10.08.2020
»Das Kooperationsmodell der Dresdner Hochschulmedizin ist eine Erfolgsgeschichte«
Vier Fragen an TUD-Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen, Medizin-Dekan Prof. Heinz Reichmann und UKD-Vorstand Prof. D. Michael Albrecht
Beim Kooperationsmodell und Integrationsmodell handelt es sich um zwei verschiedene Arten von Organisationsmodellen, welche in der Hochschulmedizin in Deutschland prägend sind. Während das Kooperationsmodell die organisatorische Trennung von Klinikum und Fakultät vorsieht, forciert das Integrationsmodell die gemeinsame Bewältigung des Aufgabenverbundes von Forschung, Lehre, Krankenversorgung und Wirtschaftsführung in organisatorischer und rechtlicher Einheit durch Klinikum und Fakultät. In Dresden gilt das Kooperationsmodell – das UJ befragte die drei Kopfe der Partner TU Dresden, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum zu den Erfolgsgründen dieser Form der Zusammenarbeit.
UJ: Prof. Müller-Steinhagen, was macht die TU Dresden zu einer Exzellenzuniversität und welche Rolle spielen Medizinische Fakultät und Uniklinikum dabei?
Prof. Müller-Steinhagen: Der Erfolg der TU Dresden im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes ist Lohn und Anerkennung für eine der leistungsstärksten Universitäten Deutschlands, für hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Bereichen der Universität und für unsere überzeugenden Konzepte. Bei den Begutachtungen, aber auch in Stellungnahmen des BMBF und des SMWK wird in diesem Zusammenhang immer unsere beispielhafte synergetische Zusammenarbeit über disziplinare und institutionelle Grenzen hinweg hervorgehoben. Seit fast acht Jahren werden wir jetzt schon als Exzellenzuniversität gefordert und haben es dank dieser Unterstützung geschafft, uns fest in der Spitzenklasse der deutschen Universitäten zu etablieren. Wir haben die bisherige Förderung genutzt, nationale und internationale Spitzenwissenschaftler an die TU Dresden zu holen, unsere Strukturen und Prozesse zu optimieren und unsere Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Rahmen von DRESDEN-concept weiter zu intensivieren. Und dabei spielt unsere Hochschulmedizin, bestehend aus Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, eine ganz wesentliche Rolle. Der Wissenschaftsrat bestätigte bei seiner letzten Begutachtung, dass die außergewöhnlich enge Zusammenarbeit von Universitätsklinikum, Medizinischer Fakultät und gesamter TU Dresden beispielhaft ist und Forschung auf internationalem Spitzenniveau ermöglicht. Damit war und ist diese Zusammenarbeit zugleich ein wesentlicher Baustein unseres Erfolges im Exzellenzwettbewerb.
Wo sehen Sie in der Rückschau auf die vergangenen Jahre die stärksten Synergien zwischen Hochschulmedizin und der TUD als Ganzes?
Neben dem gemeinsamen Erfolg in der Exzellenzinitiative konnte ich hier zahlreiche Punkte aufführen. So bildete beispielsweise der in der Medizin angesiedelte, inzwischen ausgelaufene Sonderforschungsbereich SFB 655 ≫Cells into Tissues≪ mit seinen zahlreichen außeruniversitären Kooperationen einen wesentlichen Meilenstein zur späteren erfolgreichen Einwerbung des Center for Regenerative Therapies Dresden (CRTD). Das gesamte Thema der Krebsforschung und -behandlung hat ein enormes Potenzial für wissenschaftliche Zusammenarbeit, ich mochte hier nur die Zentren OncoRay und NCT als Beispiele nennen. Ein ganz aktuelles Beispiel ist der Erfolg im harten Wettbewerb um das ≫Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Digitale Gesundheit≪. Mit der interdisziplinaren Verknüpfung von Ansätzen der künstlichen Intelligenz, der Medizin- und Sensortechnik, der Digitalisierung und der patientennahen klinischen Forschung konnten die TU Dresden und das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus die Stiftung vor etwa einem Jahr überzeugen. Und Dresden wird mit dem neuen Zentrum auf diesem Forschungsgebiet eine mindestens europaweit führende Rolle einnehmen. Die strategische Entwicklung der Universitätsschwerpunkte, die erfolgreiche Einwerbung von Exzellenzclustern und Sonderforschungsbereichen, und viele erfolgreiche einzelne Forschungsprojekte haben einen Nährboden geschaffen, auf dem dank des einzigartigen kooperativen Dresden Spirits der Dresdner Wissenschaft in den kommenden Jahren zahlreiche neue, wegweisende und fächerübergreifende Initiativen entstehen werden. Nicht umsonst haben wir auch in unserem Antrag im Exzellenzwettbewerb das große Potenzial des Forschungsgebiets ≫Neurowissenschaften≪ an der TU Dresden hervorgehoben.
Aber auch bei den Planungen für den neuen Modellstudiengang Humanmedizin ≫MEDiC≪ unserer Medizinischen Fakultät, der, in Chemnitz angesiedelt, eine bessere medizinische Versorgung in ländlichen Regionen sicherstellen soll, ist eine enge Kooperation der Fakultät mit Uniklinikum und TUD-Kernverwaltung essenziell und es konnten Synergien genutzt werden.
Die Hochschulmedizin Dresden besteht im Kern aus den starken Partnern TU Dresden mit ihrem Bereich Medizin und dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus. Eine Besonderheit am Standort Dresden ist aber auch die enge Verflechtung über die Wissenschafts-Allianz DRESDEN-concept mit hochkarätigen außeruniversitären Einrichtungen wie den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft, der Helmholtz-Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft. Wie ist es gelungen, die Interessenlagen so erfolgreich auszutarieren?
Eine derartige Zusammenarbeit kann man nicht planen oder erzwingen, sie ist nur durch die Bereitschaft und den Einsatz der handelnden Personen möglich. Ich hatte in den vergangenen zehn Jahren als Rektor der TU Dresden und als Vorstandsvorsitzender von DRESDEN-concept das Privileg, mit wissenschaftlich brillanten Persönlichkeiten zusammenzuarbeiten, die nicht nur über Führungs- und Gestaltungskompetenzen verfugen, sondern auch fest davon überzeugt sind, dass wir gemeinsam – und nur gemeinsam – den Wissenschaftsstandort Dresden zu einer internationalen Spitzenposition entwickeln können. Dazu muss man sich aber nicht nur fachlich, sondern auch persönlich kennen, verstehen und vertrauen. Denn nur dann entsteht die Bereitschaft zu einer langfristigen, strategischen Zusammenarbeit, die weit über einzelne Projekte hinausgeht.
Wo sehen Sie die TU Dresden und insbesondere den Bereich Medizin in zehn Jahren?
Die TU Dresden als Ganzes sehe ich auf dem besten Weg zu einer internationalen Spitzenuniversität. Und hier wird die Dresdner Hochschulmedizin mit der forschungsstarken Medizinischen Fakultät und dem in Krankenhaus-Rankings immer wieder topbewerteten Universitätsklinikum weiterhin einen wesentlichen Beitrag leisten und selbst national und international äußerst erfolgreich und sichtbar sein – besonders bei den über Jahre verfolgten Schwerpunkten Krebs, neurodegenerative Erkrankungen und Diabetes.
»Die enge Verzahnung von Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum garantiert eine hochqualifizierte Medizinerausbildung.«
UJ: Prof. Reichmann, wie schwierig ist es, wissenschaftliche Innovationen an das Patientenbett zu bringen?
Prof. Reichmann: Aus meiner Sicht ist die translationale Forschung gerade in der Medizin von überragender Bedeutung. Es gibt so viele offene Fragen und fehlende Therapieoptionen, deren Beantwortung und Entwicklung zu großen Chancen für Patienten werden können. Gerade an einem Universitätsklinikum muss es unser Anliegen sein, Ideen, die aus dem Labor kommen, in die Diagnostik und Therapie von Patienten weiterzuentwickeln. Hierzu gibt es an unserem Klinikum sehr gute Voraussetzungen, da wir sogar eine eigene Station eröffnet haben, wo innovative Therapien angewandt werden. Viele Mitglieder der Medizinischen Fakultät Dresden sind als Ärzte am Klinikum auch in der Rolle des clinician scientist erfolgreich und haben stets das Ziel, die Therapie unserer Patienten weiter voranzubringen.
Wie lassen sich Wissenschaft und Lehre heute finanzieren, welche Rolle spielen Kooperationen dabei?
Die Hochschulmedizin Dresden hat für die Wissenschaft und Lehre Landesgelder und Drittmittel zu Verfügung. Die Landesmittel sind insbesondere für die Ausbildung junger Ärztinnen und Ärzte, d.h. Medizinstudierende, gedacht, unterstützen aber auch die Wissenschaft. Dazu besteht die Möglichkeit, mit der forschenden Industrie insbesondere auf den Sektoren Diagnostik und neue Therapien zusammenzuarbeiten. Besonders wichtig und für die Reputation eines Hochschulstandortes unverzichtbar sind aber die Einwerbung von Drittmitteln von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Europäischen Union, von Stiftungen und von Landesforschungstöpfen. Für die wichtige Finanzierung durch die EU sind Kooperationen mit anderen internationalen Standorten oft Voraussetzung und unsere Hochschulmediziner sind hierbei sehr erfolgreich.
Zu einer Spitzenmedizin gehören Spitzenforscher – wie begeistern Sie diese für Dresden?
Die Dresdner Hochschulmedizin hat schon vor Jahren eine hohe Reputation für Spitzenforschung erreicht. Grundlage dafür war für uns zunächst neben dem Aufbau der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums die Ansiedelung von herausragenden Forschungseinrichtungen wie das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik. Es kamen dann Institute der Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Institute und Fraunhofer-Institute dazu, mit denen wir sehr eng im DRESDEN-concept zusammenarbeiten. Diese Biopolis zieht sehr viele international ausgewiesene Forscher nach Dresden, da sie die Interaktion mit anderen Hochkarätern, die schon vor Ort sind, suchen.
Welche Effekte hat die Nähe zwischen Wissenschaft und Patientenversorgung auf die Medizinerausbildung in Dresden heute und in Zukunft?
Die herausragenden Wissenschaftler und Ärzte prägen ein Klima der Exzellenz und sind dadurch Vorbild und Ansporn für junge Kollegen. Die Studenten können in diesem Umfeld wissenschaftliches und ärztliches Handeln von ausgewiesenen Wissenschaftlern und Ärzten erlernen und sich so zum Beispiel durch eine anspruchsvolle Doktorarbeit für die nächsten Schritte qualifizieren. Durch die verschiedensten Förderprogramme können sie zum clinician scientist werden und über die Habilitation den Weg zum Arbeitsgruppenleiter oder Oberarzt gehen. Die enge Verzahnung von Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum garantiert eine hochqualifizierte Medizinerausbildung.
»Den gleichen Weg in Wissenschaft und Klinik einzuschlagen potenziert unseren Erfolg.«
UJ: Prof. Albrecht, wie war es möglich, in den vergangenen 18 Jahren in Dresden einen Standort der Hochschulmedizin zu etablieren, den zuvor kaum jemand auf dem Plan hatte?
Prof. Albrecht: Nichts von dem, was wir heute als Qualität in der Dresdner Hochschulmedizin sehen, war zufällig. Vielmehr ging und geht es uns um eine strategische Unternehmensführung, in der viele Player an einem großen Ziel arbeiten. Der Dresdner Hochschulmedizin ist es in den vergangenen Jahren gelungen, sich über die Bundesrepublik hinaus als führende Institution der Krankenversorgung, Forschung und Lehre zu etablieren. Basis dieses Erfolges bildet die Mitte der 1990er-Jahre entworfene Strategie, uns auf relevante Zukunftsfelder der Medizin zu konzentrieren, dazu gehören die Felder der Krebsmedizin, der Diabetologie und der neurodegenerativen Erkrankungen.
Was zeichnet die Kooperation zwischen der TU Dresden, der Medizinischen Fakultät und dem Klinikum aus?
Pluspunkte sind mit Sicherheit die gemeinsamen Zielvorstellungen und das harmonische Verhältnis zwischen Medizinischer Fakultät und Klinikum. Das gibt es nur an wenigen Standorten. Dieser Schulterschluss ist ein großer Garant für ein partnerschaftliches Miteinander und letztlich für den großen Erfolg in Forschung, Lehre und Krankenversorgung. Eine Harmonie, die sich auch in den Berufungen zeigt. Klinikum und Fakultät achten stets sehr darauf, dass die Schwerpunkte in Forschung und Krankenversorgung übereinstimmen. Den gleichen Weg in Wissenschaft und Klinik einzuschlagen bedeutet, doppelten Erfolg zu haben.
Was ist Ihre Vision für die Zusammenarbeit in den kommenden zehn Jahren?
Die kontinuierlich ausgebaute wirtschaftliche Stärke des Universitätsklinikums sichert die Zukunft der Hochschulmedizin Dresden. Die Basis dafür bildeten die von uns in den vergangenen Jahren entwickelten innovativen Versorgungskonzepte und effizienten Strukturen. Doch der Blick in die Zukunft zeigt uns auch, dass wir unsere Strategie erweitern müssen, um auch die Herausforderungen der kommenden Jahre in Erfolge verwandeln zu können. Deshalb setzt die Hochschulmedizin Dresden auf eine Vision, in der es nicht um einen abrupten Umbruch auf den Gebieten Forschung, Lehre und Krankenversorgung geht, sondern darum, die bisherige Strategie konsequent wie forciert auf die digitale Medizin auszuweiten.
Vor welchen Herausforderungen steht die Hochschulmedizin heute?
Die Digitalisierung verändert die Prozesse im Krankenhaus radikal. Big Data wird dabei das Stichwort der Zukunft sein. In dem von Uniklinikum und Medizinischer Fakultät der TU Dresden Anfang 2018 gegründeten Zentrum für Medizinische Informatik (ZMI) arbeiten 20 wissenschaftliche Mitarbeiter daran, eine innovative und vor allem sichere Plattform für Patientendaten zu entwickeln und ein System zu entwerfen, mit dem man auf diese Daten auch gezielt zugreifen kann. Wir brauchen den ganzheitlichen Blick auf die Daten. Künstliche Intelligenz kann uns dann helfen, relevante Dinge und Muster zu erkennen, um Hinweise für geeignete, individualisierte Therapien zu erhalten, von denen die Patienten noch besser und schneller profitieren können.
Die Fragen stellten Ines Mallek-Klein, Stephan Wiegand und Konrad Kästner.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 12/2020 vom 23. Juni 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.