16.11.2021
Künstlich und intelligent
Die Sonderausstellung »A&I« präsentiert Arbeiten der Künstler Christian Kosmas Mayer und Anton Ginzburg der Schaufler Residency@TU Dresden
Dr. Teresa Ende
Künstliche Intelligenz ist keine ästhetische Kategorie – oder doch? Wie zeitgenössische Künstler mit und durch die Möglichkeiten von KI die Auswirkungen neuester Technologien auf ethische Normen, Gesetze und gesellschaftliche Entwicklungen befragen, ist das Thema der neuen Doppelausstellung »A&I« in der Altana-Galerie im Görges-Bau, die damit nicht nur einen Einblick gibt in die Arbeit der Schaufler Residency Künstlerstipendiaten der vergangenen beiden Jahre, Christian Kosmas Mayer und Anton Ginzburg. Zugleich gewährt die von Gwendolin Kremer kuratierte Schau Zugang zu der derzeit vielleicht spannendsten und moralisch herausforderndsten Technologie.
In den besten Arbeiten der Ausstellung werden die neuen Möglichkeiten der KI durch die Erschließungs- und Imaginationskraft der Künstler potenziert und zugleich hinterfragt. Etwa wenn der Wiener Konzeptkünstler Christian Kosmas Mayer (geboren 1976 in Sigmaringen) historische Geisterfotografien von William H. Mumier – dem Erfinder eines zu seiner Zeit ebenso populären wie umstrittenen Manipulationsverfahrens, das den Hinterbliebenen vorgaukelte, Verstorbene wieder sichtbar zu machen – durch den Einsatz von Algorithmen wiederum verändert und scheinbar verlebendigt. Mayer trainierte die KI mit dem eigenen Minenspiel und stülpte diesen Algorithmus den historischen Aufnahmen über, so dass diese als Protagonisten von ebenso beredten wie stummen Videoarbeiten nun scheinbar zu sprechen, blinzeln und den Kopf zu drehen scheinen.
Noch mehrdimensionaler wird es in Mayers »Maa Kheru«, einer Klanginstallation aus berührenden archaischen Lauten, die auf der Grundlage von eigens dafür hergestellten Zungenmodellen auf der Basis des Vokaltrakts einer 2000 Jahre alten Mumie eines jungen Ägypters gewonnen wurde, die man 2014 in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim wiederentdeckt hatte. Aus diesen zusammen mit der Sprach-akustikprofessur der TUD gewonnenen Klängen komponierte Mayer ein Mehrkanal-Stück, das in der Ausstellung zu hören ist und dort die Fiktion, Komplexität und technische Finesse der ihr zugrundeliegenden Versuchsanordnung vergessen lässt, weil sie für das kaum greifbare Gefühl beim Anblick einer stummen, jahrtausendealten menschlichen Hülle einen so erschütternden, ganz präsenten sensorischen Reiz im Hier und Jetzt findet.
Damit bringen die Arbeiten von Christian Kosmas Mayer mit großer Konsequenz, Fundierung und doch mit einnehmender Unmittelbarkeit hochaktuelle gesellschaftliche Fragestellungen von Altern, Vergänglichkeit und Leben nach dem Tod mit Ästhetik, Kunstwissenschaft, Philosophie und Poesie zusammen, mit Elektrotechnik, Neurowissenschaft, Sprachsynthese und den schwindelerregend weitgehenden technischen Anwendungsbereichen, den Daten- und Analysekompetenzen (und -grenzen) der KI. Dieser höchst produktive und anregende Clash von Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft von damals, jetzt und dem, was die Zukunft bringen mag, stößt in den Besucherinnen und Besuchern immer neue bohrende Fragen an. Mayer eröffnet ein permanentes Wechselspiel der Reflexionsebenen, das in uns weiter gärt, brodelt und rumort – lange über den Ausstellungsbesuch hinaus.
Der New Yorker Künstler Anton Ginzburg (geboren 1974 in St. Petersburg) geht bei seiner Auseinandersetzung hingegen nicht von den multiplen Möglichkeiten und Herausforderungen der KI aus, sondern versucht unter Zuhilfenahme ihrer Kernbereiche – nämlich Daten-, Analyse- und Technologiekom-petenz – und deren Übertragung in ein vermeintlich ganz anderes Feld, die Welt der Kreativität, die Ausdrucksmöglichkeiten und Prozessabläufe seiner künstlerischen Arbeiten zu erweitern.
Die drei großformatigen Wandbilder im Treppenhaus und auf den Gängen des Görges-Baus erscheinen zunächst insofern wie herkömmlich gefertigte geometrische Kompositionen, als ihre quer und hochkant angeordneten und übereinander geschichteten unterschiedlich großen Rechteck-Elemente wie Reminiszenzen an Konstruktivismus und serielle Dresdner Formsteinsysteme daherkommen. Das stimmt auch, weil Ginzburg, der sich schon lange mit dem russischen Konstruktivismus beschäftigt, während seines Aufenthaltes in Dresden im Sommer 2021 insbesondere die Arbeiten von Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht studierte. Seine Wandbilder in der Ausstellung beruhen auf tagebuchartigen kleinformatigen Gouacheskizzen (Dresden Series), die seine Auseinandersetzung mit den Dresdner Konstruktiven nachvollziehbar machen. Ihre Übertragung auf die Wand war einmal mehr Resultat der Beschäftigung mit Objekten der Sammlung Farbenlehre der TUD sowie eine Zusammenarbeit mit der TUD-Fakultät Informatik, die einen Algorithmus für die Anordnung und Farbigkeit der Bildelemente entwickelte, um die Wandbilder künstlich zu komponieren.
Mit ML CRSH zeigt Ginzburg eine Videoarbeit, die, der Ästhetik und Logik von Computerspielen folgend, Autofahrten auf mal fiktive, mal reale, aber ihrem eigentlichen Aufstellungsort entfremdete Skulpturen und Monumente spielerisch inszeniert und ad absurdum führt. Film Forms besteht aus zwölf skulpturalen Modellen, die in Kollaboration mit der Professur für Wissenschaftliches Rechnen und Angewandte Mathematik am Institut für wissenschaftliches Rechnen der TUD mithilfe von Wahrnehmungsanalysen und Data Mining die Drehbücher von zwölf bekannten ikonischen Filmen, wie Alfred Hitchcocks »Die Vögel« oder James Camerons »Terminator« analysiert. Auf der Grundlage des Drehbuchs errechnet der Algorithmus mithilfe von Spracherkennung und Emotionsanalyse die Daten für ein dreidimensionales Objekt, das, ausgedruckt in Polyamid, Emotion und Narration quasi materialisiert. Ein besonderer Twist ergibt sich, wenn es sich bei diesen dunklen »Material Fakes« um das Sprach- und Gefühlsgewebe einer Traumerzählung wie David Lynchs »Mulholland Drive« handelt.
»A&I«, Doppelausstellung der Schaufler-Residency@TU Dresden 2020/21-Stipendiaten Christian Kosmas Mayer und Anton Ginzburg. Bis 28. Januar 2022, Altana-Galerie der Kustodie der TUD, Görges-Bau.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 18/2021 vom 16. November 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.