Aug 10, 2020
»Die TU Dresden hat mich von Anfang an begeistert!«

Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen in seinem Element, der TU Dresden.
UJ-Interview zum Abschied von TUD-Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen
Am 16. Juni 2010 wurde Prof. Hans Müller- Steinhagen vom Erweiterten Senat der TU Dresden erstmals zum Rektor gewählt und fünf Jahre später im Amt bestätigt. Geprägt waren beide Amtszeiten von der Exzellenzinitiative bzw. der Exzellenzstrategie – aber es gab natürlich auch weitere wichtige Themen. Vor seinem Abschied am 17. August zieht er im Interview mit dem UJ Resümee.
UJ: Vor über zehn Jahren warfen Sie als Bewerber für das Amt des Rektors der TU Dresden Ihren Hut in den Ring – was bewog Sie damals, Ihren Lebensmittelpunkt weit in den Osten Deutschlands verlegen zu wollen? Was machte die Aufgabe, was machte die Universität für Sie so attraktiv?
Prof. Müller-Steinhagen: Nach 17 Jahren als Wissenschaftler, Professor und Dekan an Universitäten in Kanada, Neuseeland und England und 10 Jahren als Institutsdirektor am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt habe ich für die letzte Dekade meines Berufslebens eine neue Herausforderung gesucht, bei der ich meine umfangreichen und internationalen Erfahrungen im Hochschul- und Wissenschaftsmanagement einbringen kann. Da bot sich natürlich die Leitung einer großen Technischen Universität an. Die TU Dresden mit ihrem breiten Fächerspektrum, ihrer sehr guten Reputation und ihrem enormen Potenzial hat mich von Anfang an begeistert.
Im Jahr 2010 wurden Sie von den Hochschullehrern nach Ihrer Vision für die Technische Universität Dresden im Jahr 2020 gefragt. Wenn Sie sich Ihre damaligen Antworten heute anschauen – wie fällt die Bilanz des Erreichten aus Ihrer Sicht aus?
Eigentlich bin ich ganz zufrieden. In meinem Antwortschreiben habe ich damals die folgenden zehn Ziele angegeben.
1. Die TU Dresden ist eine Exzellenzuniversität und zählt damit zu den führenden Universitäten in Deutschland. Das haben wir zweifellos erreicht.
2. Die TU Dresden ist weiterhin eine Volluniversität mit dem Vorteil einer großen Zahl an interdisziplinären Lehr- und Forschungsprogrammen. Das gilt, trotz der anstehenden Schließung der Juristischen Fakultät, immer noch.
3. Die TU Dresden ist international anerkannt und belegt in Rankings einen Platz unter den 100 besten Universitäten weltweit. Immerhin haben wir uns von Platz 280 auf Platz 150 verbessert.
4. Die TU Dresden ist ein gesuchter Arbeitgeber, auch für internationale Spitzenkräfte. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren über 350 neue Professorinnen und Professoren an die TU Dresden berufen. Der Anteil der internationalen Wissenschaftler hat sich in dieser Zeit fast verdoppelt.
5. Die TU Dresden zieht die besten Studierenden weltweit an, und erreicht einen Ausländeranteil von zirka 20 Prozent. Im vergangenen Jahr lag der Ausländeranteil bei den neuimmatrikulierten Studierenden bei 22 Prozent.
6. Die TU Dresden hat ein aktives und erfolgreiches Alumni-Programm. Die Absolventen bekennen sich stolz zu »ihrer« Universität und unterstützen diese strategisch und finanziell. Ich bedauere es nachträglich, in unser Alumni-Programm nicht noch mehr Zeit und Ressourcen investiert zu haben. Trotz großer Anstrengungen der beteiligten Personen hinken wir hier im internationalen Vergleich noch weit hinterher.
7. Die TU Dresden wird vom Land Sachsen über jährliche Zielvereinbarungen gesteuert und agiert ansonsten weitgehend autonom. Unsere Zielvereinbarungen laufen sogar über einen Zeitraum von vier Jahren und geben der TU Dresden erhebliche Entscheidungsspielraume. Allerdings reicht das, insbesondere im Hinblick auf die fehlende Bauherreneigenschaft, noch nicht aus.
8. Die TU Dresden hat eine effiziente Verwaltung mit zentralen und dezentralen Strukturen. Die Verwaltungsprozesse der TU Dresden sind in den vergangenen Jahren spürbar besser, transparenter und qualitätsgesicherter geworden. Diese Entwicklung muss weiter verfolgt werden.
9. Die TU Dresden hat aufgrund einer angemessenen Landesfinanzierung und stetig anwachsender Drittmittel und Spenden- bzw. Stiftungsgelder eine komfortable finanzielle Situation. Auch wenn sich die jährlichen Drittmitteleinnahmen auf über 310 Millionen Euro fast verdoppelt haben und die Haushaltsführung professionalisiert wurde, bleibt die finanzielle Situation angespannt, da die Grundfinanzierung und sonstige Zuwendungen nur mäßig angestiegen sind.
10. Die TU Dresden ist an zahlreichen nationalen/ internationalen wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Netzwerken beteiligt und nimmt in wichtigen Gremien hochrangige Positionen ein. Dank der großen Leistungsbereitschaft und Reputation aller Hochschulangehörigen trifft das zu.
❞Zunächst freue ich mich außerordentlich, dass Hans Müller-Steinhagen der Hochschullandschaft Sachsens als Präsident der Dresden International University erhalten bleibt. Ich habe ihn als engagierten, unermüdlichen Botschafter der Wissenschaft, als Streiter für ein weltoffenes humanistisches Sachsen und als verlässlichen, humorvollen Freund kennenlernen dürfen. Als Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz danke ich ihm im Namen aller Kollegen und ganz persönlich für sein kreatives und erfolgreiches Wirken in der LRK, deren Vorsitzender er von 2014 bis 2017 war. |
Prof. Klaus-Dieter Barbknecht, Vorsitzender LRK Sachsen |
Sie haben als Rektor immer versucht, eine gewisse »Volksnähe« zu praktizieren, sprachen gern von der großen Universitätsfamilie und dem »Dresden-Spirit«. Wie wichtig war es Ihnen, den Puls der Uni, ihrer Beschäftigten und Studenten zu spüren?
Es war mir immer sehr wichtig, ein Teil der TU Dresden zu sein, zu verstehen ≫wo der Schuh drückt≪ und meine Entscheidungen verständlich zu machen. Trotz zahlreicher Kontakte und Gespräche mit Mitgliedern der Universität hatte ich mir noch viel mehr persönliche Kontakte gewünscht. Das hat der Terminkalender leider nicht hergegeben. Interne Kommunikation ist ein wesentlicher Punkt des Miteinanders und ein wichtiger Aspekt unseres derzeitigen Exzellenzprogramms.
Das Thema Exzellenz hat Ihre beiden Amtszeiten ganz wesentlich geprägt. Worin sehen Sie neben den damit verbundenen finanziellen Mitteln und dem Prestige die wesentlichen Effekte für die Entwicklung der TUD in den letzten Jahren und auch künftig?
Die TU Dresden hat ganz erheblich von den Maßnahmen der Exzellenzinitiative profitiert und wird das auch in den kommenden Jahren tun. Ich denke hier nur an strategische Themen wie Profilbildung, Berufungsverfahren, Nachwuchsforderung, Internationalisierung, Qualitätssicherung, Kommunikation, DRESDEN-concept oder Wissenstransfer, in denen sich unsere Universität deutlich weiterentwickelt hat.
Natürlich gab es auch zahlreiche andere Themen neben der Exzellenz, oftmals allerdings mit starken Querverbindungen. Verwaltungsreform, Globalhaushalt, Digitalisierung - wo lagen die wesentlichen Aufgabenfelder?
Fast 20 Jahre nach der Neuausrichtung der TU Dresden im Nachgang zu der deutschen Wiedervereinigung war es an der Zeit, die administrativen Strukturen und Prozesse nochmals zu modernisieren und an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Universitäten und ihre Arbeitsmöglichkeiten unterliegen einem stetigen Wandel, dem sie sich auch durch eine eigene Veränderungsbereitschaft stellen müssen.
❞Herrn Professor Dr.-Ing. Hans Müller-Steinhagen ist es gelungen, die TU Dresden auf die Ebene der europäischen und internationalen Top-Universitäten zu heben. Das für den Wissenschaftsstandort Sachsen so wichtige Forschungsnetzwerk DRESDEN-concept ist untrennbar mit ihm verbunden. Neben der außerordentlich erfolgreichen Leitung der TU Dresden denke ich bei Prof. Müller-Steinhagen aber auch an sein kulturelles und gesellschaftliches Wirken. Er gehört zu den prägenden Gesichtern der Dresdner Menschenkette am 13. Februar und trat immer wieder auch öffentlich gegen Fremdenfeindlichkeit, für Toleranz, internationale Offenheit und ein wertschätzendes Miteinander ein. Dafür empfinde ich große Dankbarkeit und bin froh, dass Prof. Müller-Steinhagen der Stadt Dresden, dem Freistaat und der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch künftig noch erhalten bleibt … dann an der Spitze der Dresden International University (DIU). |
Sebastian Gemkow, Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft |
An einem Thema scheiden sich mitunter die TUD-Geister: Die einen sehen in der Gründung der Bereiche – Sie wollten sie ursprünglich »Schools« nennen – eine Entlastung der Fakultäten, andere eine überflüssige neue Verwaltungsebene. Wie lautet Ihr Resümee hier?
Im Englischen heißen die Bereiche ja weiterhin ≫Schools≪; in der deutschen Sprache waren Bezeichnungen wie ≫School-Sprecher≪ eher missverständlich gewesen. Ich halte das Konzept der Bereiche als budget- und strategiefähige dezentrale Einheiten, in denen die Fakultäten die Heimat der fachbezogenen Forschung und Lehre sind, immer noch für eine optimale Struktur für eine große deutsche Universität. Durch die Bündelung von Supportprozessen und eine bessere bereichsübergreifende Zusammenarbeit sind viele Aspekte besser oder erst möglich geworden, auch wenn wir bei Weitem noch nicht das volle Potenzial dieser Strukturmaßnahme ausschöpfen. Veränderungsprozesse sind immer eine Herausforderung. Ich hatte mir manchmal an einigen Stellen mehr Mut und Optimismus und weniger Angst und Beharrungswillen gewünscht.
Als Rektor und auch als Privatperson haben Sie sich immer wieder deutlich gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus positioniert, seit vielen Jahren sind Sie Anmelder der Menschenkette zum 13. Februar. Mit solch einem Engagement liefert man natürlich auch Angriffsfläche. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass die Universität und ihre Vertreter in die Gesellschaft hineinwirken?
Weltoffenheit und Toleranz sind unverzichtbare Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft. Sich dafür einzusetzen ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Universitäten als Zentren des Wissens stehen hier in einer besonderen Verantwortung für die Gesellschaft.
Kurz vor Ende Ihres zweiten Rektorats erreichte im März dieses Jahres die Corona- Pandemie auch die TUD, zwang sie in den Notbetrieb und hält sie auch jetzt noch in Atem. Sie haben u.a. regelmäßig mit Rektor- Mails die Beschäftigten über den sich teils rasant entwickelnden Stand der Dinge informiert. Was meinen Sie, wie hat die Uni diese Bewährungsprobe bestanden?
Sie können mir glauben, dass ich mir meine letzten sechs Monate als Rektor anders vorgestellt habe. Der Übergang in den Notbetrieb und die schrittweise Rückkehr zu einer künftigen Normalisierung waren und sind eine beispiellose Herausforderung und ein enormer Kraftakt für alle Angehörigen der Universität. Entscheidungen mussten kurzfristig getroffen und umgesetzt werden, keiner wusste, wie man mit einer derartigen Situation optimal umgeht und was in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten auf uns zukommt. Diese Bewährungsprobe hat unsere Universität in Lehre, Forschung und Administration hervorragend bestanden. Ich bin dankbar und stolz auf alle unsere Hochschulangehörigen, die in dieser Zeit ihre TU Dresden mit aller Kraft unterstützt haben.
Qua Amt waren Sie für zirka 200 Ausgaben, wie auch für diese Ausgabe, Herausgeber des Dresdner Universitätsjournals und der Redaktion ein ebenso inspirierender wie fairer Partner. Mit seiner Verbreitung weit über die Uni hinaus und dem 14-täglichen Rhythmus während der Vorlesungszeit setzt das Blatt in der deutschen Hochschullandschaft eine sichtbare Marke. Was wünschen Sie sich für das UJ und seine Entwicklung in den kommenden Jahren?
Das Dresdner Universitätsjournal ist wichtig für die TU Dresden, da es Kommunikation und Identität fördert. Dafür danke ich dem hochmotivierten Redaktionsteam. Ich freue mich, dass das Team den Mut hat, eine Neukonzeption anzugehen – als Grundlage für eine noch weitere Verbreitung, eine kontinuierliche Weiterentwicklung auch unter Einbeziehung digitaler Medien und einen regeren Austausch mit seiner Leserschaft. Allein für diesen Schritt wünsche ich mir für die Zukunft mehr Wertschatzung für das UJ.
17. August 2020 – Sie übergeben das Amt des Rektors an Frau Prof. Ursula M. Staudinger. Aber einen Ruhestand wird es für Sie ja nicht geben: Präsident der Dresden International University ab 1. Oktober, Honorarkonsul des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland in Dresden, Mitglied des Innovationsbeirats des Sächsischen Ministerpräsidenten, Präsenz in zahlreichen Gremien etc. Gibt es trotzdem etwas mehr Zeit für Privates und Familie?
Wer mich kennt, wird wissen, dass ich auch in Zukunft nicht an Langeweile leiden werde! Ich werde mich weiterhin Aufgaben widmen und für Themen engagieren, die ich für wichtig halte. Was meine Arbeitsbelastung angeht, da gehe ich davon aus, dass die wesentlich kleinere DIU auch etwas weniger zeitintensiv als die große TUD sein wird.
2028 feiert die TU Dresden ihren 200. Geburtstag. Was geben Sie Ihrer Uni mit auf den Weg hin zu diesem Jubiläum?
Ich habe mich in den vergangen zehn Jahren mit aller Kraft für die Belange und das Wohl der TU Dresden eingesetzt. Mit den derzeitigen Möglichkeiten und den im EXU-Antrag TUD2028 dargelegten Entwicklungszielen sollte die TU Dresden auf einem guten Weg sein, ihren erfolgreichen Weg zu einer internationalen Spitzenuniversität fortzusetzen. Ich wünsche ihr dazu den Mut, die Innovationskraft und das notwendige Quäntchen Gluck.
Wenn Sie die vergangenen zehn Jahre Revue passieren lassen – worauf sind Sie besonders stolz?
Ich bin auf ganz viele Dinge stolz, die wir gemeinsam erreicht haben. Aber ganz persönlich – darauf, dass ich immer meinem inneren Kompass und Wertekanon gefolgt bin, mit dem ausschließlichen Ziel, die TU Dresden und ihre Angehörigen zu unterstützen und voranzubringen.
Die Fragen stellten Konrad Kästner und Karsten Eckold.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 12/2020 vom 23. Juni 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.