Klassik und Rock in einem Konzert der Superlative
Das Uniorchester spielt mit der Rockband der Musikhochschule Jon Lords legendäres »Concerto For Group And Orchestra« und Mieczysław Weinberg
Claudia Kallmeier
Das TUD-Universitätsorchester hat in diesem Sommer Großes vor: Beim Sommerkonzert am 1. Juli 2018 (11 Uhr) werden die sinfonische und die kammerphilharmonische Besetzung zu einem riesigen Orchester verschmelzen. Rund 100 Musiker werden zum ersten Mal im neuen Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes spielen. Dazu kommt eine junge Rockband mit Studenten der Hochschule für Musik Dresden. Unter dem Titel »Aufbruch« erklingen zwei Werke, die auf ganz unterschiedliche Weise für etwas Neues stehen: Jon Lords »Concerto For Group And Orchestra« und in einer deutschen Erstaufführung Mieczysław Weinbergs Sinfonie Nr. 3.
Der Engländer Jon Lord (1941 – 2012), Gründungsmitglied der Hardrockband Deep Purple, hat 1969 mit seinem »Concerto For Group And Orchestra« für einen »Aufbruch« in der Musik gesorgt. Er gilt als Wegbereiter für die Verbindung von Klassik und Rock.
Mieczysław Weinberg (1919 – 1996) ist hierzulande wenig bekannt – völlig zu Unrecht, wie die umjubelte Aufführung seiner Oper »Die Passagierin« in der Dresdner Semperoper im vergangenen Jahr zeigte. Das Universitätsorchester bringt nun – in Deutschland zum ersten Mal überhaupt – Weinbergs Sinfonie Nr. 3 aus dem Jahr 1949 auf die Bühne.
»Dieses Konzert ist für die Musiker des Universitätsorchesters in vielerlei Hinsicht besonders«, sagt der Künstlerische Leiter Filip Paluchowski. »Das Verschmelzen beider Ensembles zu einem großen Orchester stellt uns vor neue Herausforderungen, die wir mit Respekt und noch größerer Freude annehmen. Der Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes ermöglicht dank seiner Akustik ganz neue Feinheiten und erlaubt es, noch mehr in die Extreme und Details des Musizierens zu gehen.«
Aufbruch – Sommerkonzert des Universitätsorchesters Dresden,
Sonntag, 1. Juli 2018, 11 Uhr, Konzertsaal im Kulturpalast Dresden:
Mieczysław Weinberg: Sinfonie Nr. 3, op. 45,
Jon Lord: Concerto For Group And Orchestra.
Karten sind im Vorverkauf (17 Euro, ermäßigt 7 Euro) und an der Abendkasse (19 Euro, ermäßigt 9 Euro) im Kulturpalast und in den eventim-Vorverkaufsstellen (zzgl. Vorverkaufsgebühr), sowie unter www.dresdnerphilharmonie.de/konzerte erhältlich.
www.uniorchester-dresden.de
Ein rockig-sinfonisches Feuerwerk
Würdiges Gedenken an einen musikalischen Meilenstein der Moderne
Michael Ernst
Wenn auf einer Party die Stimmung mäandert und weder Gastgeber noch Gäste den Hauch einer Ahnung haben, wie der Abend gerettet werden könnte, genügt vielleicht der Weg zum Plattenschrank. Plattenschränke gibt es nicht mehr? Ältere Menschen können sich zumindest noch an Schallplatten erinnern, schwarze Scheiben mit je einer Rille auf Ober- und Unterseite. Die mittlere Generation buchstabiert einfach CD und meint heute noch, dies sei ein moderner Tonträger. Junge Leute hingegen greifen auf virtuelle Anbieter zurück – oder gehen ins Konzert. Dort treffen sie womöglich mit den Altvorderen aus der Stummfilm-Urzeit zusammen, die noch den Umgang mit Anti-Statik-Tuch und Plattennadel beherrscht haben.
Aber erst mal zurück zur Party: Die Witzelei über »Echo« und »Eurovision Song Contest« ist allen zu dumm? Gutes Zeichen! An dieser Stelle sollte ein Musikrätsel eingelegt werden. Es beginnt mit einem Klarinetten-Solo, das nach Morgenröte klingt. Allmählich erst, dann immer rascher steigert sich dies impulsiv von Streichern untermalte, mit Bläsern forcierte und durch Schlagwerk vorangetriebene Orchesterstück, dessen Urheber an dieser Stelle womöglich noch niemand erahnt.
In folgenden Pizzicato-Passagen und Bläser-Einlagen mag man an die Moderne des vergangenen Jahrhunderts denken, in die hin und wieder ein Streicher-Segment einbricht, das verstört, verwundert, aber doch ganz gut passt. Bis, ja bis dann eine Rock-Formation teilhaben wird am virtuosen Procedere, eine Rockband als Solist in diesem Großwerk - auf dessen Namen immer noch niemand gekommen ist? Noch vor der zehnten Minute dieses Dreiviertel-Stunden-Stücks (das in der Folge noch mit mancherlei Überraschungen aufwarten wird) gibt es weitere Irritationen, wenig später mischen sich schreiende Elektronik-Beats in diese auch immer mal wieder ruhig verhaltene Komposition. Mehrfach ist es die Klarinette, die für Ruhepausen sorgt, aufgemischt von flirrenden Streichern, blitzenden Bläsern und Eindruck heischenden Band-Passagen.
Was darauf folgt, ist ein sinfonisches Potpourri, in dessen Orchesterklang sich Hammondorgel und E-Gitarre einfügen, schließlich auch ein Gesang zur Textdichtung von Ian Gillan – und spätestens hier dürfte der Komponist Jon Lord erkannt worden sein. Wenn man ihn denn noch kennt.
Jon Lord? Das war der wahrhaft begnadete Organist von Deep Purple, ein Ausnahmekünstler, der sich immer wieder seine Auszeiten nahm, um auf ganz eigene Art Rock und Klassik miteinander zu verknüpfen. Neben seiner »Sarabande« – einer grandiosen Verbindung von Barock und Rock – dürfte ihm dies im 1969 entstandene »Concerto For Group And Orchestra« am eindrucksvollsten gelungen sein. Uraufgeführt wurde es in der Londoner Royal Albert Hall, Malcolm Arnold leitete seinerzeit das Royal Philharmonic Orchestra, das – an Dramatik schwer zu überbieten, mit lyrischen Momenten und rockigen Ausbrüchen versetzt – gemeinsam mit Deep Purple agierte. Ein Jahrhundertereignis, Nachgeborene werden um ausreichend Vertrauen gebeten, dieser Wertung zu folgen. Sie könnten schon bald beim Party-Talk damit glänzen.
Überzeugen dürfen sie sich ebenso wie die altbackenen Kenner von Werk, Band und Szene am 1. Juli beim Sommerkonzert des Universitätsorchesters Dresden. Mit rund 100 Musikerinnen und Musikern gibt es unter seinem Künstlerischen Leiter Filip Paluchowski sein Debüt im neuen Konzertsaal des Kulturpalastes, eine Rockband der Dresdner Hochschule für Musik ist mit von der Partie. Ein halbes Jahrhundert nach Gründung dieser Kultband Deep Purple ist die Dresdner Aufführung ein würdiges Gedenken an diesen musikalischen Meilenstein der Moderne.
Dramaturgische Großtat
Universitätsorchester mit deutscher Weinberg-Erstaufführung
Michael Ernst
Dramaturgisch ist dies eine Großtat: Filip Paluchowski wagt sich an einen fast vergessenen Meister des 20. Jahrhunderts. Der hat allein 22 Sinfonien geschrieben, vier weitere bezeichnete er als Kammersinfonien, außerdem mehrere Opern, Solokonzerte und jede Menge Kammermusik und Filmkompositionen. In seinem Œuvre verbirgt sich persönliches Schicksal, spiegeln sich die leidvollen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Noch immer ist er nur einem (zu) kleinen Publikum bekannt. Sein Name: Mieczysław Weinberg. Lange stand er im Schatten seines Mentors und Freundes Dmitri Schostakowitsch, dem er in der Tat weit mehr als nur musikalische Bestärkung zu verdanken hat. Als Sohn moldawischer Juden 1919 in Warschau geboren, floh er nach dem Einmarsch der deutschen Nazis gen Osten, studierte in der Sowjetunion Musik, geriet in die Fänge des Stalinismus (ein Onkel seiner Ehefrau zählte zu Stalins Leibärzten und kam nach einer Verschwörung ins Lager) und wurde wohl nur durch Schostakowitschs persönlichen Einsatz (der schrieb einen Brief an Geheimdienstchef Beria) gerettet.
Auch die Musik von Mieczysław Weinberg ist durchaus von Schostakowitsch beeinflusst, doch es wäre ein Fehler, die stilistische Einmaligkeit des Jüngeren zu überhören. Wohl speist sich seine Klangwelt ebenfalls aus einem verwandelten Volkston, birgt unverkennbar jüdische Einflüsse in sich und ist getragen von jener elegisch erzählenden Haltung, die auch das Schaffen des als »Staatskomponisten« verkannten Schostakowitsch prägt. Doch Weinberg, der bis zu seinem Tod 1996 in Moskau gelebt hat (und hier erst sehr spät erfahren musste, dass seine gesamte Familie im Warschauer Ghetto umgebracht wurde), ist durchaus eigene Wege gegangen. Nicht zuletzt, um das selbst erlittene und aus seinem Umfeld erfahrene Leid zu verarbeiten. Insbesondere Weinbergs Opernschaffen (darunter »Die Passagierin«, an der Semperoper 2017 in nur wenigen Vorstellungen als Übernahme der Oper Frankfurt aufgeführt) erfährt in den vergangenen Jahren eine gewisse Renaissance, doch sein Schaffen gehört viel mehr in die Spielpläne der Häuser, Orchester und Kammerensembles. Die Schostakowitsch-Tage Gohrisch haben es vorgemacht.
Dass nun auch das Universitätsorchester Dresden diesen Komponisten »entdeckt«, ist gar nicht hoch genug zu schätzen. Filip Paluchowski, seit 2015 der Künstlerische Leiter dieses aus Studenten, Mitarbeitern und Absolventen der TUD bestehenden Klangkörpers, wendet sich im Sommerkonzert gar der 3. Sinfonie von Mieczysław Weinberg zu, die bislang noch nicht in Deutschland aufgeführt worden ist. Ein anspruchsvolles, herausforderndes Werk, das einerseits sinfonisches Traditionsbewusstsein, andererseits eigenständige Klangstrukturen herausstellt. Entstanden ist dieses klassisch viersätzige Opus in den Jahren der »Formalismus«-Debatte, um 1959 hat er es nochmals revidiert. Die Sinfonie lebt von wuchtigen Passagen und flirrenden Bläsersoli, ist mitreißend und strahlt einen optimistischen, farbenprächig schillernden Grundgestus aus. In verhaltenen Momenten, etwa dem Adagio, entfaltet es fast impressionistische Wirkung, sein grandioses Finale wiederum bekennt sich zu den Einflüssen klassischer Moderne, wobei immer wieder auch folkloristische Töne herausstechen. Ein unbedingt honoriges Unterfangen, diese Sinfonie einem breiteren Publikum bekannt zu machen.
Weit über 100 verschiedene Ausgaben des Konzerts auf Schallplatte und CD
Jon Lords »Concerto For Group And Orchestra« diskografiegeschichtlich betrachtet
Karsten Eckold
Einer der bekanntesten Versuche, Rockmusik und Klassik zu vereinen, war das legendäre »Concerto For Group And Orchestra«. Am 24. September 1969 traten damit in der Londoner Royal Albert Hall die Rock-Band Deep Purple (Jon Lord, Ian Gillan, Ritchie Blackmore, Roger Glover, Ian Paice) und das Londoner Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Malcolm Arnold auf. Das Werk – das erste Live-Album von Deep Purple – wurde erstmals im Dezember 1969 in den USA (Tetragrammaton) und im Januar 1970 in Großbritannien (Harvest) auf Vinyl veröffentlicht. Diese Veröffentlichungen enthielten nur das dreiteilige »Concerto«, wobei der zweite Satz in zwei Hälften geteilt war. Kopien der ursprünglichen US-Ausgaben sind selten, weil Tetragrammaton bankrott ging, während das Album noch herausgegeben wurde.
Zum originalen Konzertprogramm von 1969 gehörten neben dem eigentlichem Concerto (samt einer Zugabe daraus) die Symphonie No. 6 von Malcolm Arnold und die Deep-Purple-Titel »Hush« und »Wring That Neck« sowie das gut zehnminütige, extra für das Konzert geschriebene »Child In Time«. Der Protestsong gegen den Vietnamkrieg ist wohl einer der bekanntesten Titel der Rockmusik. Wikipedia schreibt gar, dass er in den 1970er- und 1980er-Jahren als »inoffizielle Hymne der osteuropäischen Freiheits- und Widerstandsbewegung« galt. 1970 erschien die Studioversion von »Child In Time« auf dem Album »Deep Purple in Rock«.
Am 25. August 1970 wurde das Concerto ein weiteres Mal mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Lawrence Foster in der Hollywood Bowl aufgeführt. Das Bemerkenswerte daran ist, dass im Anschluss daran die Partituren verloren gingen. Erst Mitte der 90er-Jahre machte sich der niederländische Komponist Marco de Goeij daran, das Werk anhand von Tonaufnahmen und Filmmitschnitten Note für Note zu rekonstruieren. Als Deep Purple 1997 in den Niederlanden auftrat, präsentierte de Goeij Jon Lord seine Arbeit. Am 25. und 26. September 1999 wurde das Werk von Deep Purple schließlich nach der »neuen« Partitur mit dem London Symphony Orchestra in der Londoner Royal Albert Hall aufgenommen und später mehrfach mit verschiedenen Orchestern in Konzerten aufgeführt.
Das Portal »Discogs« listet allein 126 Ausgaben des Concertos auf, die in aller Welt seit 1969 auf Vinyl oder als Silberling veröffentlicht wurden. So erschien eine Neuabmischung im Jahr 2002 als Doppel-CD (»Intro«, »Hush«, »Wring That Neck«, »Child in Time« auf CD 1 und dem Concerto auf CD 2). Am 6. Mai 2003 erschien ein Musikvideo/DVD mit einer TV-Aufnahme aus dem Jahr 1970.
2012 erschien die erste Studioversion des Concertos mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra und Paul Mann am Dirigentenpult. Statt Deep Purple spielten in den berühmten Abbey Road Studios namhafte Gastmusiker die Rockparts ein. Unter ihnen Bruce Dickinson (Iron Maiden, Gesang), Steve Morse (Deep Purple, Gitarre), Joe Bonamassa (Gitarre), Guy Pratt (Pink Floyd, Bass).
Am 16. Juli 2012 verstarb Jon Lord mit 71 Jahren in London. Bis zum Schluss war er im Studio dabei und an der der Abmischung beteiligt. Nur wenige Tage vor seinem Tod wurde das Projekt fertiggestellt.
Am 8. August 2014 erschien bei Warner Music eine Neuauflage des Konzertmitschnitts »Concerto For Group And Orchestra«. Auf drei LPs enthält sie erstmals auf Vinyl das komplette Abendprogramm des Londoner Konzerts vom 24. September 1969 samt 16-seitigem informativem Booklet.
Diese Artikel sind im Dresdner Universitätsjournal 10/2018 vom 29. Mai 2018 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.