06.10.2020
Beginnender Aufbruch
Die Sonderausstellung »Realismus und Ostmoderne #2« zeigt Arbeiten der 1960er-Jahre aus dem Kunstbesitz der TU Dresden
Dr. Teresa Ende
Sie sollte bereits Anfang April eröffnen, die neue Ausstellung zum Kunstbesitz der Kustodie der TUD der 1960er-Jahre. Doch Covid-19 hat viele Pläne für 2020 über den Haufen geworfen; so auch diesen. Die Eröffnung im Görges-Bau musste abgesagt und auf September verlegt werden. Nun ist die Sonderausstellung endlich eröffnet und verspricht – zusammen mit dem im Internet frei zugänglichen Ausstellungsbooklet – spannende Einblicke in eine nach wie vor unterbelichtete Entwicklungsphase der Kunst und (Universitäts-)Kultur in der DDR: jene Zeit zwischen den von der Formalismus-Debatte und ihren brachialen Wortmeldungen und Einschränkungen bestimmten 1950er-Jahren auf der einen und der Entspannung (und zunehmenden Agonie) seit den 1970er-Jahren auf der anderen Seite.
Nach der ebenfalls von Gwendolin Kremer kuratierten Schau zu der in den 1950ern beauftragten beziehungsweise angekauften Kunst 2018 bringt gerade diese zweite Auflage neue Erkenntnisse zu einer dem Publikum zumeist unbekannten und damit nicht so leicht zu vermittelnden, zumal politisch aufgeladenen öffentlichen Kunstsammlung Dresdens.
Kunst auf dem Campus seit den 1950er-Jahren
Der Grundstein für die künstlerische Ausgestaltung der Gebäude und Freiflächen des TUD-Campus war in den 50er-Jahren gelegt worden. Als einzige Lehrinstitution für Natur- und Ingenieurwissenschaften in der DDR wurde der Hochschule eine Schlüsselrolle beim Aufbau einer »sozialistischen« Gesellschaft beigemessen. Entsprechend baute man ab 1951/1952 rund um Bergstraße und Zelleschen Weg für zehn Jahre unablässig. Laut DDR-Kulturverordnung und Anordnung über die künstlerische Gestaltung von Verwaltungsbauten mussten dabei ein bis zwei Prozent der Bausummen für baugebundene Kunst eingesetzt werden, die Überhänge für den Ankauf von Gemälden und Grafiken – die Voraussetzung für den heute knapp 4000 Werke umfassenden Kunstbesitz der TUD.
Was an dieser Ausstellung auffällt: Anders als bei dem umfangreicheren Bestand aus den 1950er-Jahren sind unter den Exponaten diesmal mehr Porträts – sowohl von Professoren als auch von Studierenden. Die künstlerische Qualität dieser Gruppe ist durchwachsen, wie gleich im Treppenhaus des Görges-Bau klar wird: Während der einflussreiche Künstler, Kulturpolitiker und zweimalige Rektor der HfBK Rudolf Bergander mit einem formelhaft-steifen Porträt des TUD-Rektors Gerhard Rehbein vertreten ist, geht von Ernst Hassebrauks Professorenbildnis von Hans Dehnert trotz der zurückgenommenen Farbigkeit und großen Flächigkeit eine immense Kraft aus, die aus der treffenden Körperhaltung und dem lebendigen Gesichtsausdruck resultiert.
Studierendenbildnisse spielen eine wichtige Rolle
Auch bei den Studierendenbildnissen sind Entdeckungen zu machen. Eva Schulze-Knabe stellt drei junge Männer aus Afrika, Nordkorea und China im Einzelporträt ganz szenisch dar: beim konzentrierten Lesen mit aufgeschlagenem Buch oder im Moment der Reflektion, den Blick in die Ferne gerichtet. Dabei spielte das Studierendenbildnis nur zwischen 1955 und 1965 eine wichtige Rolle, was vor dem Hintergrund der zunehmenden Zahl ausländischer Gaststudierender in der DDR verständlich ist: eine künstlerische Spezialisierung als Ausdruck des »Bitterfelder Weges«, um die internationalen Beziehungen zu fördern.
Die unmittelbar baugebundenen Arbeiten nahmen in den 1960er-Jahren zwar einen kleineren Teil ein, als während des Baubooms der 1950er, doch sind qualitativ hochwertige Werke darunter. Dazu zählt der halb abstrakte, halb gegenständliche Wandfries »Zur Elektrotechnik« von 1964 aus farbigen Silikatkeramikplatten von Kurt Wünsche und Harry Schulze am Barkhausen-Bau, dessen Prinzipien nicht zuletzt durch die Lokalmatadoren der konkreten Kunst, Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht, weiterentwickelt wurden, deren Arbeiten im Görges-Bau zu sehen sind.
In den 1960er-Jahren kamen Plastiken dazu
Daneben bildet die figürliche Plastik im öffentlichen Raum, die in den 1960ern im Umfeld der Instituts- und Wohnheimbauten Aufstellung fand, einen wichtigen Teil der universitären Kunstpolitik jener Zeit. Weil damals nur drei neue Institutsgebäude entstanden und die dabei verwendeten standardisierten oder vorgefertigten Bauteile als Träger für »Kunst am Bau« ungeeignet waren, spielten freistehende Plastiken eine umso wichtigere Rolle. Besonders gelungen ist das Paar »Zwiesprache« des Bauhäuslers Theo Balden von 1964 vor dem Studentenwohnheim Wundtstraße 7, das aus der Kunstausstellung der DDR angekauft wurde, wie auch Werke Ludwig Engelhardts und Werner Stötzers. Baldens freie und doch zusammenfassende Form zweier einander zugewandter Köpfe vereint Innigkeit und Monumentalität und wirkt auch aus größerer Entfernung geradezu intim.
Die Zusammenschau der Exponate dieser gelungenen Sonderausstellung führt die thematische und stilistische Spannbreite der staatlich geförderten Kunst in der DDR und ihre multiplen Bedingtheiten in den 1960er-Jahren vor Augen. Werke und Schöpfer, Herstellung und Präsentationskontext müssen wie hier im Einzelnen untersucht und wieder sichtbar gemacht werden, um über simplifizierende Antagonismen von konform versus contra, Ost versus West etc. hinauszugehen.
»Realismus und Ostmoderne #2. Erwerbungen und Auftragsarbeiten aus den 1960er-Jahren. Der Kunstbesitz der TU Dresden«, mit zeitgenössischen künstlerischen Kommentaren von Andreas Kempe, Michael Klipphahn und André Tempel.
Bis 29. Januar 2021, Altana-Galerie der Kustodie der TUD, Görges-Bau.
Das Booklet zur Ausstellung steht kostenfrei zur Verfügung unter:
https://tu-dresden.de/kustodie/ausstellungen/altana
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 15/2020 vom 6. Oktober 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.