29.03.2022
Innovative Medizinprodukte schneller zum Patienten bringen
Stephen Gilbert besetzt ab März 2022 die neue Else-Kröner-Professur für Medical Device Regulatory Science am EKFZ für Digitale Gesundheit
Prof. Stephen Gilbert erforscht unter anderem, wie die zunehmende Komplexität von Medizinprodukten und die Geschwindigkeit technischer Innovationen mit der Sicherheit für Patienten und medizinisches Personal in Einklang gebracht werden können. UJ sprach mit dem Wissenschaftler vom Else-Kröner-Fresenius-Zentrum (EKFZ) für Digitale Gesundheit.
UJ: Ihre Professur ist einzigartig an einer Medizinischen Fakultät in Deutschland. Warum ist die Forschung in diesem Bereich wichtig?
Prof. Stephen Gilbert: Europäische Universitäten hinken US-amerikanischen Universitäten häufig hinterher, wenn es darum geht, wissenschaftliche und technische Innovationen in marktfähige Produkte umzusetzen. Ein Grund dafür ist das strengere regulatorische Umfeld in der EU. Vor diesem Hintergrund ist die Forschung in diesem Bereich ein wichtiger Katalysator und ermöglicht die gezielte Förderung von der Idee bis zur Umsetzung. Meine Professur am Else-Kröner-Fresenius-Zentrum (EKFZ) für Digitale Gesundheit umfasst unter anderem die Beratung von Innovatoren des Netzwerks der TU Dresden, insbesondere für die klinischen Aspekte der Regulatorik. Hierbei stütze ich mich auf meine Erfahrungen aus früheren Tätigkeiten in den Bereichen MedTech und Digitale Gesundheit sowie als Unternehmensberater.
Sie wechseln von der Wirtschaft zurück in die Wissenschaft. Auf welche Erfahrungswerte können Sie in Ihrer neuen Position zurückgreifen?
Ich bringe solides Hintergrundwissen über regulatorische Anforderungen und internationale Richtlinien mit, ebenso ein Instrumentarium an Denkansätzen, ohne zu konservativ oder übervorsichtig zu denken. Meiner Meinung nach sollte man auch in der Regulatorik über den Tellerrand hinausblicken. Ich werde eine Vielzahl an quantitativen und qualitativen Forschungsansätzen einbringen, die ich in der digitalen Gesundheitsbranche bereits erfolgreich eingesetzt und veröffentlicht habe. Dazu gehören auch automatisierbare Testansätze und der Aufbau sinnvoller Feedbackschleifen, um die Leistung von Medizinprodukten zu überwachen und das Produkt in Echtzeit an die Ergebnisse anzupassen. Eine frühzeitige Einbindung der regulatorischen »klinischen Entwicklungsstrategie« ist entscheidend, um Medizinprodukte zu entwickeln, die erfolgreich klinisch bewertet und anschließend mit einer CE-Kennzeichnung versehen werden.
Künstliche Intelligenz ist immer öfter Teil eines Medizinproduktes. Wie kann die Regulatorik mit der Schnelligkeit der Innovationen Schritt halten und gleichzeitig Sicherheit gewährleisten?
Das Zulassungssystem funktioniert nach dem Grundsatz, dass es sich um ein feststehendes Produkt handelt und dass jede Änderung, die sich auf die klinische Leistung auswirkt, eine Mitteilung an die Zulassungsbehörde und eine erneute Prüfung der neu eingereichten Unterlagen erfordert. Dieses Verfahren wurde lange vor der künstlichen Intelligenz entwickelt. Das schränkt die Technologie für Medizinprodukte, die auf Künstlicher Intelligenz und auf maschinellem Lernen basieren, jedoch ein. Adaptive KI/ML-Medizinprodukte, die nach der Marktzulassung neu trainiert werden, sind hingegen fortschrittlicher und erzielen einen größeren Nutzen für die Patienten. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat einen neuartigen regulatorischen Ansatz vorgeschlagen. KI/ML-basierte Medizinprodukte können mit Protokollen zugelassen werden, in denen festgelegt ist, inwieweit sich die Leistung des Medizinproduktes auf dem Markt ändern darf. Ihre Leistung wird dann überwacht, während sie auf dem Markt durch die Analyse von Daten aus der Praxis lernen und sich anpassen. Dies ist faszinierend und bahnbrechend. Ähnliche Überlegungen finden sich in den Entwürfen des Artificial Intelligence Act der EU. In der EU besteht Bedarf nach spezifischen Leitlinien in diesem Bereich. Diese Leitlinien sind nur der Anfang, da ein kompletter Entwicklungsprozess mit Methoden für Praxisdaten erforderlich ist, um nachzuweisen, dass adaptive KI/ML-Medizinprodukte sicher sind, während sie auf dem Markt umgeschult werden. Zukünftig wäre eine Umschulung nach der Marktzulassung nahezu in Echtzeit möglich, was eine faszinierende Herausforderung für die Kontrollsysteme darstellt.
Mit Prof. Stephen Gilbert sprach Anja Stübner.
Mehr Informationen zum Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Digitale Gesundheit unter https://www.digitalhealth.tu-dresden.de.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 6/2022 vom 29. März 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.