Ernährungsgeschichte
Inhaltsverzeichnis
Ernährungsgeschichte am Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte
Ernährungsgeschichte befasst sich mit einem Phänomen, ohne dass es die Menschheit überhaupt nicht gäbe. Jeder Mensch muss essen und trinken und zwar sein Leben lang. Das ist aber nicht nur eine Notwendigkeit. Es kann auch ein Vergnügen sein: Genuss und Lebensfreude! Die Ernährungsgeschichte befasst sich daher nicht allein damit, ob die Menschen hinreichend mit Nahrungsmitteln versorgt waren. Es geht auch um symbolische Akte, die beispielsweise Hierarchien herstellten. Was jemand in einer bestimmten historischen Situation isst oder trinkt, enthält immer auch eine kulturelle Botschaft. Nahrung hat darüber hinaus auch eine ästhetische Dimension. Denn was den Menschen schmeckte, unterscheidet sich je nach Epoche und nach Kulturkreis.
Die Spitzenküche Europas fand in vergangenen Jahrhunderten nicht nur in Frankreich statt. Auf höchstem Niveau war die Kochkunst des Okzidents schon während der Frühen Neuzeit durch die Fürstenhäuser, ihre Diplomaten und deren Köche verbunden. Am Dresdner Hof beispielsweise kochte man Jahrhunderte lang auf international respektiertem Niveau. Das erste deutschsprachige Kochbuch für professionelle Köche, Marx Rumpolt: Ein new Kochbuch, Frankfurt 1581, ist der sächsischen Kurfürstin Anna gewidmet. Bald darauf publizierte ein kurfürstlich-sächsischer Hofküchenschreiber das erste in Sachsen gedruckte Kochbuch: Johann Deckhardt: New/ Kunstreich und Nützliches Kochbuch. Leipzig 1611. Am Beginn der kulinarischen Moderne veröffentlichte der Dresdner Hofkoch Franz Walcha ebenfalls ein Kochbuch: Der praktische Koch, Dresden 1819. Walchas Gerichte erhalten ihr Aroma aus dem Eigengeschmack der zentralen Zutaten. Damit gehören diese Zubereitungsvorschriften zu den frühesten Rezepten moderner Kochkunst, wie sie in Paris Marie-Antoine Carême oder in Wien Franz Georg Zenker propagierten. Heute leuchten, sieht man von Berlin ab, in den neuen Bundesländern die meisten Michelin-Sternen (neun von 27) in sächsischen Restaurants.
Am Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte bildet die Ernährungsgeschichte seit vielen Jahren einen der Schwerpunkte in Forschung und Lehre. Neben mehreren Dissertationen und Editionen wurden die Ergebnisse der bisherigen Projekte auch in verschiedenen Ausstellungen präsentiert. Ein für unsere Arbeit wichtiger und enger Kooperationspartner ist das Deutsche Archiv der Kulinarik an der SLUB. In jüngerer Zeit konstituierte sich die interdisziplinär zusammengesetzte Forschungsgruppe „Geschmackswandel“, die zum Verhältnis von kulinarischer Ästhetik und gesellschaftlichem Wandel arbeitet.
Geschmackswandel. Kulinarische Ästhetik und Gesellschaft im deutschsprachigen Raum vom späten 18. bis ins 21. Jahrhundert
Bislang konzentriert sich die interdisziplinäre historische Ernährungsforschung zum 19. und 20. Jahrhundert vor allem auf die Kost für das Gros der Gesellschaft und auf die Industrialisierung der Ernährung. Fragen der exquisiten Küche und Tafelkultur spielen nur in einigen wenigen Studien eine Rolle, die die soziale Distinktion des Tafelns untersuchen.
Im Mittelpunkt steht der deutschsprachige Raum vom späten 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Ziel ist es, die Entwicklung der kulinarischen Ästhetik in ihren gesellschaftlichen Kontexten als kulturwissenschaftliches Forschungsfeld auf eine völlig neue Grundlage zu stellen und als Teil der Kulturgeschichte der europäischen Moderne zu etablieren. In die Untersuchung einbezogen werden geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Ansätze: Neben geschichtswissenschaftlichen und kunstgeschichtlichen Arbeiten sind mit digitalen Verfahren durchgeführte korpuslinguistische Auswertungen sowie lebensmittelchemische Analysen geplant.
Mitglieder der Arbeitsgruppe: PD Dr. Annette Dorgerloh (HU Berlin), Prof. Dr. Michael Hellwig (TU Dresden), Prof. Dr. Gisela Hürlimann (TU Dresden), PD Dr. Katrin Keller (ÖAW Wien), Prof. Dr. Marcus Köhler (TU Dresden), Prof. Dr. Josef Matzerath (TU Dresden), Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker (TU Dresden), Prof. Dr. Andreas Rutz (TU Dresden), Dr. Hagen Schönrich (TU Dresden), Univ.-Doz. Mag. Dr. Werner Telesko (ÖAW Wien), Dr. Samuel Wittwer (SPSG Potsdam/Berlin)
Publikationen
Dissertationen (Open Access)
- Marco Iwanzeck: Dresden à la carte. Entstehung und kulinarische Einordnung der Restaurantkultur 1800 bis 1850 (Land kulinarischer Tradition. Ernährungsgeschichte in Sachsen, Bd. 3), Ostfildern 2016. Zum Volltext
- Benedikt Krüger: Gehobene und exquisite Küche in der Konsumgesellschaft. Dresden um 1900 (Land kulinarischer Tradition. Ernährungsgeschichte in Sachsen, Bd. 2), Ostfildern 20
- Mario Kliewer: Geschmacksgaranten. Sächsische Hoflieferanten für exquisite Nahrungsmittel um 1900 (Land kulinarischer Tradition. Ernährungsgeschichte in Sachsen, Bd. 1), Ostfildern 2015. Zum Volltext
Weitere Publikationen (Open Access)
- Matzerath, Josef: Die kulinarische Partizipation der Parlamente. Ausspeisungen, Diäten und Tafeln sächsischer Landtage 1612-1918, in: Manca, Gianna / Westphal, Siegrid (Hgg.): Partecipazione politica tra mutamento e persistenza / Politische Partizipation zwischen Wandel und Beharrung, Berlin 2023, S. 113-128. DOI: N. N.
- Matzerath, Josef: „Pizza in der DDR“. https://wordpress.ernaehrungsgeschichte-in-sachsen.de/2019/12/09/pizza-in-der-ddr/
- Matzerath, Josef: Vom Garten zur Verkostung. Die Bedeutung exzellenter Zutaten für die Gourmandise. In: Aha!-Heft. Miszellen zur Gartengeschichte und Gartendenkmalpflege, Nr. 5, Dresden 2019, S. 40-47. DOI: https://doi.org/10.25531/aha.vol5.p40-47
- Matzerath, Josef: Leerstelle Kochbuch. Der Mangel an Kulinaria in öffentlichen Bibliotheken. In: Bonte, Achim/Rehnolt, Juliane (Hg.): Kooperative Informationsinfrastrukturen als Chance und Herausforderung. Festschrift für Thomas Bürger zum 65. Geburtstag, Berlin Boston 2018, S. 416-425. DOI: https://doi.org/10.1515/9783110587524-042
- Matzerath, Josef: Ernährung oder Genuss? Dissoziation der Ernährung vor historischer Perspektive. In: Der Architekt. Die bescheidene Gesellschaft. Bedarf, Bedürfnis und die Architektur der Gegenwart, 1/2018, S. 33-38. Online-Ausgabe: http://derarchitektbda.de/ernaehrung-oder-genuss/
- Matzerath, Josef: Hauptsach gudd gess. Authentizität in der Küche. In: Der Architekt. Authentizität, 4/2017, S. 48-52. Online-Ausgabe: http://derarchitektbda.de/gudd-gess/
- Pötzsch, Ernst Max: Vollständige Herrschaftsküche des Kronprinzen von Sachsen. Herausgegeben von Josef Matzerath unter Mitarbeit von Georg Jänecke, Mechthild Herzog und Hannah Aehle, Ostfildern 2013. https://slub.qucosa.de/api/qucosa%3A75492/attachment/ATT-0/
Video-Beiträge
Der Osten - Entdecke wo du lebst Knacker trifft Wildhase
Die Kulinarik-Sammlung Dresden
Di., 12.04. 2022 21:00Uhr 44:30 min
Deutsches Archiv der Kulinarik
Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB Dresden) und die TU Dresden haben im Oktober 2022 das Deutsche Archiv der Kulinarik an der SLUB Dresden gegründet. „Die deutschlandweit einzigartige Sammlung zur Entwicklung der Kochkunst sowie zur Tafel- und Esskultur wird in den kommenden Jahren gezielt erweitert und die inter- und transdisziplinäre Forschung zu diesen Themen ausgebaut.
Dank maßgeblicher Unterstützung der TU Dresden, der Christian C.D. Ludwig – Foundation, der Kulturstiftung der Länder und der Rudolf-August Oetker-Stiftung konnte die SLUB Dresden in den vergangenen Jahren einen umfangreichen Bestand an Kulinaria aufbauen. Handschriften, Bücher und Zeitschriften sowie Menükarten, Gebrauchsgrafik, Fotografien und AV-Medien machen die besondere Vielfalt der Sammlung aus. “ Weiterlesen
Pressespiegel und Medienecho zur Gründung (Auswahl)
Jakob Strobel y Serra: Die Wahrheit liegt auf dem Teller, in: FAZ, Nr. 30 vom 04.02.2022, S. Z 3.
Felix Denk: Gerichte mit Geschichte. In Dresden eröffnet das Deutsche Archiv der Kulinarik, in: Tagesspiegel vom 09.11.2022. Zum Online-Artikel
Jan-Dirk Franke: In Dresden wird jetzt die Kochkultur erforscht, in: Freie Presse vom 10.10.2022. Zum Online-Artikel
Neues Archiv für Kochkunst und deutsche Esskultur in Dresden, in: Zeit Online vom 10.10.2022. Zum Online-Artikel
Deutsches Archiv der Kulinarik gegründet, in: Deutschlandfunk Kultur vom 10.10.2022. Zum Online-Beitrag
Ein gefundenes Fressen. „Deutsches Archiv der Kulinarik“ in Dresden, in: Deutschlandfunk Kultur vom 10.10.2022. Zum Audio-Beitrag
Heike Schwarzer: Deutschlandweit einzigartig. Deutsches Archiv der Kulinarik in Dresden gegründet, in: MDR Kultur vom 11.10.2022. Zum Online-Artikel
Speisekarten und Kochbücher: Deutsches Archiv der Kulinarik in Dresden gegründet, in: SWR vom 11.10.2022. Zum Online-Artikel
Deutsches Archiv der Kulinarik gegründet, in: WDR-Mediathek vom 10.10.2022. Zum Online-Artikel
SLUB und TU Dresden gründen Deutsches Archiv der Kulinarik, in: Kulturstiftung der Länder. Zum Online-Artikel
Tagung: Der Beginn der kulinarischen Moderne. 200 Jahre „Geist der Kochkunst“ von Carl Friedrich von Rumohr
Anlässlich der Gründung des Deutschen Archiv der Kulinarik organisierte der Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte der TU Dresden gemeinsam mit der SLUB Dresden die Tagung Der Beginn der kulinarischen Moderne. 200 Jahre „Geist der Kochkunst“ von Carl Friedrich von Rumohr. Außerdem wurde die Ausstellung Eckart Witzigmanns Kalbsbries Rumohr im Rahmen der Eröffnung des Archivs im Beisein Eckart Witzigmanns eröffnet. Weiterlesen
Verein Ernährungsgeschichte in Sachsen e.V.
Im Verein Ernährungsgeschichte in Sachsen e.V. erschließen Historiker*innen teils in Kooperation oder engem Austausch mit Köchen*innen, Gastronomen*innen und Produzenten*innen handwerklich hergestellter Nahrungsmittel die Geschmacksbilder der exquisiten Kochkunst und Tafelkultur seit dem 16. Jahrhundert.
Weiterlesen: ernaehrungsgeschichte.de
Kontakte
Prof. Dr. Josef Matzerath
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Lehrstuhlinhaber
NameProf. Dr. Andreas Rutz
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Wissenschaftliche Hilfskraft
NameLaura-Maria Schulze
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