Polarstern ANTXXVI/3 Pine Island Bucht 2010
Polarstern-Fahrt ANT XXVI/3 30.01.-05.04.2010 in die Westantarktis
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Geodätische Arbeiten in der Westantarktis
Der Fahrtabschnitt ANT-XXVI/3 von F/S Polarstern führte in das Gebiet der Amundsensee, Westantarktis. Dort sollte vor allem die Pine-Island-Bucht besucht werden. Die Westantarktis und insbesondere das anvisierte Arbeitsgebiet zeichnen sich durch eine erhebliche negative Eismassenbilanz aus. D.h. Beobachtungen zeigen ein deutliches Abschmelzen in dieser Region. Darüberhinaus weisen die Fließgeschwindigkeiten und die Massenänderungen der in die Pine-Island-Bucht und angrenzende Meeresgebiete mündenden Gletscher große Variabilitäten auf. Zu diesen Gletschern gehören insbesondere der Pine-Island-Gletscher und der Thwaites-Gletscher.
Neben Geophysikern, Geologen, Ozeanographen und weiteren Wissenschaftlern arbeitete auch eine Gruppe unseres Instituts an Bord von Polarstern. Das eigentliche Arbeitsgebiet und für uns vom größtem Interesse war dabei die Küstenregion der Pine-Island-Bucht: bereits eingerichtete GPS-Punkte auf Felspunkten sollten wiederbesetzt und wiederholt beobachtet werden. Dabei wurden die Positionen der Punkte präzise bestimmt. Aus dem Vergleich dieser Koordinaten mit den bereits vorliegenden Ergebnissen der Messungen aus dem Jahr 2005 konnten Koordinatenänderungen abgeleitet und auf die Bewegung der Punkte geschlossen werden.
Besonders in der vertikalen Komponente erwarten wir erhebliche Koordinatenänderungen, die durch vertikale Bewegungen der Erdkruste aufgrund des glazial-isostatischen Ausgleichs (GIA) hervorgerufen werden. Die viskoelastischen Eigenschaften vor allem des (oberen) Erdmantels und die elastische Eigenschaft der Erdkruste führen aufgrund der wechselnden Auflasten durch Eismassenänderungen zu messbaren Deformationen. Ein wichtiger Bestandteil bei der Modellierung des GIA-Effekts ist daher die gesamte Historie der Eismassenänderungen – also insbesondere die Entwicklung der westantarktischen und ostantarktischen Eisschilde seit der letzten Eiszeit –, aber auch die bereits angesprochenen, erheblichen rezenten Eismassenänderungen. Die Ergebnisse der geplanten Messungen können als unabhängige Information zur Validierung und Verbesserung von Modellen, die den GIA-Effekt prädizieren, genutzt werden.
31.01.2010
Vor wenigen Stunden drehten wir nach Süden ab und befinden uns nun auf dem direkten Kurs in Richtung Antarktis. — Aber der Reihe nach: Nach ca. 26h Flugzeit und 20.910 km zurückgelegter Flugstrecke von Dresden nach Wellington erreichten wir die FS Polarstern, die dort am Pier festgemacht hatte, und bezogen unsere Kammer.
Da Wellington über einen für Polarstern relativ flaches Hafenbecken verfügt, musste das Bunkern, also das Betanken des Schiffes, in Lyttelton vorgenommen werden. Dort angekommen sollte das Pumpen in den Schiffsbauch der 2.500 Kubikmeter Diesel den ganzen Sonnabend in Anspruch nehmen, was für uns einen Tag Landgang bedeutete. Lyttelton ist übrigens der kleine Hafenort von Christchurch, jedoch mit großem Anteil an den ersten Südpolarexpeditionen. So starteten von hier namhafte Abenteurer zur Erkundung und Entdeckung der Antarktis. Unter ihnen Robert Falcon Scott, dessen Team im Wettlauf um das Erreichen des Südpols Roald Amundsen unterlag und auf dem Rückweg tragischer Weise wenige Meilen vor dem nächsten Proviantlager ums Leben kam.
07.02.2010
Seit Montag sind wir auf beständigem Kurs gen Süden, mit einzelnen Kurskorrekturen in östlicher Richtung. Am gestrigen Sonnabend überquerten wir schließlich so gegen zehn Uhr Bordzeit (also 22 Uhr MEZ) den sechzigsten Breitengrad Süd. Diese Breite ist von "magischer Wirkung" - nach dem Antarktisvertrag ist das gesamte Gebiet südlich von 60 Grad Süd - Antarktis! Diese Grenze fällt auch, mehr oder weniger gut, mit verschiedenen tatsächlichen Grenzen oder Übergangszonen zusammen. So überschritten wir die Grenze zur polaren Kaltfront, was sich z.B. im Absinken der 0-Grad-Isotherme (der Lufttemperatur) von vorher ca. 2100 m auf nun ca. 400 m äußerte. Es wurde also innerhalb kurzer Zeit spürbar kälter; auch die Wassertemperatur des südlichen Pazifiks sank nun schnell auf einstellige Werte (nunmehr bis Nahe Null), da wir also auch in den Übergangsbereich zur antarktischen Zirkumpolarströmung gerieten. Und bald war auch die Sichtung des erste Eisbergs zu vermelden, der zwar mehr schemenhaft im fernen Dunst vorbei zog, aber immerhin… Gleichfalls sank die Höhe der Tropopause (der oberen Grenzschicht der Troposphäre, in der sich im wesentlichen das Wetter abspielt) von ca. 12 km auf ca. 9 km. Und nicht zuletzt überschritten wir die Grenze von der pazifischen zur antarktische Platte, die in der von uns befahrenen Meeresgegend eben auch bei ca. 60 Grad Süd auszumachen ist.
Die Plattentektonik - das "Schwimmen" der Kontinental- und ozeanischen Platten auf einem zähflüssigen Bereich des oberen Erdmantels (der Asthenosphäre), ihr gegenseitiges Auseinanderdriften (an den mittelozeanischen Rücken) oder Annähern (Kollission und Subduktion) - spielt eine wichtige Rolle für unsere Polarstern-Expedition. Das plattentektonische Regime zu untersuchen und natürlich die tektonische Situation im Detail zu studieren und vor allem mit der Entwicklung des westantarktischen Eisschildes zu verbinden ist ein Hauptziel des aktuellen Fahrtabschnitts von Polarstern. Demzufolge stellt die Geophysik auch die von der Wissenschaftlerzahl her stärkste Gruppe an Bord. Es werden z.B. Ozeanbodenseismometer (die sog. OBSe) ausgebracht und mit diesen sowie mit einem vom Schiff geschleppten Streamer (einem bis 3 km langen Kabel, an dem kleine seismische Sensoren angebracht sind), das wiederkehrende Signal aufgezeichnet, was von einer auf Polarstern installierten Luftkanone (airgun) erst erzeugt wird und sich anfangs also im Ozeanwasser und dann in den Sediment- bzw. Gesteinsschichten des Ozeanbodens ausbreitet und dort vielfach gebrochen (refraktiert) und reflektiert wird. Unsere TU Dresden - "Minigruppe" wird mit den GPS-Messungen auf dem Felsuntergrund der westantarktischen Küstenregion zum Studium der Eisgeschichte und Tektonik beitragen können - aber dazu in einem späteren Bericht mehr.
14.02.2010
Am Montag dieser Woche haben wir dann den südlichen Polarkreis, also die südliche Breite von ca. 66,5 Grad überfahren. Nun bewegen wir uns wirklich in antarktischen Gewässern, von der Ross-See in östlicher Richtung auf die Amundsen-See zu.
Von Schiff und Helikopter aus wurde und wird fleißig geophysikalisch kartiert: Die Seismik mit Hilfe der Luftkanone und den seismischen Sensoren im Streamer hatten wir bereits erwähnt. Die Auflösung dieses Verfahrens reicht kilometerweit in die Tiefe des Ozeanbodens: So können z.B. bis 4 km mächtige Sedimentschichten über dem anstehenden Gestein ausgemacht werden. Diese Sedimente wurden durch die während der letzten Eiszeit (und womöglich vorangegangener Zyklen) vorgestoßenen Gletscher abgelagert. In den Karten der Meeresbodenoberfläche, die durch einen an Bord laufenden Fächersonar gewonnen werden, sind in den ehemaligen Ausflusstälern die Kratz- oder Schleifspuren des Eises zu erkennen: kilometerlange Linienstrukturen, die sich vorrangig senkrecht von der Küste aus in das heute vom Ozean bedeckte Gebiet hineinziehen. Mit einem weiteren Verfahren, dem Parasound, können die obersten Schichten der Sedimentablagerungen detaillierter in ihrer Abfolge erfasst werden. Die marinen Geologen holen mit Hilfe eines Kastengreifers oder eines Schwerelots Sedimentproben herauf; dann wird Schicht um Schicht datiert und, so das alles gut funktioniert, kann man eine zeitliche Einordnung vornehmen und damit den zeitlich-örtlichen Verlauf des letzten glazialen Vorstoßes rekonstruieren. Klar, das Ganze ist ein Indizienprozess, und so bedarf es noch weiterer Verfahren, um die Glazialgeschichte zuverlässiger rekonstruieren zu können. Als ein letztes geophysikalisches Verfahren muss die Magnetik genannt werden - dazu werden ausgedehnte (natürlich gedachte) Gitter mit dem Helikopter abgeflogen, wobei der Heli eine Magnetfeldsonde (einen sog. Bird) an einem Seil hängend schleppt. Da stellt sich für die Piloten und ein, zwei Wissenschaftler an Bord des Helis vor allem eine Fleißaufgabe, wenn Kilometer um Kilometer in konstanter Höhe zurückgelegt werden, unter sich nur die endlose Weite des Meeres, gesprenkelt durch ein paar Eisberge…
21.02.2010
Montag, 15. Februar
Um zehn treffen wir uns in größerer Runde, um die für diese Woche geplanten Operationen an Land und auf dem Schelfeis zu besprechen. Die Schiffsroute wird uns in das Gebiet von ca. 74,2 bis 74,6 Grad Süd, von 136 bis 132 Grad West führen. Dort findet man das westliche Ende des Getz-Schelfeises, nicht mal 100 Kilometer von der weiter westlich gelegenen russischen Antarktisstation Russkaya entfernt. Auf den Satellitenbildern und den Eiskarten, deren regelmäßiger Empfang durch die Bordwetterwarte sichergestellt wird, war ein weitestgehend eisfreies Meeresgebiet vor dem Getz-Schelfeis auszumachen, eine Polynia. Am Mittwoch, so die Planung, würden wir in Reichweite der Küste kommen. Polarstern soll bis Freitag abend, Sonnabend vormittag in diesem Gebiet verbleiben. Für uns die erste Möglichkeit, eine GPS-Station auf dem Schelfeis aufzubauen, um dessen Bewegung zu messen und vor allem festzustellen, ob das Schelfeis an dem Messpunkt wirklich schwimmt und also das Auf und Ab der Ozeangezeiten mitmacht.
Dienstag, 16. Februar
Es gibt immer noch etwas, was auf dem Schiff besorgt, was geschraubt und vormontiert werden muss. Mit Unterstützung des Zimmermanns werden die Bretter und Leisten vorbereitet, aus denen auf dem Eis eine kleine Auflagestruktur für die Zargeskiste, die GPS-Empfänger und Batterien aufnehmen wird, montiert werden soll. Dann schließlich ist der GPS-Empfänger programmiert, die Ausrüstung gepackt. Der Inhalt der roten "Survival Bag"-Kiste liegt im Helihangar bereit.
Mittwoch, 17. Februar
Die Aussichten für's Wetter deuten eher auf Besserung und Abschwächung des Tiefs, was uns die letzten Tage begleitet hatte. 10:30 Uhr. Es geht los! Wir sind komplett in Polarkleidung und mit unserer Ausrüstung auf dem Helideck, kurz nach elf startet der Heli zu unserem ersten Einsatz. Zunächst geht es ca. 20 Meilen übers Wasser, dann wird die Schelfeiskante erreicht. Anfänglich schlechte Kontraste über dem Eis bessern sich im Laufe des Fluges, so dass wir problemlos den von uns geplanten Punkt erreichen. Dieser liegt mitten auf dem Getz-Schelfeis, zwischen Shepard- und Grant-Insel, die in den Rand des Schelfeises eingebunden sind, und der Küstenlinie, dort wo das gegründete Eis beginnt aufzuschwimmen. Der Eindruck vor Ort entspricht der aus Satellitenbildern entnommenen Oberflächenstruktur des Eises: Wir haben eine eben erscheinende, spaltenfreie Eisfläche vor uns. Einen im Satellitenbild detektierten Eis-Rumple (quasi eine Felsspitze, die aus dem Untergrund heraussteht und das Schelfeis fixiert) können wir während des Fluges als flachen Hügel detektieren. Ungefähr zehn Meilen davon entfernt landen wir problemlos. Nach 75 Minuten ist die Station aufgebaut. Die erste GPS-Station dieser Reise hat ihre Messung aufgenommen!
Donnerstag, 18. Februar
Der Schneesturm wütet den gesamten Tag, mit Windstärken um Bft 9 (22 bis 25 m/s) und Böen bis an die Grenze von Bft 10 zu 11 (ca. 28 m/s). Da wir uns in einem Seegebiet befinden, dass sich nahe der Küste befindet und locker von Eisschollen bedeckt ist, bilden sich keine hohen Wellen aus. Polarstern kann so das für die Bathymetrie-Messungen geplante Gitter abfahren. Aber es ist definitiv kein Flugwetter!
Freitag, 19. Februar
Der Sturm vom Vortag hat sich abgeschwächt, aber dicke, tiefhängende Wolken scheinen jeden Helikoptereinsatz zu verhindern. Gegen Mittag wird es heller, es sieht vielversprechend aus, vielleicht wird es im Laufe des Nachmittags besser. So vergeht ein merkwürdiger Tag - Hoffen und Warten, immer wieder Gänge zum Meteorologen und auf die Brücke, der sehnsüchtige Blick geht nach Süden zur Schelfeiskante. Am späten Nachmittag entschließen sich Schiffs- und Fahrtleitung, näher an die Eiskante heranzufahren. Wir kommen bis auf wenige Meilen an die Shepard-Insel heran. Diese präsentiert sich mit einem Hut aus Wolken, nebelartige Schwaden ziehen vom Eis herab, der Wind, zwar kein Sturm, aber immer noch stark, wirbelt Schneefahnen von der Eiskante und zieht Wellenstreifen übers Meer. Für einen Flug auf's Schelfeis hinauf sind die Bedingungen nicht günstig. Am morgigen Sonnabend wird Polarstern immer noch in guter Reichweite zu unserer GPS-Station sein.
Sonnabend, 20. Februar
07:00 Uhr. Wir sind an der Bordwetterwarte. Die Wettersituation sieht besser aus, es gibt zwar immer noch viele Wolken, aber es ist heller geworden, und Richtung Ost, in unserer Zielrichtung, scheinen sich sogar Lücken aufzutun. Wir gehen frühstücken.
08:00 Uhr. Erneut sind wir zusammen mit den Piloten beim Meteorologen. Die Entscheidung, zu fliegen, wird getroffen. Schnell haben wir die Polarkleidung angelegt und die paar Sachen gepackt, die mitzunehmen sind - ein bisschen Werkzeug, das Satellitentelefon, natürlich wird die Überlebensausrüstung in den Heli gepackt.
08:35 Uhr. Wir starten. Bis zur GPS-Station sind es ca. 44 Seemeilen, also 80 Kilometer. Ungefähr 10 Meilen geht es erst einmal übers Wasser; auf den Schollen sind vereinzelt Adelie- und Kaiserpinguine zu sehen, ab und an auch eine Robbe oder sogar ein Seeleopard. Dafür haben wir jetzt nicht so recht Augen. In Flugrichtung die Schelfeiskante ist frei, auch dahinter scheint es gut auszusehen. Richtung Ost vergrößert sich der helle Bereich - tut sich dort sogar eine Lücke auf? Die Schelfeiskante wird erreicht, und auch über dem Eis sieht es gut aus. Wir sind optimistisch. Ich mache den Piloten auf eine in niedriger Höhe dahinsegelnde weiße, federleichte Wolke aufmerksam, eher ein Wölkchen… In diesem Moment ist mir noch nicht klar, dass dieses Wölkchen als Vorbote zu verstehen ist.
Noch 20 Seemeilen bis zum Punkt. Die niedrigen Wolken sammeln sich nun zuhauf, bilden eine langsam dichter werdende Schicht über der Eisoberfläche. Oberlächenstrukturen sind schwer oder nicht mehr zu erkennen. Der Pilot weicht vom Kurs nach links ab, versucht die hereinschwebende Wolkenschicht, von der wir nicht wissen, wie breit und wie hoch sie wirklich ist, zu umfliegen. Acht komma fünf Seemeilen von unserer Station entfernt geht es nicht mehr weiter. Mit dem Heli von dieser aufliegenden Wolkenschicht umschlossen zu werden, wäre gefährlich, im "White Out" gibt es kein Oben und kein Unten, hat man auf dem Eis stehend oder fahrend wenigstens noch die Eisoberfläche als Untergrund, so sind für den Heli alle Raumrichtungen gleich.
09:30 Uhr. Wir sind zurück am Schiff, landen auf dem Helideck. Die gute Nachricht ist - natürlich - dass wir wohlbehalten wieder zum Schiff zurückgekehrt sind. Die schlechte Nachricht, dass wir also die GPS-Ausrüstung vorerst nicht zurückholen konnten. Im weiteren Verlauf dieses Tages schauen wir immer wieder bei den Meteorologen vorbei - eine erneute Chance zu fliegen eröffnet sich nicht.
Sonntag, 21. Februar
Polarstern bewegt sich wieder weiter nach Norden. Die bathymetrische Vermessung des Meeresgebietes vor dem Getz-Schelfeis wird abgeschlossen. Nun fahren wir parallel zu der Route, auf der wir auf das Schelfeis zugefahren sind. Eine grundlegende Wetterbesserung hat noch nicht eingesetzt. Die Wolken hängen ohne jede Lücke tief am Himmel; die See ist so glatt, dass man sich fast spiegeln könnte. Polarstern folgt einer kaum sichtbaren, aber sehr langen Dünung mit einem langsam verlaufenden, aber erheblichen Stampfen.
28.02.2010
Am Montag beendete Polarstern den Aufenthalt im Gebiet des Getz-Eisschelfes und dampfte wieder nach Norden. Bei ca. 72.1 Grad Süd und 136 Grad West wurde eine Kurve eingelegt und Kurs Ost aufgenommen, um ein weiteres, langes Seismik-Profil zu fahren.
Am Donnerstag unternahm Polarstern wieder eine wesentliche Richtungsänderung: nun wurde Kurs auf die Pine-Island-Bucht genommen, die zum großen Teil das eigentliche Hauptarbeitsgebiet der Expedition ist. Die Pine-Island-Bucht liegt ungefähr zwischen 102 und 110 Grad West und 73 und 75 Grad Süd. Zwei der mächtigsten Gletscher der Antarktis kalben hier: der Pine-Island-Gletscher und der Thwaites-Gletscher. Insbesondere der Pine-Island-Gletscher ist von großem Interesse, da er mit einer Fließgeschwindigkeit von über drei Kilometer pro Jahr und aufgrund seiner Dimensionen gewaltige Eismassen aus dem westantarktischen Eisschild freisetzt.
Der neue Kurs brachte uns so langsam in die Nähe der Lokationen, die wir aufzusuchen beabsichtigen, um dort GPS-Messungen durchzuführen. Deshalb bereiteten wir im Laufe des Donnerstages alles für einen ersten Einsatz vor. Und so kam es am Freitag früh zu einem Frühstart - 6:35 Uhr klingelte der Wecker, und 7:15 Uhr starteten wir bereits mit dem Helikopter in Richtung Süden. Dort war in ca. 170 Kilometer Entfernung die Bear Peninsula (Bären-Halbinsel) unser Ziel. Und wirklich, diesmal zeigte sich das Wetter von der besten Seite: Über dem Schiff hing noch eine ausgedehnte Wolkendecke, die wir aber bald unterflogen hatten, und dann erwartete uns blauer Himmel und Sonnenschein bis zum Horizont… Die Erhebungen des Mt. Murphy und sogar - in über 250 Kilometer Entfernung - des Mt. Takahe waren bald auszumachen. Mt. Takahe ist - wie Mt. Siple - ein Vulkan und mit ca. 3400 m Höhe ein gewaltiger Kegel über dem ansteigenden Inlandeis.
Am gestrigen Sonnabend erneut südwärts in die innere Pine-Island-Bucht hineindampfend, wurde dann für den heutigen Sonntag eine Position östlich des Thwaites-Gletscher avisiert. Aufkommender Seerauch verhinderte jedoch bald jeden Heli-Flug. Der Blick auf's Thermometer ließ aufmerken: -10, bald -12 bis -14 Grad Celsius … Kalte Luft kam von Osten/Südosten vom Eis herunter. Über dem nun über zehn Grad wärmeren Ozean bildete sich der Nebel, Seerauch genannt, so wie im Spätsommer und Frühherbst in Deutschland vielfach Frühnebel über noch warmen Seen oder Flüssen zu beobachten sind. Also wieder warten … und schließlich hatten wir doch noch Glück. Gegen halb drei am Nachmittag starteten erst die Geologengruppe und danach wir. Unser Ziel war nun der Mt. Manthe, ca. 60 Kilometer von der Schiffsposition entfernt, östlich des Pine-Island-Gletschers. Wir bauten die GPS-Station auf und schalteten den Empfänger ein. Auf Mt. Manthe, eher am Rande des ansteigenden Berges auf einem Plateau aus vulkanischem Gestein, war schon der kurze Aufenthalt ein Erlebnis, genauso aber auch der Flug über den Pine-Island-Gletscher zurück zum Schiff. Der Gletscher mit seiner sehr hohen Fließgeschwindigkeit trifft im Randbereich auf wesentlich langsamer fließende Gletschergebiet, so dass sich eine gewaltige Scherzone ausbildet. Riesige Spalten und irreguläre Eisgebilde geben dieser Zone Gesicht. An der Front brechen Eisblöcke ab, die gut und gern 3 mal 5 km Ausdehnung aufweisen und bis zu 1000 Meter dick sind…
07.03.2010
Sonntag war das Glück auf unserer Seite, sprich, das Wetter öffnete ein Fenster für uns, so dass wir zum Mt. Manthe fliegen konnten - so berichtet im letzten Wochenbericht. Danach wurde dieses Fenster wieder geschlossen… Später dampfte Polarstern wieder ein Stück nach Norden, umhüllt von Dunst und Wolken… und so näherten wir uns einer weiteren Stelle an, wo wir eine GPS-Station auszubringen gedachten. Am nördlichen Ende des Pine-Island-Schelfeises (genauer: "Pine Island Northern Ice Shelf") befindet sich eine Reihe von Granitinseln. Wir konnten vom Helideck fast rüberspringen auf "unsere" Insel - nicht mal zwei Seemeilen waren wir entfernt. Dort bauten wir die GPS-Station PIG2 auf. Ein einsamer Pinguin war der einzige Wächter der Insel, den wir tunlichst in Ruhe ließen.
Auch Mittwoch war die Bewölkung noch durchgehend dicht. Aber die Wetteraussichten wiesen wieder auf ein Fenster hin, das sich öffnen sollte. Deshalb dampfte Polarstern gen Westen, die weit ins Meer hinausragende Zunge des Thwaites-Gletschers umschiffend, um einen Wegpunkt vor dem Crosson-Eisschelf anzusteuern. Wir waren mit der Vorbereitung der Landoperationen beschäftigt. Das aus unserer Sicht wichtigste Ziel war es, die GPS-Station auf der Bären(halb)insel zu bergen. Das Ziel der Geologen war zum einen auch das Gebiet des Mt. Murphy, zum anderen die ca. 80 bis 100 Kilometer weiter westlich gelegene Bergkette der Kohler Range (besser: eine Reihe Nunatakker).
So ging es am Donnerstag beizeiten los - 07:35 startete der erste Heli, Richtung Mt. Murphy, mit zwei Geologen vom British Antarctic Survey und einem Geodäten. Nach der Beprobung im Gebiet des Mt. Murphy ging es zur Bären(halb)insel, wo die Geologen auch Beprobungen durchführten. Unsere GPS-Station BEAR stand unversehrt; der spannende Augenblick ist, wenn der Deckel der Zarges-Box geöffnet wird - der Empfänger blinkte mit allen LEDs, also alles in Ordnung… Mit etwas Wehmut schauten wir später zu, wie sich die Wolkendecke über Mt. Murphy, Kohler Range und Bear Peninsula wieder schloss…
14.03.2010
Polarstern fährt einen weiten Bogen nach Norden, um in einem Gebiet ein langes Seismikprofil aufzunehmen, in dem dies so bisher nicht möglich war. Das Ende des Profils war gestern erreicht. Danach wurden sog. OBS (Ocean Bottom Seismometers) ausgebracht, die aber schon wieder eingeholt werden, und damit verknüpft sind wieder Stationsarbeiten der Ozeanographie und später der marinen Geologie. Am heutigen Sonntag wölbt sich über Polarstern der graue, wolkenverhangene Himmel, nur am Horizont sind ein paar Lichtstreifen zu sehen. Die See ist relativ ruhig, die leichte Dünung ist kaum zu spüren. Ab und zu kommen wir an einem der Eisberge vorbei, die scheinbar unbewegt im Ozean verharren. Für uns gab es diese Woche nicht viel zu tun, was die Landaktivitäten angeht. So verbrachten wir viel Zeit mit Arbeiten am Computer.
21.03.2010
Heute ist Herbstanfang - auf der Südhalbkugel. Hier im Gebiet der Amundsensee verabschiedet sich der antarktische Sommer unmerklich - kündigt sich sein Scheiden sonst mit schlechter werdendem Wetter und sinkenden Temperaturen an, so konnten wir diesmal nicht viel auf solche Ankündigungen geben, da das mehr oder weniger wolkenverhangene Wetter und die für hiesige Breiten mit gerade ein, zwei Grad Minus relativ hohen Temperaturen unsere ständigen Begleiter sind. Heute nun, wie gesagt zum Herbstanfang, wird es auch mal kalt - minus elf Grad zeigte das Thermometer heute früh. Auf dem Ozean bildet sich ein erste, zarte Schicht hauchdünnen Eises, die die Bugwellen von Polarstern dämpft und die Wasseroberfläche wie einen öligen Film aussehen lässt.
Der Wetterbericht von Montag abend versprach ein Fenster guter Wetterlage für maximal einen Tag. Der Fahrtplan wurde kurzfristig geändert, Polarstern dampfte in der Nacht zum Dienstag auf kürzestem Wege gen Südosten, in Richtung innere Pine-Island-Bucht. Am Dienstag früh erspähten wir eine uns vertraute Gegend: die kleine Felsinsel, auf der sich die GPS-Station PIG2 befindet, gelegen kurz vor der Eiswand des nördlichen Pine-Island-Eisschelfes. Aber noch war das Wetter nicht so vielversprechend für einen längeren Flug in Richtung Inlandeis. Deshalb starteten zunächst die Geologen zum "Insel-Hüpfen" - zusammen mit unserer "GPS-Insel" liegt eine Anzahl von mehr oder weniger kleinen Inseln und Inselchen hier in diesem Gebiet der inneren Pine-Island-Bucht, gleich einem Schärengürtel, wie man ihn vor der schwedischen oder finnischen Küste in der Ostsee findet, und diese Inseln sollten geologisch beprobt werden. Aber mit fortschreitender Stunde wurde in südlicher Richtung der Himmel freundlicher und heller. Kurz nach dem Mittagessen erhob sich unser Helikopter in die Luft, Ziel Mt. Manthe, ca. 60 Seemeilen (110 km) von der Schiffsposition entfernt.
Mt. Manthe präsentierte sich ein ganzes Stück verschneiter als zu der Zeit, als wir die Station MANT installierten. Selbst das Solarmodul, was wir in "sicherer" Position ausgelegt zu haben glaubten, war mit einer Schneeschicht bedeckt, die aber offensichtlich aufgrund von Verwehungen entstanden war. Nichtsdestotrotz hatte der Empfänger bis zuletzt Daten aufgezeichnet.
Nach dem Abbau und Zusammenpacken ging es zur besagten "GPS-Insel" mit der Station PIG2. Auch dort erwartete uns mehr Schnee, zwei von vier Solarmodulen waren ebenfalls aufgrund von Verwehungen unter einer Schneeschicht verschwunden. Zu unserer Freude konnten wir wie bei der Station MANT feststellen, dass der Empfänger noch arbeitete und Daten aufzeichnete. Abbau und Verstauen im Helikopter waren schnell getan; noch einmal den Ausblick und vor allem die Ruhe genießend verabschiedeten wir uns von den Adelie-Pinguinen, die sich gerade in der Mauser befanden, und vom antarktischen Kontinent: dies sollte das letzte Mal sein, dass wir auf dieser Reise den Fuß auf antarktischen Boden setzten.
Am Mittwoch sollte das Fenster guten Wetters noch nicht ganz geschlossen sein. Tatsächlich begrüßten uns am Morgen Sonnenschein und teilweise blauer Himmel, Eisberge und Meereis vervollständigten die phantastische antarktische Kulisse. Der sonnige Vormittag war dann auch schnell vorbei, und im Laufe des Nachmittags wurde es stürmisch, der Himmel bedeckt von den nur allzubekannten grauen Wolken, später war es auch diesig, neblig sogar.
Aufgrund der weiteren Fahrtplanung von Polarstern und der Großwetterlage war dieser Mittwoch der letzte Tag, an dem wir uns so nah "unter Land" befinden sollten. In den darauf folgenden Tagen wurden und werden weitere Stationen der Ozeanographie und marinen Geologie bearbeitet sowie weitere Seismik-Profile gefahren. Für uns beide bezeichnete dieser Tag damit den Abschluss unserer Arbeiten. Am Freitag verpackten wir bereits die Ausrüstung in unsere Kisten. Uns verbleibt somit nun noch Zeit, weiteren Arbeiten am Rechner nachzugehen und die gesammelten Daten für ihre Auswertung aufzubereiten.
28.03.2010
Die Kisten sind gepackt, auch weitestgehend die Seesäcke mit der Polarkleidung und -ausrüstung. Die anderen Gruppen hatten und haben natürlich größtenteils noch voll zu tun, wurde doch wieder Seismik gefahren, wurden Proben sowohl aus verschiedenen Wassertiefen als auch vom sedimentbedeckten Meeresboden entnommen. Als einen Höhepunkt muss man sicherlich die Stationen im Bereich der "Marie Byrd Seamounts" erwähnen. Dort befanden wir uns am Dienstag und Mittwoch, und dort heißt: ca. 123,2°W und 69,1°S, also schon "weit draußen" im offenen Ozean. Dabei handelt es sich um gewaltige unterseeische Gipfel, erheben sie sich doch mit nahezu 3000 m über dem Meeresboden - allerdings immer noch in Wassertiefen von über 1000 m. Diese unterseeischen Berggipfel sind sehr gut in den bathymetrischen Aufnahmen des Hydrosweep-Systems zu erkennen. Ein Projekt befasst sich dann auch mit Proben, die in diesem Bereich entnommen werden - nämlich mit sehr sehr (mehrere zehntausend Jahre) alten, sehr sehr langsam wachsenden Korallen, deren Analyse zur Rekonstruktion des Paläoklimas beitragen kann - also auch zur Erforschung der längst zurückliegenden Eiszeit(en). Danach fuhr Polarstern zum letzten Mal in den Bereich des äußeren Schelfes der Amundsensee, also des sich unterseeisch fortsetzenden Kontinentalsockels. Dort waren noch einige ozeanographische und marin-geologische Stationen zu erledigen. Dieser Donnerstag bescherte uns allen auch einen der auf dieser Fahrt leider äußerst seltenen Sonnentage und einen "Ausflug" in die "richtige" Antarktis: Die Temperaturen fielen beträchtlich unter -10 Grad und auf dem Meer bildete sich das erste Eis, sogenanntes Pfannkucheneis. Die langsam aus dem Meerwasser wachsenden Schollen stoßen immer wieder aneinander, so dass sich deren Rand aufwölbt und eben dieses charakteristische Erscheinungsbild entstehen läßt. In alle Richtungen, soweit man blicken konnte, war das Meer so von frischem Eis bedeckt. Ein idealer Tummelplatz für Robben und Pinguine - viele Krabbenfresserrobben ruhten sich auf den Schollen aus, und ab und zu waren ein paar der Schwarzbefrackten beim Spaziergang über's Meer zu beobachten.
Seit Donnerstag nacht sind wir nun wieder Richtung Norden unterwegs. Mittlerweile haben wir den südlichen Polarkreis längst überschritten, nunmehr bei ca. 64,5°S dampfend zeigt das Thermometer schon wieder Plusgrade an (3°).
Aus dem letzten Bericht (03.04.2010)
Just vor einer Woche, der letzte Wochenbericht war versendet, nahmen Wind und Wellengang zu. Polarstern war in Richtung des letzten Messgebietes unterwegs und musste dafür Kurs Nordwest aufnehmen - immer gegen die Laufrichtung der Wellen, die sich bis zu relativen Höhen von sieben Metern auftürmten. Dies bescherte uns eine wahrlich bewegte Nacht…
Und bald schon wurde der sechzigste Breitengrad Süd überfahren, diesmal in nördlicher Richtung - damit haben wir die Antarktis verlassen. Der sechzigste Breitengrad Süd markiert die Grenze, wie sie im Antarktisvertrag vereinbart ist - das gesamte Gebiet südlich dieses Parallels steht unter besonderem Schutz. Dann sind die Tätigkeiten an der Reihe, die das Ende eines Fahrtabschnitts markieren: Labore und Arbeitsräume aufräumen und säubern, Berichte und Karten aktualisieren bzw. fertig stellen; dem Ladungsoffizier die Packlisten übergeben; Fotos austauschen… und natürlich auch auf das nahende Ende der Fahrt anstoßen. Am morgigen Sonntag in aller Frühe werden wir die Mündung der Magellanstraße erreichen, deren Verlauf wir nach Süden folgen werden, bevor es dann in nordöstlicher Richtung nach Punta Arenas geht. Dort werden wir am Montag früh ankommen - und seit Wellington dann 10866 Seemeilen zurückgelegt haben, das sind ca. 20100 km, ein knappe halbe Erdumrundung. Auf dieser Fahrt wurden ca. 1800 Tonnen Schiffsdiesel verbraucht, was wohl als ein sehr guter Wert anzusehen ist - nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass wir kaum Eis in der Pine-Island-Bucht vorfanden und somit die Eisfahrten, die den Einsatz aller vier Maschinen und evtl. des Hilfsdiesels erfordern, praktisch nicht stattfanden. Wir möchten uns herzlich von unserer treuen Wochenberichtsleserschaft verabschieden und bedanken uns, dass uns so kräftig die Daumen gedrückt wurden. Wenn wir diesmal auch weniger Punkte unseres ursprünglich geplanten Arbeitsprogramms erfüllen konnten, so haben wir doch wertvolle Daten gewinnen können, die nun einer Auswertung und gründlichen Analyse bedürfen. Dies wird dann der spannende Moment zu Hause im Institut werden - wie stark fällt die Landhebung im Bereich der Pine-Island-Bucht aus? Was werden wir an vergangenen und heutigen Eismassenänderungen sehen? Werden wir horizontale Deformationen feststellen können, die mit anhaltenden tektonischen Vorgängen verknüpft sind? Und bei der Diskussion der Ergebnisse werden wir uns sicherlich auch an diese außergewöhnliche und erlebnisreiche Fahrt erinnern.