Jun 28, 2022
Erster galaktischer Zensus beendet
Die Europäische Weltraumorganisation ESA veröffentlicht weitere Ergebnisse ihrer Gaia-Mission, an der auch die TUD beteiligt ist
Der 13. Juni 2022 fühlte sich für viele Astronominnen und Astronomen weltweit an wie ein vorgezogenes Weihnachtsfest. An diesem Tag veröffentlichte die ESA den 3. Datenkatalog ihrer Mission Gaia. Darin enthalten sind neue und hochpräzise Daten für fast zwei Milliarden Objekte unserer galaktischen Nachbarschaft – unter anderem auch mit Beiträgen von Forscherinnen und Forschern der TU Dresden.
Manchmal kommen wissenschaftliche Revolutionen ganz leise daher. Eine ebensolche findet gerade in der Astronomie statt – ausgelöst durch die Daten der ESA-Mission Gaia. Das Ziel dieser Mission ist es, aus den Messungen der Position und Bewegung von Himmelsobjekten die genaueste und vollständigste Karte unserer Milchstraße zu erstellen. Aufgrund der hiesigen Expertise in der angewandten Relativitätstheorie und der hochpräzisen Astrometrie sind Mitarbeiter des Lohrmann-Observatoriums der TUD schon seit über 20 Jahren an der Mission beteiligt – seit 2007 mit Prof. Klioner sogar in dessen wissenschaftlichem Vorstand vertreten. Im Laufe dieser Zeit entstanden viele Beiträge, die die Handschrift der hiesigen Astronomen tragen. So wurde hier beispielsweise das Modell formuliert, mit welchem die Messungen des Satelliten mit der erforderlichen Genauigkeit beschrieben werden. Seit dem Start von Gaia Ende 2013 arbeitet das Team vor allem an der Kalibration der Daten und nutzt intensiv die Großrechner des ZIH, um aus der riesigen Menge der Beobachtungen astrometrische Lösungen zu produzieren.
Dass sich die jahrelange Arbeit der insgesamt 450 an Gaia beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelohnt hat, zeigt sich eindrücklich an den nun veröffentlichten Daten. Diese erweitern noch einmal beträchtlich die schon im Vorfeld publizierten Positionen und Geschwindigkeiten von rund 1,8 Milliarden Himmelsobjekten. Einige wenige Highlights des an Superlativen so reichen Datenschatzes: Neben der größten jemals erfassten Sammlung astrophysikalischer Daten, wie beispielsweise chemische Zusammensetzungen, Sterntemperaturen, Farben, Massen und Alter der Sterne der Milchstraße, enthält dieser Datensatz auch den bisher größten Katalog von Doppelsternen, Hunderttausende Objekte des Sonnensystems sowie Millionen von Galaxien und Quasaren außerhalb der Milchstraße.
Vor allem die letztgenannten Objekte haben es den Dresdner Wissenschaftlern angetan. Quasare, die extrem leuchtstarken Kerne entfernter Galaxien, sind so weit von der Erde entfernt, dass sie selbst für Gaia-Genauigkeit praktisch bewegungslos am Himmel stehen. Diese Eigenschaft machten sich die Forscher zunutze, um die Beschleunigung unseres Sonnensystems nachzuweisen – siehe UJ 20/2020. Für die jetzige Datenveröffentlichung erstellten die Dresdner einen Katalog von fast zwei Millionen dieser Objekte. Diese Auswahl ist von solcher Güte, dass ein Teil davon das neue Himmelsreferenzsystem definiert, das von der Internationalen Astronomischen Union im August 2021 offiziell anerkannt wurde und nun von allen Astronominnen und Astronomen genutzt wird, um Positionen am Himmel zu beschreiben.
Für die interessierte Öffentlichkeit bieten Mitarbeiter des Lohrmann-Observatoriums im Rahmen dieser Datenveröffentlichung am Freitag, dem 1. Juli, 17 Uhr, einen Vortrag an, in dem sie einen Überblick über die Mission, die jetzt veröffentlichten Daten, technische und wissenschaftliche Herausforderungen sowie zukünftige Entwicklungen geben. Der Vortrag wird im Raum E023 der Fakultät für Informatik (Andreas-Pfitzmann-Bau, Nöthnitzer Str. 46, 01187 Dresden) stattfinden.
Enrico Gerlach
Weitere Informationen unter: https://tu-dresden.de/bu/umwelt/geo/ipg/astro.
Diese Artikel sind im Dresdner Universitätsjournal 12/2022 vom 28. Juni 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.