04.05.2021
Für Leseratten rund um die Uhr geöffnet
Seit dem Jahr 2016 steht eine Bücherzelle vor dem Hörsaalzentrum und wird rege genutzt
Es gibt Bücher, die liest man immer wieder und möchte sie daher besitzen. Andere Werke studiert man dagegen nur einmal und gibt sie dann gerne weiter. Für Letzteres existieren Bibliotheken – und Buchtauschregale. Eine besondere Form des Buchtauschregals, eine Bücherzelle, steht seit 2016 allen Leseratten jeden Tag und jede Nacht vor dem Hörsaalzentrum offen. Gerade jetzt, da reguläre Bibliotheken nur eingeschränkt zur Verfügung stehen, wird das Angebot rege genutzt, hat Maik Richter vom Betreiber der Zelle, der Umweltinitiative der TU Dresden (tuuwi), beobachtet.
Bibliotheken nutzten die Menschen bereits in der Antike. Die ersten Buchtauschregale, also öffentliche Orte, wo man nicht mehr benötigte Bücher abstellen kann und andere sie kostenfrei mitnehmen können, entstanden in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Heute, weiß Wikipedia, existieren in Deutschland rund 2300 solcher Bücherschränke. »Man kann also schon von einer gut funktionierenden öffentlichen Infrastruktur sprechen«, sagt Maik Richter von der tuuwi, der sich gut mit dem Thema auskennt. Natürlich sind in Bücherzellen die Bücher nicht gereinigt, geordnet und katalogisiert wie in normalen Bibliotheken, dafür muss man sich nicht anmelden, keine Gebühr zahlen und kann die Zelle zu jeder Tages- und Nachtzeit nutzen. Dies trifft auch auf die beiden Bücherzellen zu, die die tuuwi an der TUD betreibt. Die bekanntere und zentralere der beiden steht vor dem Hörsaalzentrum, ist bunt gestaltet und trägt eine Solaranlage zur Beleuchtung auf dem Dach. Die zweite befindet sich auf dem Zelleschen Weg vor dem DrePunct-Gebäude und wird noch nicht so stark frequentiert, wie Maik Richter bemerkt. Das kann sich aber noch ändern.
Als studentische Initiative, die sich dem Umweltschutz und der Nachhaltigkeit verschrieben hat, hat die tuuwi vor rund fünf Jahren den Gedanken des Büchertauschs gern aufgegriffen. »Allerdings waren sowohl das genaue Know-how, um eine solche Zelle zu bauen, als auch die Besorgung der richtigen Materialien schwieriger als die damaligen tuuwi-Mitglieder gedacht hatten. So zog sich der Bau dann eine ganze Weile hin«, berichtet Maik Richter. Das Land Sachsen, vertreten durch das verantwortliche SIB (Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement), stellte nämlich einige Anforderungen daran, dass eine Bücherzelle eröffnet werden durfte. »Zum einen sollte sie innen beleuchtet sein, durfte aber nicht an den vorhandenen Netzstrom der Straßenlaterne angeschlossen werden. Die Lösung dafür: die Solaranlage auf dem Dach. Zum anderen durfte sie nicht fest im Boden verankert werden, sondern nur aufgestellt. Ein statisches Gutachten schlug dann vor, eine massive Stahlplatte als Sockel und Stabilisierungselement zu installieren. Allein diese Platte, die mehrere hundert Kilo schwer ist, zu besorgen und zuzuschneiden, war ein hoher technischer und logistischer Aufwand«, erzählt Maik Richter weiter. Die jungen Frauen und Männer der tuuwi leisteten den größten Teil der Arbeit, die für die Entstehung der Bücherzelle notwendig war. Gebaut wurde die Zelle in den Räumen des »#Rosenwerks«, der Dresdner Selbstmachzentrale. Die Initiative bezahlte das Projekt mit Mitteln aus dem damaligen Programm »QUIX« der TUD. Dabei wurde laut Maik Richter ein »niedriger vierstelliger Betrag« fällig, vor allem für das Material und das statische Gutachten. Am 27. Oktober 2016 weihte man die Bücherzelle offiziell ein.
Wer die Bücherzelle genau nutzt, wissen die Aktiven der tuuwi nicht. »Das wäre eine interessante Frage – aber wir können uns hier nur auf unser persönliches Empfinden verlassen«, meint Maik Richter. Seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter und er selbst haben aber beobachtet, dass die Zelle auf großes Interesse stößt, und das freut sie sehr. »Auffällig ist, dass gerade in dieser Zeit, in der Buchläden geschlossen und öffentliche Bibliotheken nur eingeschränkt nutzbar sind, noch mehr Menschen zur Bücherzelle kommen. Ich bin oft ums Hörsaalzentrum herum unterwegs und sehe mindestens jedes zweite Mal jemanden in den Regalen herumstöbern«, berichtet Maik Richter. Ab und an schaut mal eine verantwortliche Person der tuuwi in die Zelle und prüft, dass es nicht zu unordentlich aussieht. »Wir wollen vermeiden, dass die Menschen dort ihren sämtlichen Hausmüll zwischenlagern, wie es andernorts manchmal bei Tauschregalen passiert. Auch Publikationen, die verfassungsfeindlich sind, entfernen wir.« Werbung für die Bücherzelle macht die tuuwi nicht mehr, das ist auch nicht nötig. »An einem Ort, wo in normalen Zeiten täglich Tausende von Menschen vorbeikommen, fällt die Zelle durch ihre bunte Gestaltung von allein auf«, sagt Richter. Er wünscht sich, dass diejenigen, die die Bücherzelle nutzen, den Gedanken des Tauschens auch auf andere Bereiche des Lebens übertragen. »Dinge, die wir weitergeben, landen nicht im Müll. Und wenn wir mal nicht in den Buchladen gehen, sondern zur Buchtauschzelle, spart das jede Menge Ressourcen. Und wenn wir anfangen, nicht jedes Produkt, was wir benötigen, zu kaufen, sondern überlegen, wo wir es vielleicht tauschen, leihen oder gebraucht bekommen, ändert sich auch unser Blick auf die momentan absurd ressourcenintensive Wirtschaft und es entsteht im Idealfall eine Kreislaufwirtschaft, in der Dinge nicht zum Wegwerfen, sondern für ein möglichst langes Leben produziert werden.«
B. D.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 08/2021 vom 4. Mai 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.