Lehndorff’sche Erbbegräbniskapelle ist gerettet
Professur für Tragwerksplanung und wandernde Zimmerleute sanieren Dachstuhl von neugotischem Mausoleum in Polen
Autor: Anke Eis
Am 14. Juli 2018 setzten wandernde Zimmerleute von der Gesellschaft »Freie Vogtländer Deutschlands – Einheimische und reisende Bauhandwerker« den Richtbaum auf den sanierten Dachstuhl der Erbbegräbniskapelle der Familie von Lehndorff im polnischen Groß Steinort (Sztynort Duży). Das Mausoleum gehört zur ehemaligen Gutsanlage mit Herrenhaus, Wirtschaftshof und Schlosspark. Der neugotische Bau im Architekturstil einer Kapelle war in einem bedenklichen Zustand und völlig dem Verfall preisgegeben. Architekt des Mausoleums ist Friedrich August Stüler, ein Schüler von Karl Friedrich Schinkel und einer der bedeutenden Baumeister des preußischen Königshauses im 19. Jahrhundert.
Möglich geworden war die Sanierung des maroden Dachstuhls durch Prof. Wolfram Jäger, Senior-Professor für Tragwerksplanung an der TUD-Fakultät Architektur. Der international anerkannte Experte für die Sanierung historischer Bauwerke hatte eine private Spendenaktion zur Rettung dieses beeindruckenden Baues initiiert. Außerdem ermöglichte er mit einer intelligenten Gerüstlösung die Arbeiten überhaupt erst. Mit dem abgebundenen Auslegergerüst konnten erhebliche Kosten gespart und die knappen finanziellen Mittel umfänglich in die Dach- und Mauerwerkskonstruktion gelenkt werden.
Die Beauftragte der deutschen Bundesregierung für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters, unterstützt die Initiative ebenso wie die Deutsch- Polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz und die Lehndorff- Gesellschaft Steinort e.V. Dankenswerterweise hat aber auch die Industrie das Vorhaben mit Materialspenden großzügig unterstützt, von denen hier Wienerberger, Remmers, Xella, Tubag, Egger und die Hermann Graf von Hatzfeldt Wildenburg’sche Verwaltung genannt sein sollen. Junge Mitarbeiter der Professur für Tragwerksplanung und der Jäger Ingenieure GmbH hatten freiwillig die planerische Vorbereitung übernommen und Architekt Mikolaj Nowakowski die erforderlichen Genehmigungen besorgt. Matthias Hohl als örtlicher Bauunternehmer stand beim Rückbau und beim Aufrichten mit Maschinen und Geräten sowie mit seinen Arbeitern den Zimmerleuten hilfreich zur Seite. Er sorgte auch dafür, dass das fast zwei Meter große Kreuz nun wieder die Kapelle bekrönt. Es waren davon nur noch Einzelteile erhalten, die als Vorlage für einen Ersatz dienten, den die Lehndorffgesellschaft wiederum mit einer Sonderspendenaktion ermöglichte. Dank gilt auch der Gemeinde Wegorzewo, die den bis dahin schwer befahrbaren Weg durch sumpfiges Gebiet für das Richtfest und die weiter folgenden Arbeiten an der Kapelle auf eigene Kosten herrichtete.
Jungingenieur Paul Neumann von den Jäger Ingenieuren, der selbst fast drei Jahre auf Wanderschaft war, fungierte als Zimmererpolier. Er bearbeitete und leitete den rechnerischen Abbund. Dem Polier gebührt alle Achtung, denn am Ende passten alle Verbindungen millimetergenau. Zudem verwendete er so viel Altholz wie möglich und wurde somit höchsten Ansprüchen der Denkmalpflege gerecht. Höhepunkt war das Wiedereinsetzen des Kaiserstieles, der immerhin ein Gewicht von knapp 600 Kilogramm hat und die 300 Kilogramm wiegende Gusskugel und das Kreuz trägt. Das Zuarbeiten war eine besondere Herausforderung im Hinblick auf die Kenntnisse und Fähigkeiten in der Darstellenden Geometrie.
Ein umfangreiches Lehrmaterial über das Vorhaben und die Ausführung wird künftig Architekturstudenten helfen, vergleichbare Aufgaben bei der Sanierung historischer Bauwerke in Angriff nehmen zu können. Beim Aufrichten des Dachstuhls waren Muskelkraft und Rückbesinnung auf Grundregeln der Mechanik gefragt. Erstens hätte ein Kran es durch das sumpfige Gebiet gar nicht geschafft, an Ort und Stelle zu kommen, und zweitens wäre eine kostspielige Anfahrt von weit her notwendig geworden. So dauerte das Richten zwar etwas länger, verursachte aber weniger Kosten.
Knapp 100 Gäste waren gekommen, um dem feierlichen Akt beizuwohnen und sich darüber zu freuen, dass der erste Meilenstein bei der Rettung dieses architektonischen Kleinods erreicht ist. Unter ihnen waren der Eigentümer, die Polnisch-Deutsche Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz – vertreten durch den deutschen Honorarkonsul aus Olsztyn Wojciech Wrzecionkowski, der stellvertretende Bürgermeister von Wegorzewo, Andrzej Lachowicz, mit Vertretern der Gemeinde sowie Senator Wieslaw Pietrzak. Wandergeselle Malte Urban hielt den Richtspruch und Wojciech Wrzecionkowski durfte als Vertreter des Eigentümers den letzten Sparrennagel einschlagen. Es folgten Grußadressen der Generalkonsulin Cornelia Pieper, der Vorsitzenden der Lehndorff-Gesellschaft, Dr. Bettina Bouresh, und des Chefs der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann. Wojciech Wrzecionkowski dankte den Akteuren und Förderern des Vorhabens für ihren Einsatz und Andrzej Lachowicz unterstrich die Bedeutung der Arbeiten für die Wiederherstellung der touristischen Anziehungskraft der Kapelle und sagte weitere Unterstützung im Rahmen des Möglichen zu. Pfarrer Krystian Borkowski erteilte zum Schluss den Segen.
Nachdem die Zimmerleute einen Stiefel Bier geleert hatten, ging es zurück per Schiff oder zu Fuß zum Schloss, wo dann das Ereignis bei Bratwurst und Bier traditionell bis in die Abendstunden gefeiert wurde. Die Sicherung der Lehndorff’schen Kapelle ist Erfolg bürgerlichen Engagements sowie nicht nachlassender Initiative und damit Zeichen eines Aufbruchs bei der Rettung und Sanierung von Schloss Steinort selbst.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 13/2018 vom 04. September 2018 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.