, stellt sich so manches flache Eiland als mit erheblicher Topographie versehen heraus. Wie schon im letzten Report berichtet, versuchen wir, auf den Inseln biogenes Material zu beproben, sprich kleine Mengen an Knochen, Hautstücken, Guano usw., aber auch Flechten zu sammeln. Welches Alter diese Proben haben und was sie uns über die Vereisungs- und/oder Meeresspiegel-Geschichte erzählen können, wird sich erst bei den Analysen zu Hause herausstellen.
Trotz der Bergung der GPS-Stationen PIG2 und BAC1 ist unser Geodäsie-Programm noch längst nicht zu Ende. Am Mittwoch (22.02.) besuchten wir die Clark-Insel. Diese mutet von oben wie eine riesengroße Schildkröte an - ein Panzer aus Eis, der auf über zweihundert Meter Höhe ansteigt, und an den Rändern ragen den Gliedmaßen gleich teils eisfreie Landzungen ins Meer. Auf einer solchen Felsnase am Nordrand der Insel (bei 74,1 Süd und 105,2 West) gelang es, einen weiteren neuen Punkt zu vermarken und dort eine erste GPS-Messung zu starten. Seit Mittwoch läuft also die Station CLI1, und der Empfänger zeichnet hoffentlich ununterbrochen Daten auf.
Am Montag (27.02.) begrüßte uns herrlichster Sonnenschein, das erste Mal während dieser Fahrt nahezu durchweg blauer Himmel. Das Schiff befand sich ungefähr bei 73°S und 104°W, zwischen der westlich von uns liegenden Burke-Insel und der sich von Osten kommend in das Meeresgebiet vorstreckenden King-Halbinsel. Obwohl die über das Eis hinabströmenden Fallwinde einige Turbulenzen hervorriefen, verfolgten wir, quasi schon Stammpassagiere, den spannenden Heli-Flug entlang der Südküste der King-Halbinsel, immer weiter nach Osten in die Ferrero-Bucht vorstoßend. (Nein, diese Bucht hat nichts mit Nutella oder Ferrero-Küsschen zu tun.) Die Fernsicht war überwältigend; anhand der in der Karte identifizierten "Felsnasen" von Mt. Nickens und Pryor Cliff schätzten wir diese auf bis zu 150 km ab.
Am östlichen Ende schiebt sich das Cosgrove-Schelfeis in die Ferrero-Bucht, allerdings mit einer viel geringeren Fließgeschwindigkeit als der Pine-Island-Gletscher, gut zu erkennen an der kaum ausgeprägten Scherzone an den Rändern des Eisstroms. Dort, in der hintersten, südöstlichen Ecke öffnet sich zwischen dem Schelfeis und dem Festland eine kleine Bucht, die Platz für die Molar-Insel bietet. Eigentlich handelt es sich dabei um mehrere Inseln, die größte allerdings von einem mächtigen Eispanzer bedeckt. Auf der kleineren, namensgebenden Insel (Molar = Backenzahn) gelang die Landung, so dass die Geologen und wir wieder unsere jeweiligen Feldstudien fortsetzen konnten. Auch auf dieser Insel haben wir die gesammelten biogenen Proben mittels GPS-Real-Time-Kinematik eingemessen. Etwas weiter westlich, auf einer der Inseln der Gruppe, die den schönen Namen Early Islands trägt, konnten wir ein weiteres Mal landen und arbeiten. Zurück ging es dann am Südrand der Ferrero-Bucht, entlang der Nordküste der Canisteo-Halbinsel. An dieser Küste waren schon einige Gesteinsaufschlüsse zu sehen; sicherlich braucht es aber noch etliche Jahre oder Jahrzehnte, bis so viel Fläche vom Eise befreit sein wird, dass dort Arbeiten am Boden möglich sein werden.
Dienstag (28.02.): -2,5 Grad Lufttemperatur, -1,3 Wassertemperatur, 8 Knoten (4,1 m/s) Wind am Schiff. Auf den Waite-Inseln, vor dem nordwestlichen Kap der King-Halbinsel gelegen, empfingen uns allerdings bis zu 30 Knoten (15,4 m/s) Wind - aufgrund des Windchill-Effekts bedeutet dies eine gefühlte Temperatur von -22 Grad. Da heißt es, sich mit Bedacht zu bewegen und vor allem alles festzuhalten, was nicht so schwer ist und deshalb schnell davongeweht werden könnte. Anhand der hier geschilderten Bedingungen lässt sich schon erahnen, dass das schöne Wetter von Montag leider nicht von Dauer war.
Am Mittwoch (01.03.) verdichteten sich die Wolken und reichten tief hinab, gelegentlich fiel auch Schnee. Am späten Vormittag starteten wir zur Clark-Insel, um die dort genau vor einer Woche installierte GPS-Station CLI1 abzubauen und zu bergen. Vom Schiff aus so ziemlich nach Süden ging der Flug über die 70 Meilen (130 km) flott vonstatten - bei einem Rückenwind von bis zu 50 Knoten (25,7 m/s, nach der Beaufort-Skale Windstärke 10 und "Schwerer Sturm") kein Wunder. Die Landung vor Ort gelang problemlos, die Ausrüstung war rasch geborgen, und nach dem Verstauen und dem Errichten eines kleinen Steinmanns traten wir den Rückflug an. Dieser dauerte, nun dem Wind entgegen, gut eine Viertel Stunde länger als der Hinflug. - Aber wir waren froh, die Station einholen zu können, mit sechs vollständigen Tagen an Daten. Damit ist eine prima Erstmessung auf der Clark-Insel gelungen - und ein weiterer guter Grund gegeben, für eine Wiederholung wiederzukommen, sobald sich die Gelegenheit ergibt...
Am heutigen Sonntag befindet sich Polarstern auf westlichem Kurs, um weitere Bohrlokationen anzusteuern. Morgen beginnt die letzte Woche, die wir noch im Arbeitsgebiet verbringen werden, bevor Polarstern wieder Kurs gen Nord nehmen wird.
Vor einer Woche fuhr Polarstern in den westlichen Teil des Arbeitsgebiets, ungefähr zwischen 111°30' und 114°30' westlicher Länge und bei 73°15' südlicher Breite. Allerdings konnten wir weitere GPS-Punkte auf der Bear Peninsula und am Mt. Murphy nicht mehr erreichen, den Wetterbedingungen, der Eissituation und der schließlich knapper werdenden Zeit geschuldet.
Zumindest unternahmen wir am Montag (06.03.) den Versuch, einen weiteren Gesteinsaufschluss auf der Martin Peninsula anzufliegen, etwa 60 NM (110 km) vom Schiff entfernt gelegen. Der Heli startete von Polarstern bei tief hängenden Wolken und einer ordentlichen Portion Wind. In Nähe der sich nach Norden erstreckenden Martin Peninsula klarte der Himmel auf - dafür nahm der Wind gehörig an Stärke zu. Schließlich gelang es dem Piloten, den Helikopter sicher auf einem an der Oberfläche extrem stark verwitterten Nunatak (den Siglin Rocks) zu landen.
Allerdings machten die stürmischen Bedingungen einen längeren Aufenthalt unmöglich. Die Windgeschwindigkeit erreichte ungefähr 55 kn (gleich 10 bis 11 Beaufort oder 28 m/s oder 102 km/h), die gefühlte Temperatur aufgrund des Windchill-Effekts minus 23 Grad... Sich in Windrichtung zu drehen war nahezu unmöglich, die durch den Sturm mitgerissenen Eispartikel prasselten wie ein Sandstrahlgebläse auf uns ein. Die Geologen konnten eine Gesteinsprobe nehmen, wir eine Probe von Flechten, die sich erstaunlich zahlreich auf dem verwitterten Gestein herausgebildet hatten - zwischen Landung und Start lagen gerade mal zehn Minuten. Bei sicherem Rückflug konnten wir die Macht der Natur bewundern: Der den knapp 700 Meter hoch reichenden Eispanzer der Martin Peninsula überströmende Sturm nahm auf der Leeseite durch die zusätzliche Fallkomponente noch an Stärke zu und führte an der dem offenen Meer zugewandten Eisabbruchkante zu enormen Turbulenzen. Die aufgewirbelten und mitgerissenen Eispartikel, die uns auch bei der kurzen Landung zusetzten, zeigten eindrucksvoll die Strömungslinien an.
Die letzten von Polarstern aus realisierten Beprobungen und Messungen dauerten bis in die frühen Morgenstunden des gestrigen Sonnabends (11.03.) an. Seitdem (Sa. 6:00 Uhr) befindet sich Polarstern auf dem Rückweg gen Norden. Gestartet so ziemlich genau bei 72° Süd und 110°30' West befanden wir uns 24 Stunden später bereits bei 68°30' Süd und 101°45' West. Die Wassertemperatur ist von minus ein Grad auf plus drei Grad gestiegen. Nachdem wir im Amundsenmeer an fliegenden Vögeln nur die Antarktis-Skua (eine Raubmöwenart) und den kleineren Schneesturmvogel (mit dem schönen lateinischen Namen "Pagodroma nivea") sichten konnten, tauchten nun Kapsturmvogel, Antarktis-Sturmvogel, Antarktischer Eissturmvogel und Rußalbatros auf und begleiteten teilweise zahlreich das Schiff.
Am letzten Sonnabend in der Frühe trat Polarstern die Passage über den Südpazifik gen Norden an. Der Wettergott meinte es gut mit uns, Wind und Wellen blieben gemäßigt. Lediglich in der zweiten Wochenhälfte brachten die Ausläufer des Tiefs Sturm bis 8 Bft (35 bis 40 Knoten). Am Montag (13.03.) überquerten wir um 00:14 Uhr Bordzeit (05:14 UTC) den südlichen Polarkreis, und am Dienstag (14.03.) um 21:50 Bordzeit (02:50 UTC am 15.03.) den 60. Breitenkreis Süd, der die Grenze der Antarktis nach dem Antarktisvertrag darstellt. Damit hatten wir die Antarktis endgültig verlassen.
Der Kurs beinhaltete auch eine erhebliche Ostkomponente, da wir von 110 Grad westlicher Länge ungefähr 40 Längengrade bis Punta Arenas zu überschreiten hatten. Demzufolge wurde die Uhr in drei Schritten um insgesamt drei Stunden verstellt, so dass wir uns bereits seit Freitag nach chilenischer Zeit richten (Zeitunterschied zu Deutschland: vier Stunden).
Das Messprogramm war beendet. Was folgte, waren die üblichen Arbeiten, die mit dem Ende eines solchen Programms und der Fahrt einhergehen: die wissenschaftliche Fracht packen und die dazugehörigen Dokumente erstellen, unsere 16 Kisten in den entsprechenden Container verstauen, und schließlich auch die Polarkleidung in den jeweils zwei Seesäcken verpacken. Ausserdem waren Fahrtbericht und weitere Dokumentation fertig zu stellen.
Am Freitag (16.03.) erreichten wir den westlichen Eingang der Magellanstraße. Schlagartig nahm die Roll- und Stampfbewegung des Schiffes ab. Ein schlaftrunkener Blick auf die Uhr zeigt 04:22 Uhr... Später informierte uns ein Blick auf die Anzeige im Intranet: 10,3 Grad Lufttemperatur und starker Wind in Fahrtrichtung. Wir lagen sehr gut in der Zeit, da es bei der Überfahrt zu keinen Verzögerungen kam, die z.B. möglich sind, wenn das Schiff wegen starkem Sturm langsamer fahren oder in den Wind gedreht werden muss. Mit 7 Knoten ging es nun die Magellanstraße entlang, und am späten Sonnabend Vormittag erreichten wir Punta Arenas. Hier wurde zuerst die Bunkerpier angesteuert, um das Bunkern (d.h. das Betanken) zu realisieren. Polarstern hatte während der sechswöchigen Reise 5881 Seemeilen (= 10892 Kilometer) zurückgelegt, das entspricht einem Viertel des Erdumfangs.
Die Polarstern-Fahrt PS 104 startet am 06. Februar 2017 in Punta Arenas, Chile. Zwei Mitarbeiter unseres Instituts werden dabei mit an Bord sein. Ziel der Expedition ist die Pine Island Bucht im Küstenbereich des Amundsenmeers, Westantarktis. Die Dresdner Geodäten planen, an mehreren Lokationen präzise GPS-Messungen auf Fels durchzuführen.
Ein großer Teil des antarktischen Eismassenverlustes hängt mit dynamischen Veränderungen des Westantarktischen Eisschildes (WAIS) zusammen. Dabei sind die großen Auslassgletscher des WAIS im Gebiet des Amundsenmeeres besonders sensitive Gebiete. Von Ost nach West sind dies Pine-Island-Gletscher, Thwaites-Gletscher und das System von Pope-/Smith-/Kohler-Gletscher. Aktuell rückt diese Region daher verstärkt in den Fokus einer intensivierten, multidisziplinären Forschung.
Zur zuverlässigen Schätzung der Eismassenbilanz - vor allem des Eismassenverlustes im Bereich des WAIS - kommen geodätischen Methoden der Satellitengravimetrie und Satellitenaltimetrie zum Einsatz. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen müssen um Effekte korrigiert werden, die auf Höhenänderungen der Erdoberfläche, d.h. der vertikalen Deformation der Erdkruste, zurückzuführen sind. Diese beruhen vor allem auf glazial-isostatischen Ausgleichsbewegungen (GIA) im Zuge der Vereisungsgeschichte seit der letzten Eiszeit. Die Massenänderung des Eisschildes seit dem letzten glazialen Maximum vor ca. 20.000 Jahren - also v.a. Massenverlust - als auch heutige Eismassenänderungen bewirken Hebungen bzw. Senkungen der Erdkruste. Die präzise Bestimmung dieser Krustendeformation ist jedoch nach wie vor eine der größten Herausforderungen. Geodätische GPS-Messungen stellen die einzige Methode dar, diese (vertikalen) Deformation direkt vor Ort zu messen.
Bereits in den Jahren 2006 und 2010 haben wir an vier Lokationen in dieser Region geodätische GPS-Messungen durchgeführt. Während der diesjährigen Fahrt sollen diese Punkte erneut besetzt und vermessen werden. Mit der verlängerten Zeitbasis der Beobachtungen erhoffen wir uns eine verbesserte Zuverlässigkeit und Genauigkeit der abgeleiteten Ergebnisse. Dabei erwarten wir Höhenänderungen im Bereich von mehreren Zentimetern pro Jahr.
Am 18. März soll die Polarstern wieder in Punta Arenas einlaufen. Bis dahin berichten wir regelmäßig von den Arbeiten unserer Kollegen Mirko Scheinert und Benjamin Ebermann an Bord der Polarstern und an der Küste der Antarktis.