Oct 04, 2022
»Der Hund nimmt jeden Menschen so, wie er ist«
Forschungsgruppe startet am 20. Oktober die neue Veranstaltungsreihe »TU Dresden im Dialog: Mensch-Tier-Beziehung – interdisziplinäre Perspektiven«
Beate Diederichs
Die derzeit neunköpfige Forschungsgruppe Mensch-Tier-Beziehung an der TUD untersucht seit 2004, wie Zweibeiner und Vierbeiner miteinander umgehen. Dabei ist die tiergestützte Intervention ein wichtiger Schwerpunkt. »Unsere Forschung beschäftigt sich vor allem mit Heimtieren und unter diesen hauptsächlich mit dem Hund«, sagt Gründungsmitglied Frank Nestmann. Der emeritierte TUD-Professor für Beratung und Rehabilitation und die anderen Mitglieder der Forschungsgruppe freuen sich derzeit auf ein neues Projekt, die Veranstaltungsreihe »TU Dresden im Dialog: Mensch-Tier-Beziehungen – interdisziplinäre Perspektiven«, die am 20. Oktober starten wird.
Manch gut Ding will Weile haben. Als Frank Nestmann im Jahre 1993 seine Antrittsvorlesung zum Thema »Tiere helfen heilen« an der TU Dresden hielt, hatte er bereits die Idee im Hinterkopf, eingehender zur Beziehung zwischen Mensch und Tier zu forschen. »Diesen Gedanken hatte ich von der Hochschule in Bielefeld mitgebracht, an der ich vorher tätig gewesen war und wo ich mich bereits mit dieser Problematik befasst hatte«, berichtet er. Vor allem in der Zusammenarbeit mit der Erziehungswissenschaftlerin Antje Beckmann konkretisierte sich die Idee, bis endlich im Jahr 2004 die Forschungsgruppe Mensch-Tier-Beziehung entstand. »Nach und nach kamen weitere Mitglieder hinzu, vor allem über Lehrveranstaltungen, wissenschaftliche Arbeiten und Drittmittelprojekte«, so Nestmann weiter. Derzeit zählt die Gruppe neun Mitglieder: außer Frank Nestmann und Antje Beckmann sind dies Annett Eckloff, Polli Hornung und Lena Scheidig, Fachkräfte für tiergestützte Intervention, Julia Enxing, Professorin für Systematische Theologie, Mandy Weber, Psychologin, Sandra Wesenberg, Gastprofessorin für Klinische Psychologie, und Lydia Wolff, Kunsttherapeutin und Pädagogin. Die Mitglieder sind teils in Dresden, teils anderswo beschäftigt. »Man sieht, dass bei uns die Geistes- und Sozialwissenschaften dominieren. Doch wir beziehen selbstverständlich auch aktuelle Erkenntnisse aus der Verhaltensbiologie in unsere Forschung ein«, betont Frank Nestmann.
Die Gruppe untersucht, wie ihr Name schon sagt, wie Mensch und Tier miteinander umgehen, wobei die sogenannte tiergestützte Intervention einen besonderen Schwerpunkt ausmacht. Diese Vorgehensweise fasst alle Angebote zusammen, bei denen geeignete Tiere gezielt eingebunden werden, um bestimmte Fähigkeiten beim Menschen zu fördern oder ihm Lebensfreude zu geben beziehungsweise zurückzugeben. »Wir untersuchen vor allem die Wirkung domestizierter Tiere und darunter wiederum hauptsächlich die des Hundes. Mensch und Hund leben bereits so lange zusammen, dass diesem Tier eine besondere Rolle zukommt. Zu anderen domestizierten Tierarten – Katzen, Pferden, Lamas, Eseln oder Kleintieren – wurde in dieser Hinsicht zwar auch schon geforscht, aber nicht in vergleichbarem Maß wie zum Hund«, sagt Frank Nestmann. Dieser vierbeinige Begleiter hat einfach ein erstaunliches Potenzial: Er wirkt in Anspannungssituationen als Stresspuffer und spendet Trost. »Dabei wertet er nicht. Der Hund nimmt jeden so an, wie er ist.« Zudem wirkt das Tier als sozialer Katalysator, meint der emeritierte Professor der TUD. »Wer einen Hund besitzt, hat mehr zwischenmenschliche Kontakte: bekommt öfter Besuch, wird öfter angesprochen.« Die Verantwortung für ein Tier, speziell einen Hund, helfe auch bei zurückgezogener Lebensweise, den Tag zu strukturieren. Wenn bei einer Tätigkeit im Home-Office beispielsweise die Stunden zu verschwimmen drohen, fordert das Tier feste Zeiten für Spaziergänge und Futtergabe ein.
Die Forschungsgruppe Mensch-Tier-Beziehung hat in all den Jahren seit ihrer Gründung Projekte in verschiedenen Konstellationen geplant und umgesetzt. »Oft waren wir vor allem für die wissenschaftliche Begleitung und die Auswertung zuständig, aber bei einigen haben wir uns auch an der Intervention, also der Durchführung, beteiligt oder waren sogar für diese verantwortlich«, so Frank Nestmann. Große Vorhaben waren unter anderem ein Projekt zur Wirkung tiergestützter Intervention in Seniorenheimen und eins zum gleichen Thema in Justizvollzugsanstalten, wobei bei letzterem die Ergebnisse bei Männern und Frauen getrennt erhoben und dann miteinander verglichen und analysiert wurden. Ein Teil der Projekte bezieht auch die Zusammenarbeit mit Partnerinnen und Partnern in anderen europäischen Ländern ein. »Diese Kooperation motiviert viele unserer Mitglieder zusätzlich«, kommentiert Frank Nestmann.
Ab Oktober möchte die Forschungsgruppe den Kreis derjenigen, an die sie sich richtet, noch erweitern. Denn dann startet die Veranstaltungsreihe »TU Dresden im Dialog: Mensch-Tier-Beziehung – interdisziplinäre Perspektiven«, die von Julia Enxing, Frank Nestmann und Sven Herzog, Inhaber der Dozentur für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der TUD, organisiert wird. »Die Reihe richtet sich nicht nur an das TUD-Publikum, sondern an alle Dresdnerinnen und Dresdner. Daher finden die einzelnen Veranstaltungen zwar auch an der Universität selbst statt, aber daneben beispielsweise an der Universitätsschule oder in der Motorenhalle des riesa efau.« Vielfalt dominiert ebenfalls bei den Perspektiven – es soll um Tiere in der Stadt, Tiere in der Medizin, Tiere im eigenen Zuhause oder in der Schule gehen. »Ein weiterer wichtiger Aspekt wird ein eher trauriger sein, der aber zum Thema gehört: Tod und Begräbnis von Tieren«, sagt Frank Nestmann, dem als Hundebesitzer diese Probleme nicht unbekannt sind. Die Veranstaltungsreihe, die bis zum Ende des Wintersemesters 2022/23 konzipiert ist, wird zudem unterschiedliche Formate bieten, bei denen das Organisationsteam hofft, dass für jede Besucherin und jeden Besucher etwas dabei ist: Den einen ziehen eher Streitgespräche an, die andere bevorzugt Vorträge. »Am Ende geht es darum, die Mensch-Tier-Beziehung in allen ihren Facetten sichtbar zu machen«, meint Frank Nestmann abschließend.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 15/2022 vom 4. Oktober 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.