Der Hidschab war ihr ständiger Begleiter
Nina Niese studiert Verfahrens- und Faserwerkstofftechnik an der TUD und absolvierte ein Praxissemester im Iran
Nina Niese
Ich studiere Verfahrens- und Naturstofftechnik an der TUD und habe mich in der Holz- und Faserwerkstofftechnik (HFT) spezialisiert. Auf der Suche nach einem Platz für mein Praxissemester erfuhr ich von einer neuen Kooperation zwischen der HFT-Professur und dem iranischen Pendant an der Universität Tehran. Dabei geht es um die Entwicklung von Ölbindern aus lokal verfügbaren Reststoffen der Landwirtschaft, die später zur Havariebekämpfung im Persischen Golf oder auf dem Kaspischen Meer eingesetzt werden sollen. Die Technologie wurde bereits für deutsche Küstengewässer entwickelt und getestet und soll in den Iran transferiert werden. Meine Aufgabe war es, die Tauglichkeit der im Iran verfügbaren Materialen wie z.B. Bagasse, Reis- oder Getreidestroh für die Herstellung der Ölbinder zu untersuchen. Interessanterweise gibt es im Iran tatsächlich kleine Werke, die z.B. Bagasse und Pistazien- oder Palmholz zu Span- und Faserplatten verarbeiten.
Beim Anblick der Reisenden bei der Gepäckabgabe am Berliner Flughafen hätte man noch nicht vermutet, dass dieser Flug direkt in den Iran geht. Erst mit dem Beginn des Landeanfluges auf Tehran begann ein Kramen und Umziehen der Frauen an Bord. Das war auch für mich das Zeichen, mir einen Schal überzuwerfen. Außer Haus war der Hidschab ab da mein ständiger Begleiter. Für die Zeit meines Aufenthaltes wohnte ich im Studentinnenwohnheim auf dem Außencampus in Karaj zirka eine Autostunde westlich von Tehran. Im Wohnheim war es nicht schwer, mit meinen Mitbewohnerinnen in Kontakt zu kommen. Schnell hatte ich Einladungen zum Tee, Angebote für Unternehmungen und Ansprechpartner für jegliche Art von Problemen. Da ich zunächst keinerlei Sprachkenntnisse in Farsi besaß, war diese Unterstützung besonders zu Beginn sehr hilfreich. Oft überraschten mich meine Gesprächspartner aber auch mit sehr guten Sprachkenntnissen in Englisch und manchmal sogar auf Deutsch. Aber selbst Menschen ohne Fremdsprachenkenntnisse waren sehr hilfsbereit und aufgeschlossen.
Da ich auf dem Campus gewohnt habe, brauchte ich gerade mal zwei Minuten zu Fuß bis zum Institut. Die meisten Arbeiten hatte ich im Technikum zu erledigen, dort war meistens ab halb neun jemand da. Meine Arbeitsabläufe habe ich selbstständig eingeteilt und organisiert, daher war ich früh meist nochmal im Büro, um zu sortieren, was ich alles machen wollte. Mit meinen im Labormaßstab gefertigten Proben konnte ich die Tauglichkeit der infrage kommenden Materialien nachweisen.
Der Unicampus in Karaj gehört zur Agrar- und Forstfakultät und so kamen viele meiner Mitbewohnerinnen aus ländlichen Regionen und kleinen Städten des Landes. Ab und zu bin ich der Einladung gefolgt, ein Wochenende bei ihren Familien zu verbringen. Ich wurde jedes Mal sehr herzlich aufgenommen. Sie haben mir aus ihrem Alltag erzählt, über Traditionen und Gepflogenheiten in der Familie und allgemein das Leben im Iran. Oft waren in den Wohnungen fast überall Teppiche auf dem Fußboden und es gab großzügige Sitzmöglichkeiten auf Sesseln und Sofas. In manchen Wohnungen gab es einen Esstisch, in anderen wurde einfach auf dem Boden gegessen. Dazu wurde eine große Tischdecke ausgebreitet und alle setzten sich drumherum.
Das Land ist ebenso vielschichtig und abwechslungsreich wie seine Bevölkerung. Klischee trifft auf Überraschung, Moderne auf Tradition, öffentliches Leben auf das Leben hinter den Türen und Fenstern. Es gibt Gesetze, Regeln und das Umgehen der Regeln und Gesetze. An manchen Orten ist dieses Umgehen der Regeln sogar mittlerweile geduldet. Besonders im Norden von Tehran gibt es viele moderne Shisha-Bars, wo sich junge Leute treffen und zu moderner Musik den Abend genießen.
Es war mir eine Freude, dieses sehr widersprüchliche Land kennenzulernen.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 11/2018 vom 12. Juni 2018 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.