14.06.2022
Die dritte Hochschulreform 1968 an der TU Dresden
Kustodie möchte mit Podiumsdiskussion und Zeitzeugengespräch Debatte anregen
Die dritte Hochschulreform von 1968 stellt in der Hochschulgeschichte der DDR und damit auch in der Geschichte der TU Dresden einen tiefgreifenden Einschnitt dar. Die in der historischen und zeitgenössischen Wahrnehmung durchaus ambivalente Bilanz dieser Reform soll in einer von der Kustodie veranstalteten Podiumsdiskussion und einem Zeitzeugengespräch debattiert werden. Das Beispiel dieser Reform zeigt, dass hochschulpolitische Entscheidungen sehr konkret den Alltag von Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität prägen, Perspektiven eröffnen und Grenzen setzen. Ebenso wird deutlich, wie eng hochschulpolitische, gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Fragen verknüpft sind und dass Hochschulpolitik darüber hinaus auch im Kontext der internationalen Wissenschafts- und Hochschulentwicklung betrachtet werden muss.
Mit der dritten Hochschulreform strebte die Parteiführung der SED die politisch-ideologische Durchdringung der Universitäten und die Durchsetzung des Führungsanspruchs der Partei an. Es ging ihr aber auch, insbesondere im Hinblick auf die naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Fächer, um eine engere Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft. Zentrale strukturelle Elemente der Hochschulreform waren die Bildung der Sektionen und die Etablierung des Wissenschaftlichen Rates sowie des Gesellschaftlichen Rates als neue Organe der Universitäten. Die Sektionen bildeten, im Sinne des demokratischen Zentralismus´, die starke zweite Leitungsebene an den Hochschulen unterhalb des Rektorats. Den Ordinarien wurde ihre Autonomie entzogen, die wissenschaftlichen Institute aufgelöst und die Fakultäten verloren weitgehend ihre akademische Bedeutung. Durch den Wissenschaftlichen und den Gesellschaftlichen Rat sollten verschiedene gesellschaftliche Gruppen sowie die Wirtschaft Einfluss auf die Hochschule erlangen. Ebenso waren die Studierenden und die verschiedenen Mitarbeitergruppen in diesen Gremien vertreten. Der Wissenschaftliche Rat löste als höchstes Organ der Universität den Senat ab. Der Gesellschaftliche Rat wiederum sollte unter anderem die politisch-ideologische Entwicklung der Hochschule kontrollieren, hatte aber letztlich nur beratende Funktion.
An der TU Dresden wurde die Hochschulreform im Wesentlichen in der Amtszeit der Rektorin Liselott Herforth (1965–1968) umgesetzt. Bis zur Amtsübergabe an den neu gewählten Rektor Fritz Wilhelm Liebscher (1968–1980) am 22. Oktober 1968 war die Gründung der Sektionen und die Konstituierung von Wissenschaftlichem und Gesellschaftlichem Rat abgeschlossen. An der TU Dresden gab es sowohl Mitarbeiter, die die Hochschulreform trugen und vorantrieben oder jene, die die Chancen dieses Prozesses erkannten und nutzten, als auch einige, die beruflich und persönlich unter der Reform und ihren Folgen zu leiden hatten. Diese unterschiedlichen Lebensrealitäten prägten entsprechend den Blick auf die Reform.
Die angestrebte engere Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft sollte über die Integration der zentralen Planung von Forschung und Ökonomie sowie über eine Stärkung der Vertragsforschung erreicht werden. Tatsächlich ging unmittelbar nach 1968 die aus Haushaltsmitteln finanzierte Forschung zugunsten der vertragsgebundenen Forschung der TU Dresden ganz erheblich zurück. In der Lehre sollte durch die Reform eine stärker praxisorientierte Ausbildung sowie eine signifikante Steigerung der Ausbildungskapazitäten erreicht werden. Dazu kondensierte man das Studienangebot der TU Dresden auf zehn Grundstudienpläne mit 42 Fachstudienrichtungen, für die im Wintersemester 1968/69 die ersten Studierenden eingeschrieben wurden.
Die Hochschulreform der DDR wurde in der alten Bundesrepublik differenziert wahrgenommen, denn der Reformbedarf der Universitäten war auch hier unübersehbar. Zwar wurde die ideologische Unterfütterung der Reform abgelehnt, die praxisnahe Forschung und Lehre sowie die schnelle Umsetzung der Reform aber durchaus als vorbildlich rezipiert.
Die hier nur grob skizzierten Aspekte der Reform sollen in zwei Veranstaltungen, zu denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Studierende sowie Alumni der TU Dresden und alle Interessierten herzlich eingeladen sind, weiter vertieft werden.
Dr. Jörg Zaun
Podiumsdiskussion:
»III. Hochschulreform 1968 – Konsequenzen und Rezeptionen«
Di. 28. Juni 2022, 17 Uhr, Görges-Bau, Raum GÖR127, Helmholtzstr. 9
• Prof. Dr. Ralph Jessen,
Professur für Neuere Geschichte, Universität zu Köln
• Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg,
Seniorprofessor für Kultursoziologie, TU Dresden
Zeitzeugengespräch:
»III. Hochschulreform 1968 –
Fluch oder Segen«
Di. 12. Juli 2022, 17 Uhr, Görges-Bau, Raum GÖR127, Helmholtzstr. 9
• Prof. Dr. Achim Mehlhorn,
ehem. Professor für Chemie und Rektor der TU Dresden
• Prof. Dr. Sigismund Kobe,
ehem. Professor für Physik,
TU Dresden
• Prof. Dr. Peter Offermann,
ehem. Professor für Textiltechnik und Prorektor der TU Dresden
Moderation:
Prof. Dr. Thomas Hänseroth,
Seniorprofessor für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte,
TU Dresden
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 11/2022 vom 14. Juni 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.