22.09.2020
Kostprobe aus der Quantenwelt
Mit Wuschelkringeln und bizarren Flaschen erklären »ct.qmat«-Forscher in den Technischen Sammlungen Dresden, was topologische Quantenmaterialien sind.
Heiko Weckbrodt
Viele halten Quantenmechanik für trockene Spielereien von Physik-Geeks. Doch oft genug wirken winzig kleine Veränderungen in der subatomaren Welt auf faszinierende Art und Weise in unseren Alltag hinein: Isolatoren leiten an ihrer Oberfläche plötzlich elektrische Energie nahezu verlustfrei, andere werden »frustriert« oder anziehend. Dahinter stecken bestimmte »topologische« Zustände von Materie, die bisher nur bei sehr tiefen Temperaturen, starken Magnetfeldern oder hohen Drücken sichtbar werden. Wie das zusammenhängt, ob das auch bei Raumtemperatur funktioniert und wie sich all dies womöglich künftig für unschlagbare Codeknacker, superschnelle Schaltkreise und andere Sprunginnovationen einsetzen lässt, das untersuchen die Wissenschaftler im Exzellenzcluster »ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien« in Dresden und Würzburg.
»Die Einsicht, dass Topologie eine zentrale Rolle beim Verständnis von Materiezuständen spielt, und die Entwicklung, die sich seit 2005 daraus ergeben hat, kann mit allem Recht als ›Revolution‹ in der Physik bezeichnet werden«, schätzt Cluster-Sprecher Prof. Matthias Vojta von der TU Dresden ein. Im neuen »Schaufenster der Forschung« wollen er und seine Kollegen nun eine kleine Kostprobe davon mit vielen Mitmach-Experimenten kredenzen. Dafür haben sie für die Besucher der Technischen Sammlungen Dresden ein Portal in die topologische Quantenwelt geöffnet.
An sieben interaktiven Exponaten können Neugierige dort ausprobieren, was »Topologie« eigentlich ist, wie dabei die atomare Welt und unsere Alltagswelt zusammenhängen: Die Besucher sollen beispielsweise einen flauschigen Kringel schön glatt und wirbelfrei kämmen – und dann dasselbe mit einem Flauschball versuchen. Dies soll zeigen: Weil der Kringel sich durch ein Loch topologisch vom Ball unterscheidet, lassen sich seine Flauschhaare gleich ganz anderes ordnen.
An einem »topologischen Kaffeetisch« gleich nebenan können die Hobby-Quantenmechaniker errätseln, wie sich Kugel, Doppelkringel und Donut gedanklich in einen Teller, eine Tasse oder eine Kaffeekanne transformieren lassen – Teller, Tasse oder Kaffeekanne? Der Gedanke dabei: Die Form ändert sich, doch die topologische Struktur (ein Loch, zwei Löcher, drei Löcher und so weiter) nicht.
Ein besonders faszinierendes Exponat ist die »Kleinsche Flasche«: Ersonnen vom deutschen Mathematiker Felix Klein, veranschaulicht sie ein 3D-Objekt, das anders als eine Kugel kein »drinnen« oder »draußen« kennt. Ein Insekt, dass über solch eine kuriose Flasche krabbelt, läuft also nicht Gefahr, im »Innern« gefangen zu werden.
Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. »Vielen ist es gar nicht bewusst, aber Quantenmaterialien umgeben uns an vielen Stellen im Alltag«, betont »ct.qmat«-Sprecher Vojta: Denn laut einer gängigen Definition versteht man unter Quantenmaterialien all jene Stoffe, deren sichtbare, fühlbare und ausprobierbare Eigenschaften wesentlich durch Effekte der Quantenmechanik bestimmt werden. Eisen und andere Magnete zum Beispiel wirken so anziehend, weil ihre Elektronen alle den gleichen Quantendrall mögen. Und Quantenmateralien mit magnetischen Eigenschaften haben die antiken Chinesen auch schon vor über 2000 Jahren in den Farbpartikeln der Terrakotta-Armeen eingesetzt.
Aber es gibt auch weniger offensichtliche Ordnungsprinzipien in der Quantenwelt, die ganz verblüffende Materialeigenschaften hervorbringen: Manche dieser Quantenmaterialien leiten elektrische Energie fast verlustfrei, wie etwa tiefgekühlte 2D-Netze aus Wismutatomen. Wieder andere erzeugen Störungen, die verblüffend den seltsamen Majorana-Teilchen ähneln, die bisher noch kein Experimentator in »freier Wildbahn« nachweisen konnte. Bisher wurden diese Partikel, die Teilchen und Antiteilchen in einem sind, nur theoretisch vom italienischen Physiker Ettore Majorana vorausgesagt – kurz bevor er 1938 in Sizilien unter rätselhaften Umständen verschwand.
Um solche und andere »topologische« Konstruktionsprinzipien besser verstehen zu lernen, haben sich zwei Universitäten und mehrere Institute in Dresden und Würzburg zum Exzellenzcluster »ct.qmat« zusammengetan. Dazu gehören Forscher der TU Dresden, der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden, des Helmholtz-Zentrums Dresden Rossendorf, der Dresdner Max-Planck-Institute für Chemische Physik fester Stoffe (CPFS) und für Physik komplexer Systeme (PKS) sowie des Bayerischen Zentrums für angewandte Energieforschung in Würzburg. Offensichtlich habe die besondere Expertise in Dresden und Würzburg sowie die Zusammenarbeit über Universitäts- und Landesgrenzen hinaus die Experten-Jury vor zwei Jahren überzeugt, diesem Cluster einen Förderzuschlag im Zuge der Exzellenzstrategie zu erteilen, sind die Partner sich sicher. »Was uns hier speziell in Dresden auszeichnet, ist die Expertise im Design und in der Synthese neuer topologischer Quantenmaterialien«, meint Prof. Vojta.
Dabei sei »ct.qmat« sicher näher an der Grundlagenforschung als andere Cluster wie etwa das Zentrum für taktiles Internet CeTi in Dresden. »Uns treibt zuallererst die Neugier an, weil wir die tieferen Zusammenhänge in der Natur verstehen wollen«, betont Professor Vojta. »Aber wir widmen uns auch der Frage, wozu diese Effekte in der Praxis nutzbar sind.« Selbst Firmenausgründungen schließt der Physiker nicht aus. »Oft genug sind es Zufallsentdeckungen in der Grundlagenforschung, die zu ganz praktischen Anwendungen führen.«
»Schaufenster der Forschung: ct.qmat Quantenmaterialien – der Vorstoß in neue Dimensionen«
ab 12. September in den Technischen Sammlungen Dresden, Junghansstraße 1.
Mehr Infos im Netz unter: tsd.de.
Parallel dazu gibt es eine virtuelle Ausstellung unter ctqmat.de.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 14/2020 vom 22. September 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im neuen Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.