Nordost-Grönland 2017
Nach der Beteiligung an der Polarstern-Fahrt PS100 im Jahr 2016 waren wir auch dieses Jahr wieder in Nordost-Grönland unterwegs. Ziel war es, an bereits vermarkten Felspunkten präzise GPS-Messungen zu wiederholen.
Nach einer Feldkampagne im Juli 2017, bei der glaziologische Arbeiten im Mittelpunkt standen, aber auch einige der GPS-Stationen auf Fels gemessen werden konnten, startete Polarstern am 12. September 2017 von Tromsö aus zur Forschungsfahrt PS109. Diese führte in die Fram-Straße und das Ozeangebiet in Nordost-Grönland, insbesondere vor dem Nioghalvfjerdsbrae (79-Grad-Gletscher), einem der großen Ausflussgletscher des grönländischen Eisschilds. Mit an Bord waren zwei Geodäten aus Dresden, die regelmäßg von ihrer Arbeit berichteten.
Ziel der Arbeiten im Nordosten von Grönland ist es, an bereits vermarkten Felspunkten präzise GPS-Messungen zu wiederholen. Damit sollen Änderungen der Punktkoordinaten bestimmt werden. Insbesondere interessieren uns die Höhenänderungen, da diese unmittelbar mit der Massenänderung des grönländischen Eisschilds in Verbindung stehen. Dabei haben sowohl die Änderungen seit dem letzten glazialen Maximum als auch heutige Eismassenverluste oder -zunahmen einen Einfluss. Diese Massenänderungen bewirken eine Deformation der Erdkruste, die wir als Hebung oder Senkung messen können.
Diese Forschung ordnet sich in das neue, multidisziplinäre Forschungsprojekt GROCE (Greenland Ice Sheet Ocean Interaction) ein, dass seit Mai 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Insgesamt 11 Teilprojekte werden von Partnern aus Universitäten und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland bearbeitet.
Wir starteten vergangene Woche von Berlin ausgehend über Oslo nach Tromsö und gingen am Dienstagvormittag an Bord des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern. Die Anreise verlief vollkommen problemlos, das Finden unserer Kammern auf dem Schiff stellte uns da schon vor eine größere Herausforderung. Kurz nach Mittag wurde abgelegt Richtung Nordpolarmeer...
Wir sind Teil einer ungefähr 50köpfigen Gruppe aus Wissenschaftlern und Technikern, die zusammen mit der Besatzung von Polarstern den Fahrtabschnitt PS109 bestreiten. Die Fahrt ging zunächst in nordwestlicher Richtung bis in die Fram-Straße. Dort führt das AWI regelmäßig hydrowissenschaftliche und ozeanographische Untersuchungen durch.
Unser geodätisches Arbeitsgebiet konzentriert sich auf die Region des sogenannten 79-Grad-Nord-Gletschers (dän. Nioghalvfjerdsbrae). Es ist geplant, fünf unserer bereits im Jahr 2008 auf dem nordostgrönländischen Festland angelegten GPS-Stationen zu besuchen, unsere Ausrüstung in Form von GPS-Antenne, Empfänger, Akku und Solarmodulen aufzubauen und für einige Tage Daten aufzeichnen zu lassen. Danach wird alles wieder abgebaut. Aus den aufgezeichneten Daten werden die exakten Koordinaten bestimmt. Im Vergleich mit den Ergebnissen der letzten Jahre lassen sich so Koordinatenänderungen ableiten, die in der Deformation der Erdkruste aufgrund von Eismassenveränderungen begründet sind. Eine weitere von unserem Kollegen M. Scheinert vor ca. zwei Monaten installierte GPS-Station direkt auf dem Gletscher dient der Bestimmung von Gezeitenbewegungen, die die schwimmende Eiszunge in vollem Umfang mitmacht. Hier sind eine Datensicherung und Wartung geplant, die Station selbst soll dann bis zum nächsten Jahr stehen bleiben.
Inzwischen ist alles getestet, punktweise sortiert und mehrfach kontrolliert. In den kommenden Tagen könnte es bei geeignetem Wetter für uns losgehen. Somit sind wir gespannt auf die nächsten Tage und grüßen herzlich vom Rand des grönländischen Schelfs.
In der Nacht zum Dienstag näherte sich Polarstern der grönländischen Küste und wir damit unserem ersten Punkt auf Holmland (HOLM). Kurz nach der morgendlichen Wetterbesprechung gab es grünes Licht für unseren ersten Flug. Der größere der beiden an Bord befindlichen Helikopter – ein BK 117 – brachte uns in etwa 40 Minuten über 65 Seemeilen in die nordostgrönländischen Berge. Zu dieser Jahreszeit sind sämtliche Bergketten und Hochebenen, abgesehen von den Steilhängen, mit Schnee bedeckt. Und so wurden wir auch an unserem Ziel von einer 10cm bis 50cm dicken Schnee- bzw. Firnschicht überrascht – kannten wir doch von den Fotos der Punktdokumentation nur weite Flächen braunen Gerölls. Dank eines markanten Steinmanns über der eigentlichen Vermarkung im Fels war unser Punkt aber auch im Schnee schnell ausgemacht. Im herrlichsten Sonnenschein erfolgte der Aufbau und die Installation der Messtechnik.
Am Mittwoch führte uns der Weg zu einem etwas weiter im Hinterland gelegenen Punkt namens MUSK. Die Bezeichnung stammt aus dem Jahr 2009, als ein Moschusochse sich regelmäßig in der Nähe eines Feldlagers aufhielt. Einige Kilometer entfernt im ins Sonnenlicht getauchten Tal konnten wir dann auch diesmal einen kleine Moschusochsenfamilie ausmachen. Die Installation der Messtechnik ging gut von der Hand, und wir hatten einen traumhaften Rückflug über die verschneiten Bergketten und durch den Dijmphna-Sund, einem Seitenarm des 79-Grad-Nord-Gletschers, in den sich Polarstern in der Zwischenzeit bewegt hatte.
Am Morgen des Donnerstags wurde das anvisierte Hauptarbeitsgebiet der Polarstern-Fahrt erreicht: die Bucht vor der Gletscherfront des 79-Grad-Nord-Gletschers. Der Gletscher ergießt sich hier auf einer Breite von ungefähr 30km zwischen den Inseln „Lambert Land“ und „Hovgaard Ø“ ins Meer. Ein paar kleinere vorgelagerte Inseln führen dazu, dass sich die Eismassen über diese Felsen schieben und beeindruckende Eisstrukturen bilden. Die Ozeanografen an Bord erkunden hier anhand von Temperatur, Salzgehalt und Druck die Schichtung der Wassermassen und anhand gemessener Strömungen, wie diese sich verteilen und vermischen. Dazu liefert die Bathymetrie ein detailliertes Bild der Meeresbodentopografie. Die unmittelbare Lage des Schiffes vor der Gletscherfront bringt uns auch in den Genuss kalter abfließender Gletscherwinde, die morgens Temperaturen von bis zu -17°C bescheren.
Leider sorgt seitdem eine tiefstehende und hochvariable Wolkendecke in Verbindung mit Nebel für eingeschränkten Flugbetrieb. Kurze Wolkenlücken werden für Wetter- und Eiserkundungsflüge in der unmittelbaren Schiffsumgebung genutzt. Unsere auf dem Festland befindlichen GNSS-Punkte sind allerdings derzeit nicht erreichbar. In der Hoffnung auf besseres Flugwetter verbleiben wir für diese Woche mit herzlichen Grüßen,
Susanne und Christoph
Der zurückliegende Montag begrüßte uns mit moderaten -6°C am Morgen und jeder Menge dichten Nebels. Der Grund dafür war zunehmend wärmerer Wind aus südlicher Richtung. Leichter Schneefall machte die Umgebung zu einem grauweißen Gemisch. Wenn jegliche Kontraste fehlen und zudem weder Sonne noch Horizont zu erkennen sind, wird die Orientierung zur Herausforderung. Der beste Platz auf dem Schiff ist da die Brücke. Dort können Fahrtrichtung, Geschwindigkeit und Position des Schiffes einer Vielzahl von Bildschirmen und Anzeigen entnommen werden und man fühlt sich nicht mehr ganz so verloren.
Am frühen Nachmittag vollzog sich ein plötzlicher Wetterumschwung und wir nutzten die letzten möglichen Flugstunden des Tages zum Bergen der Ausrüstung unseres GNSS-Punktes MUSK. Diesmal wurde der Flug mit dem kleineren Hubschrauber BO-105 durchgeführt und wir konnten abermals die sagenhafte Aussicht über die Berge genießen. Das durchwachsene Wetter der letzten Tage hatte auch am Punkt seine Spuren hinterlassen und Solarmodule und GNSS-Antenne unter einer mehrere Zentimeter dicken Schneeschicht versteckt. Eine erste Sichtung der aufgezeichneten Daten ließ uns dann aber aufatmen – der Empfänger hat offenbar ausreichend lange aufgezeichnet, um eine zuverlässige Koordinatenschätzung zu ermöglichen.
Am folgenden Dienstag gestaltete sich die Wetterentwicklung über den Tag ähnlich, längere Flüge konnten allerdings nicht mehr durchgeführt werden. Grund dafür war das angekündigte und am südöstlichen Horizont erkennbare schlechte Wetter. Zudem mussten wir ein größeres Gebiet sehr dicken und dichten Eises umfahren, was uns in unmittelbare Nähe der Franske Øer brachte, einer Gruppe kleinerer Inseln etwa 100km südlich der Gletscherfront des 79-Grad-Nord-Gletschers.
So ergab sich Mittwochnachmittag die Gelegenheit, unsere nur 11 Seemeilen entfernte GNSS-Station FRAN aufzubauen. Die Installation des Equipments ging uns trotz ziemlich starken Windes gut von der Hand. Die uns begleitenden Geologen waren in der Zeit auf der Suche nach geeigneten Gesteinsproben. In den folgenden zwei Tagen wurden unsere Geduld und unser unerschütterliches Vertrauen auf gutes Wetter auf die Probe gestellt. Dichter Nebel, dazu sehr tiefstehende Bewölkung und teilweise Regen oder Schneegriesel machten jegliche längere Flugoperation unmöglich. Erst Samstag konnten wir wieder aktiv werden und ein wolkenfreies Wetterfenster am Morgen nutzen. Da die Gefahr gefrierenden Regens nicht ganz auszuschließen war, hieß es wieder einmal: Beeilung. Kurz vor 9 Uhr startete der Heli mit uns und einem Geologen Richtung Punkt FRAN und knapp 8 Minuten später erwartete uns die nächste Überraschung. Nahezu der gesamte Stationsaufbau war zerstört. Die Antenne war durch einen Eisbären vom Gewinde abgerissen, die Kabel komplett von der Box getrennt und in handliche Stücke zerbissen. Unter Hochdruck räumten wir die demolierte Ausrüstung in den Heli und verließen den Ort. Immerhin ließ sich aufgrund der Statusdateien des Empfängers gut eingrenzen, dass sich der Eisbär erst in der Nacht vor unserem Besuch an der Antenne zu schaffen gemacht hat.
Herzliche Grüße von
Susanne und Christoph
Von ihren Arbeiten an Bord der Polarstern berichten die Forscher auch regelmäßig im "Polarstern-Blog". Hier können Sie einen Bericht der Dresdner Geodäten lesen:
Nachdem wir uns vor einer Woche noch einmal aus südlicher Richtung dem Gletscher näherten und durch gewaltige Eisberge navigierend bis zur Insel „Norske Ø“ vorgestoßen sind, wurde langsam das Ende der Aktivitäten im unmittelbaren Bereich der Gletscherfronten von 79°-Grad-Nord-Gletscher und Zacharia-Gletscher eingeleitet. Im unverändert schlechten Wetter mit Nebel und Temperaturen um den Gefrierpunkt setzte sich Polarstern in südöstlicher Richtung in Bewegung. Unter diesen Wetterbedingungen und der nicht sehr vielversprechenden Vorhersage war nun endgültig klar, dass wir während dieser Expedition weder unsere Ausrüstung vom GNSS-Punkt HOLM wieder zurückholen noch unserem Punkt NIO1 auf dem schwimmenden Bereich des 79°-Nord-Gletschers einen Besuch abstatten können.
Unsere Erfolgsbilanz beläuft sich schlussendlich auf 3 beobachtete GNSS-Stationen – wir gehen mal davon aus, dass der Empfänger auf HOLM erwartungsgemäß funktioniert (hat), – wovon wir von zwei Lokationen unsere Ausrüstung auch wieder bergen konnten. Der zeitliche Umfang der aufgezeichneten Daten sollte eine zuverlässige Koordinatenschätzung ermöglichen, was sich bei der Auswertung der Beobachtungsdaten in Dresden zeigen wird. Aus diesen Ergebnissen kann dann die vertikale Deformation der Erdkruste im Untersuchungsgebiet seit 2008 abgeleitet werden, was als Validierung für entsprechende Modelle des glazialisostatischen Ausgleichs oder sogar als Randbedingung bei der Modellgenerierung dienen kann. Der Gletscherpunkt NIO1 dagegen dient der Beobachtung des Gezeiteneinflusses und der bodengebundenen Bestimmung der Fließgeschwindigkeit des Gletschers und soll für mindestens 1 Jahr Daten aufzeichnen. Technisch sollte die Aluminiumkonstruktion, deren Halterung 5m tief im Eis verankert ist, diese Zeit ohne Probleme überstehen.
Wissenschaftlich ist unser Programm damit beendet. In den letzten Tagen waren wir trotzdem nicht untätig, sondern haben all jene Dinge getan, die gegen Ende einer Expedition anstehen. Alle Kisten sind gepackt, die Pack- und Frachtlisten vom Ladeoffizier abgesegnet. Der Fahrtbericht, der sämtliche wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition zusammenfasst, ist nahe der Fertigstellung. Regelmäßig gibt es jetzt kurze abendliche Vorträge, wo die verschiedenen Arbeitsgruppen den Hintergrund ihrer Aktivitäten vorstellen. So ergibt sich ein gesamtheitliches Bild des Forschungsziels und man fühlt sich ziemlich am Puls des Klimawandels. Auch wir hatten bereits Gelegenheit, unsere Arbeiten zu erläutern und sehr rege und ungezwungen zu diskutieren.
Damit ist das wissenschaftliche Programm an Bord offiziell beendet und Polarstern befindet sich seit der Nacht auf dem direkten Weg nach Bremerhaven. Auf dem Schiff beginnt jetzt das große Aufräumen, Sortieren und Packen. Das Einlaufen in Bremerhaven ist am späten Abend des kommenden Freitags geplant.
Seit Montag kämpft sich Polarstern mit knapp 9 Knoten nach Süden in Richtung Bremerhaven. Das Wetter ist beständig unfreundlich. Nebel und Dunst lassen die Bohrinseln am Horizont wie Geisterschiffe aussehen, das Arbeitsdeck wird wegen hereinbrechender Wellen gesperrt. Erst gegen Ende der Woche beruhigt sich die See und wir kommen in den Genuss der spätsommerlichen Temperaturen.
Unsere sämtlichst in Zargesboxen verpackte Ausrüstung wurde vom Ladeoffizier in einen Container gestaut, der nach Ankunft ins Hafenlager des AWI geht. Abholen können wir die Fracht erst in ein paar Wochen, wenn sämtliche Formalitäten wie z.B. Zollangelegenheiten erledigt sind. Auch die Seesäcke mit der Polarkleidung verschwanden im Container – bei Temperaturen von +15°C war keine Fellmütze mehr notwendig. Am Mittwochnachmittag nahm das emsige Gewusel auf dem Arbeitsdeck noch einmal zu: die Laborreinigung stand an. Sämtliche Arbeitsräume mussten durch die jeweiligen Gruppen komplett gesäubert und für die Abnahme durch den 1. Offizier am nächsten Tag vorbereitet werden. Vor allem in den Nasslaboren, in denen die Geologen und Tiefseebiologen ihre Sedimentkerne bearbeitet hatten, war das mit einigem Aufwand verbunden.
Schlussendlich wurde die erfolgreiche Expedition durch einen Kapitänsempfang im blauen Salon des Schiffes besiegelt. Nach mehr als 4000 gefahrenen Seemeilen liefen wir am späten Abend des 13.Oktober 2017 nach Passieren der Kaiserschleuse in Bremerhaven ein. Am nächsten Morgen hieß es Abschied nehmen von Kollegen, Crew und Polarstern. Wir traten unsere landseitige Heimreise an, das Schiff geht ab Montag bis Mitte Dezember für größere Instandhaltungsmaßnahmen ins Trockendock der Lloyd-Werft Bremerhaven.
Damit ist die knapp fünfwöchige Expedition PS109 nach Nordost-Grönland beendet.
Wir bedanken uns bei allen Lesern für das Interesse und grüßen herzlich,
Susanne und Christoph