06.10.2020
Königsbrück verknüpft deutsche und russische Geschichte
Der ehemalige Übungsplatz der Roten Armee ist heute Naturschutzgebiet sowie Lehr- und Erinnerungsort
Beate Diederichs
Dies wäre die Zeit fürs Fazit eines deutsch-russischen Jugendaustauschs, den Julia Großmann, studentische Hilfskraft am ZLSB (Zentrum für Lehrer-, Schul- und Berufsbildung) der TUD organisiert. Eigentlich. Denn durch die aktuelle Situation ist das Vorhaben auf 2021 verschoben. Doch Julia Großmann und Alexandra Kuring, die mit ihr den Austausch koordiniert, möchten schon Lust machen auf das Projekt, in dem Königsbrück als Lernort eine zentrale Rolle spielt.
Julia Großmann kennt als gebürtige Königsbrückerin die Königsbrücker Heide gut. Der ehemalige Übungsplatz der sowjetischen Soldaten, die zu DDR-Zeiten in der Nähe stationiert waren, wurde nach der Wende der Natur zurückgegeben. Nun leben auf den rund 70 Quadratkilometern, Sachsens größtem zusammenhängendem Naturschutzgebiet, Rehe, Wildschweine, Biber, Wiedehopfe und Eisvögel. Auch Wölfe wurden bereits gesichtet. Doch die Heide ist nicht nur wegen der Natur attraktiv. Darin und daneben stehen noch eine Reihe von Gebäuden, die die russischen Soldaten nutzten und die geschichtlich ergiebig sind, vor allem das ehemalige Offizierskasino im sogenannten Neuen Lager und ein Plattenbau, der früher als Kaserne diente. Leider wurden 2014 einige Bauten abgerissen, die vielleicht ebenfalls interessant gewesen wären. »Königsbrück ist ein faszinierender Erinnerungs- und Lernort, der noch nicht so bekannt ist, aber anschaulich die deutsche und russische Geschichte verknüpft«, sagt Julia Großmann.
Was lag also näher, als die Königsbrücker Heide mit dem ehemaligen Neuen Lager als einen der Anlaufpunkte für den deutsch-russischen Jugendaustausch zu wählen, den Julia Großmann und Alexandra Kuring koordinieren? Julia Großmann, die im zehnten Semester Lehramt Französisch, Russisch und Deutsch als Zweitsprache an der TUD studiert und am ZLSB als studentische Hilfskraft arbeitet, hatte die Idee für den Austausch, als sie 2019 beim Deutsch-Russischen Begegnungszentrum (DRB) in St. Petersburg ein Praktikum absolvierte. Das Begegnungszentrum ist jetzt der Projektpartner auf russischer Seite. Ihre Kollegin Alexandra Kuring, die an der Viadrina in Frankfurt/Oder für European Studies eingeschrieben ist, war vor einiger Zeit Praktikantin beim Politischen Jugendring Dresden e. V., dem deutschen Partner. Der thematische Austausch zur Erinnerungskultur passt gut in die Profile der beiden Institutionen und auch ins Profil von Julia Großmanns Tätigkeit am ZLSB: Dort befasst sie sich mit außerschulischen Lernorten und Exkursionsdidaktik. Königsbrück und eventuell weitere Ziele des Austauschs als außerschulische Lernorte zu erschließen, ist ein sehr willkommener Nebeneffekt des Projekts.
Wäre alles nach Plan gelaufen und hätte der russische Teil des Austauschs im März stattgefunden, hätten je zehn deutsche und russische Studierende, Auszubildende und Berufstätige im Alter von 18 bis Ende 20 in St. Petersburg Erinnerungsorte erforscht, die mit der Leningrader Blockade von 1941 bis 1944 zu tun haben. Dies ist eins der schlimmsten Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht, bei dem die Heeresgruppe Nord die Stadt an der Newa für zweieinhalb Jahre fast vollständig von der Lebensmittelzufuhr abschnitt. Man schätzt, dass dabei rund eine Million Menschen ihr Leben verlor. Die meisten davon verhungerten oder erfroren.
Der deutsche Teil des Austauschs war für den August geplant – rund um Dresden wollte man die Friedliche Revolution thematisieren. Neben Exkursionen nach Königsbrück und zum Museum in der »Runden Ecke« in Leipzig standen eine Stadtrallye und Zeitzeugengespräche auf der Agenda. »Wir hatten uns bereits mit den beiden Vereinen, die sich in der Königsbrücker Heide engagieren – dem Armee-Spaß-Verein Königsbrück und dem Geschichtsverein Truppenübungsplatz Königsbrück e.V. – verständigt, welche Aktivitäten wir dort im Rahmen des Austauschs anbieten können«, sagt Alexandra Kuring. Nun mussten sie zeitlich umdisponieren, werden aber voraussichtlich das meiste von dem nutzen können, was sie thematisch vorbereitet haben: »Die acht Tage um Dresden waren ja eigentlich als Wiedersehenstreff gedacht – jetzt wird dies voraussichtlich im März 2021 die Einführungsveranstaltung zum gesamten Austausch«, kündigt Julia Großmann an. Ein Großteil der Programmpunkte ist grob geplant: Dazu gehören ein Treff mit den beiden Vereinen in Königsbrück und der Besuch der Ausstellungen, die diese entwickelt haben, und das kreative Endprodukt, ein Podcast. Der russische Teil soll dann zeitnah -folgen.
Um Lust auf das Projekt zu machen und um auf das Thema einzustimmen, haben Julia Großmann und Alexandra Kuring einen Online-Workshop dazu für den Herbst geplant. Das Interesse am Austausch ist groß: Besonders auf russischer, aber auch auf deutscher Seite bewarben sich mehr Leute, als es Plätze gab. Sie alle werden dazu beitragen, Königsbrück als außerschulischen Lernort auch für später zu erschließen. »Zunächst muss man dabei sichten, was es alles dazu schon gibt, wie beispielsweise die Ausstellungen. Bei einer Exkursion hierher könnte man vor Ort Zeugnisse russischen Lebens in Königsbrück entdecken, wie Sowjetsterne an den Gebäuden«, erläutert Alexandra Kuring. Eine Reflexion zu den verschiedenen Möglichkeiten der Nutzung heute – Panzerfahrten, Ausstellungen, Gastronomie – könnte das Ganze abrunden. »Ich kann mir auch eine Fotoreihe, digital gespeicherte Zeitzeugengespräche oder eine Dokumentation zu den Gebäuden als Lost Places vorstellen«, ergänzt Julia Großmann.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 15/2020 vom 6. Oktober 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.