15.03.2022
Vorkämpferinnen für gerechte Bildung an der TH Dresden
Im Jahr 1907 ließen sich die ersten beiden Frauen an der TH Dresden immatrikulieren
Vivian Weidner
Dieser Artikel soll ein kurzes Schlaglicht auf Frauen werfen, die an der Technischen Universität eine entscheidende Vorreiterinnenrolle einnahmen. Sie waren die »Ersten«. Mit ihrem im Kontext ihrer Zeit doch mutigen Schritt an die deutschen Hochschulen zu gehen und der Entscheidung, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, ebneten sie den Frauen, die heute studieren, forschen und lehren, maßgeblich den Weg.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es Frauen gestattet, sich an deutschen Hochschulen zu immatrikulieren. In den Jahren zuvor war es ihnen nur möglich, teils mit vorheriger Sondergenehmigung, sich als Gasthörerinnen Wissen anzueignen. So stellte bereits im Juni 1886 Prof. Dr. Fritz Schultze, der in den Bereichen Pädagogik und Philosophie lehrte, einen Antrag auf Zulassung von »Damen« zu öffentlichen Vorträgen auf seinem Gebiet. Schultze hatte hier vor allem die Weiterbildung von Lehrerinnen im Sinn. Dem Antrag wurde erst 1888 stattgegeben, als Schultze eine Vorlesung mit der Anmerkung »über die für das weibliche Geschlecht wichtigsten Erziehungsfragen ausschließlich für Damen« versah. Somit sind die daran teilnehmenden Frauen die ersten Hospitantinnen der zu diesem Zeitpunkt noch Königlich Sächsisches Polytechnikum heißenden Hochschule. Es sollten noch einmal fast 20 Jahre vergehen, bis die ersten vollimmatrikulierten Studentinnen ihren Weg an die damalige Technische Hochschule fanden.
Erst 1907 wurde es Frauen im Königreich Sachsen offiziell erlaubt, an der Hochschulausbildung zu partizipieren. Als erste Studentinnen immatrikulierten sich Johanna Weinmeister und Emmy Schecker im Wintersemester 1907/08. Ein vorheriges Gesuch von Emmy Schecker um Aufnahme wurde am 29. März 1907 abgelehnt. Erst als ihr Vater, Oberregierungsrat Schecker, den Rektor der Technischen Hochschule Dresden ersuchte, seine Tochter Emmy als ordentliche Studentin zuzulassen, erfolgte am 23. Oktober 1907 die Bekanntmachung, dass ab sofort auch »weibl. Personen« vollwertig immatrikuliert werden könnten. Emmy Schecker studierte anschließend ein Semester Chemie in Dresden. Johanna Weinmeister studierte an der Allgemeinen Abteilung mit dem Ziel, ihr Lehrerinnenexamen abzulegen. 1913 legte sie schriftliche Arbeiten in Mathematik und Physik ab, an welche sich die Lehrprobe für das höhere Lehramt anschloss. Sie schloss am 19. und 20. Dezember 1913 mit dem Gesamtergebnis »gut« ihre Prüfung ab und war damit auch die erste Absolventin der Technischen Hochschule Dresden.
Ein knappes Jahr nach dem Abschluss von Johanna Weinmeister immatrikulierte sich Johanna Wiegandt und begann ihr Lehramtsstudium mit der Fachrichtung Mathematik und Physik. Ihrem Studium schlossen sich im April 1919 die mündlichen Lehramtsprüfungen in den Fächern Mathematik und Physik an, welche sie mit »sehr gut« bestand. In Angewandter Mathematik, Philosophie, Pädagogik und Deutscher Literatur erhielt sie das Prädikat »gut«. Sie bekam die Zuerkennung der Lehrbefähigung mit der Einschränkung, in den Fächern Reine Mathematik, Angewandte Mathematik und Physik nur die erste Stufe unterrichten zu dürfen. Am 2. Dezember 1919 promovierte sie »mit Auszeichnung «. Damit erwarb sie den ersten Dr. rer. techn. an der Technischen Hochschule Dresden.
Eine weitere Wissenschaftlerin, die in diesem Zusammenhang zu benennen ist, ist Charlotte Bühler (vgl. UJ 2/2022, S. 4). Sie war 1920 die erste Habilitandin. Ihre Abhandlung verfasste sie beim Literaturforscher Oskar Walzel zum Thema »Entdeckungen und Erfindungen in Literatur und Kunst«. Ferner wurde sie zur ersten Privatdozentin in Sachsen ernannt und erwarb so das Recht, an wissenschaftlichen Hochschulen zu lehren.
Diesen Frauen schlossen sich viele weitere Studentinnen, Wissenschaftlerinnen und Dozentinnen an. Es sollte noch 45 Jahre dauern, bis 1965 Liselott Herforth als erste Rektorin ihren Weg in die universitäre Leitung fand (vgl. UJ 19/2021, S. 4). Es zeigt sich, dass eine Gegebenheit, die uns heute selbstverständlich erscheint, auf dem Mut und dem Tatendrang von Frauen fußt, die diesen ersten Schritt wagten.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 5/2022 vom 15. März 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden