Terminal Operations
Im Rahmen des übergeordneten Forschungsprojektes "Airport Operations" liegt der Fokus der Teildisziplin "Terminal Operations" auf sämtlichen betrieblichen Vorgängen und Einrichtungen eines Flughafenterminals. Darunter fällt beispielsweise die Entwicklung von Modellen für die Beschreibung und Vorhersage individueller Personenbewegungen im Terminalgebäude. Von besonderer Relevanz für den Lehrstuhl sind die Einsatzmöglichkeiten dieser Modelle im Hinblick auf Optimierungen von Wegführungen innerhalb von komplexen Gebäuden und der Abbildung spezifischer Verhaltensweisen in Notfallsituationen. Gestützt auf eine eingehende Analyse aller Passagierabfertigungsprozesse wird an der Entwicklung einer virtuellen Simulationsumgebung gearbeitet, die laufend durch den Vergleich von simulierten und realen Daten validiert wird. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse kommen unmittelbar der Entwicklung von Notfallplanungskonzepten an Flughäfen und der Analyse von Beschilderungsentwürfen wie im Falle des Parkhauses des Flughafens Dresden zugute.
Passagiermodellierung und PaxTrac
Bei der Modellierung menschlichen Verhaltens entstehen durch individuelle Wechselwirkungen gruppendynamische Effekte, die Auswirkungen auf den zeitlichen und räumlichen Verlauf der individuellen Bewegungen haben. Die Beschreibung des gesamten Systems erfolgt demnach idealerweise durch die Modellierung des kleinsten Bestandteils: Durch die mikroskopische Modellierung kann das Verhaltensmuster jedes Individuums separat und differenziert beschrieben werden. Das Bewegungsverhalten wird auf Basis eines stochastischen Ansatzes modelliert, der auf den Prinzipien des zellulären Automaten aufbaut. Dies dient dazu, die variierende Entscheidungsfindung der Passagiere durch die Definition von Aufenthaltswahrscheinlichkeiten abzubilden.
Zur Kalibrierung des Modells ist es erforderlich, Daten aus der Praxis auszuwerten und in das Modell einzuspeisen. Aus diesem Grund wird ein System entwickelt, welches die Positionen und Bewegungspfade der Personen im Terminal anhand von Fotografien und Videoaufnahmen zu jedem Zeitpunkt automatisch erfassen kann. Für diese Aufnahmen bietet der Flughafen Dresden mit seiner Infrastruktur einen idealen Rahmen: Aufgrund der baulichen Struktur des Terminals können die Aufzeichnungsgeräte so positioniert werden, dass eine möglichst weite und ungestörte Einsichtnahme in große Bereiche des Terminals möglich ist. Durch die große Entfernung der Kameras zu den jeweiligen überwachten Bereichen ist davon auszugehen, dass das Bewegungsverhalten der Passagiere nicht durch die Datenaufzeichnung beeinflusst wird. Eine in Zusammenarbeit mit der Professur für Technologie und Logistik des Luftverkehrs erstellte Software erlaubt unter Berücksichtigung der notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen die Umwandlung der Videodaten in Bewegungstrajektorien einzelner Personen. Von großem Interesse sind dabei die geschlechtsspezifischen Unterschiede und die Abhängigkeit der Bewegung von der Gruppengröße, der Gepäckanzahl sowie der Reisemotivation.
Prozessanalyse
Um das Verhalten des Passagiers im Terminal beschreiben zu können, werden notwendigen Passagierparameter definiert und durch Messungen an Flughäfen untermauert. Aus Sicht der Modellierung des Passagierabfertigungsprozesses im Flughafenterminal müssen zusätzlich die prozessbezogenen Abfertigungsparameter bestimmt werden. Dazu werden die jeweiligen Prozessstationen detailliert analysiert und wenn notwendig in verschiedene Unterprozesse aufgeteilt. Am Flughafen Stuttgart wurden umfangreiche Datenaufnahmen durchgeführt, um alle relevanten Abfertigungsprozesse während des Abfluges beschreiben zu können. Für die Erstellung einer validen Simulation der Flughafenprozesse steht somit eine solide Datenbasis zur Verfügung. Durch die statistische Analyse der spezifischen Prozesszeiten an den Abfertigungsstationen stehen valide Verteilungsannahmen für die Modellierung der Passagierabfertigung zur Verfügung.
Neben der Modellierung der Prozessabläufe stehen die potentiellen Auswirkungen der Erfahrenheit des eingesetzten Personals, der individuellen Passagierparameter wie Gruppengröße oder Gepäck oder Systemstörungen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.
Virtuelle Umgebung
Die Entwicklung einer Software für die Passagiermodellierung erfolgt in drei Evolutionsstufen. Beginnend mit ersten Testimplementierungen der Algorithmen erfolgen parallel die statistische Auswertung und die rudimentäre grafische Repräsentation der Ergebnisse. Da der Fokus der ersten Implementierungsstufe auf der Effizienz der gewählten Algorithmen liegt, erfolgt keine Trennung der genutzten Software-Strukturen. Mit zunehmender Komplexität der entwickelten Software, muss jedoch ein adäquater Rahmen geschaffen werden, so dass die Entwicklung des eigentlichen Bewegungsmodells von der grafischen Repräsentation getrennt erfolgt. Im ersten Prototyp sind die Personen als räumlich orientierte Quader dargestellt und können durch zusätzliche grafische Merkmale Informationen über ihren derzeitigen Zustand vermitteln. Im Rahmen des Forschungsprojektes S3 - Security from Seat to Seat konnte die Visualisierung bereits genutzt werden, um den Verlauf von Evakuierungen realitätsnah darzustellen. Mit weiter voranschreitender Implementierung musste die softwaretechnische Umsetzung des Prototypen effizienter gestaltet werden. Da existierende Simulationssysteme nicht die notwendige Flexibilität besitzen und mit der verwendeten objektorientierten Programmiersprachen Java der Entwicklungsaufwand mit zunehmender Komplexität ebenfalls steigt, ist ein unterstützender und standardisierter Softwarerahmen notwendig (Eclipse-Umgebung). Der entwickelte Prototyp bietet neben den beschriebenen Animationsmöglichkeiten auch eine grafische Benutzerschnittstelle und eine Programmierschnittstelle. Prinzipiell stehen somit zwei voneinander unabhängige Bereiche zur Verfügung: das Verhaltensmodell und die visuelle Darstellung.
Beschilderung
In Gebäuden wie Flughäfen, in denen eine Vielzahl an Menschen, oft unter Zeitdruck, zu unterschiedlichen Zielen gelangen muss, ist ein gut durchdachtes, durchgängiges Leitsystem aus Schildern mit Schriftzügen oder Symbolen unumgänglich. In erster Linie stellt ein Orientierungssystem einen Filter für Standardfragen dar, mit dessen Hilfe Bewegungen von Menschengruppen koordiniert werden können. Um diese Filterfunktion zu erreichen, müssen konsequent die identische Begriffe und Piktogramme verwendet werden. Damit sie für jeden verständlich sind und auch um eine Informationsüberflutung beim Betrachter zu vermeiden, sollten Piktogramme allgemein gültig und international standardisiert sein. Aus diesem Grund ist es zu empfehlen bei der Implementierung von neuen Orientierungssystemen auf herkömmliche Piktogramme zurückzugreifen, anstatt immer wieder neue Symbole zu entwerfen. Ungenauigkeiten im Orientierungssystem führen zu längeren Wegen für die ortsfremden Personen und können bei einer großen Anzahl an Menschen schnell zu unerwünschten Nebeneffekten führen.
Im Zuge eines derzeit durchgeführten Anbaus soll das Parkhaus des Flughafens Dresden erweitert werden. Im Rahmen einer Projektarbeit erfolgt die Erstellung einer einheitlichen, logischen und nachvollziehbaren Beschilderung und Wegeführung innerhalb des Parkhauses. Eine effiziente Beschilderung und Wegeführung sowie die einheitliche Außendarstellung muss dabei sowohl ökonomischen, rechtlichen und betrieblichen als auch anthropotechnischen Anforderung genügen. Schilder sollten an Orten angebracht werden, an denen sie sich gut von der Umgebung abheben und optisch gut von Werbung oder ähnlichem unterscheiden. Darüber hinaus müssen sie auch von größeren Distanzen lesbar sein, bei schlechten Lichtverhältnissen bietet sich eine Hinterleuchtung der Schilder an. Die Lesbarkeit der Informationen hat die höchste Priorität. Um den Wegsuchenden nicht mit überflüssigen Informationen zu überfluten, wird empfohlen darauf zu achten, dass die Anzahl der Schilder auf ein Minimum begrenzt wird und nur unbedingt notwendige Schilder angebracht werden.
Notfallplanung
Der Flughafen als Multifunktionssystem und Knotenpunkt im Luftverkehr wird in Bezug auf die Sicherheit mit stetig wachsenden Anforderungen konfrontiert. Der Trend hin zum modernen, architektonisch wertvollen Terminal mit großem Non-Aviation-Bereich, der seinen Besuchern eine Erlebniswelt aus einer Vielzahl von Serviceleistungen bietet, aber auch das gestiegene Anforderungsprofil durch ein höheres Passagieraufkommen und die wachsende Zahl der am Flughafen ansässigen Interessensgruppen führen zu einem komplexen Gesamtsystem, das höchste Ansprüche an das Sicherheitskonzept nach sich zieht. Während die luftseitige Abfertigung des Passagiers klaren Regelungen folgt, gibt es für Abfertigungsgebäude kein einheitliches Regelwerk für die Notfallkonzeption. Aufgrund der Multifunktion der Abfertigungsgebäude muss eine breite Palette juristischer Regelwerke beachtet werden, die genau genommen nicht unmittelbar für den Gebäudekomplex Flughafenterminal gelten. Dieser Umstand führt dazu, dass jeder Flughafen sein eigenes Notfallkonzept erstellt, das den allgemeinen Anforderungen und den individuellen Gegebenheiten vor Ort entspricht.
Der Aufbau einer Notfallplanung, d.h. die Erstellung eines übergreifenden Notfallplanes inklusive der ergänzenden Pläne und Dokumente, die Einrichtung verantwortlicher Dienststellen und deren Interaktion sowie die Vorhaltung der benötigten Ausrüstung ergibt sich zum einen durch die rechtlichen Vorgaben, als auch durch das hohe Potential an latenten Gefahren in einem solchen in sich komplexen System, wie es ein Flughafen darstellt. Die Notfallplanung setzt sich aus einem präventiven und einem aktiven Bereich zusammen. Die präventive Notfallplanung hat die Aufgabe alle notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung des gefahrlosen Betriebsablaufes zu ergreifen und somit den maximalen - in deren Möglichkeitsbereich - Schutz zur Verhütung des Eintretens von Notsituationen sicherzustellen. Beim Eintritt von Schadensereignissen und Notfällen ist das Hauptziel der aktiven Notfallplanung das schnelle und richtige Reagieren um somit Menschenleben zu schützen. Das bedeutet, die schnelle und organisierte Evakuierung der sich im Gefahrenbereich befindlichen Personen sowie einen möglichst schnell kontrollierten Umgang mit dem Schadensereignis. Um dieses Ziel zu erreichen und einen reibungslosen Ablauf ohne Zeitverzögerung zu gewährleisten, ist eine klare Strukturierung der Verantwortlichkeiten sowie eine organisierte und möglichst übersichtliche Dokumentation der im Notfall ablaufenden Prozesse elementar.
Veröffentlichungen
Schultz, M., L. Rößger, H. Fricke und B. Schlag (2012)
Group dynamic behavior and psychometric profiles as substantial driver for pedestrian dynamics, International Conference on Pedestrian and Evacuation Dynamics (PED), Zürich
Schultz, M. (2012)
Stochastic transition model for pedestrian dynamics, International Conference on Pedestrian and Evacuation Dynamics (PED), Zürich
M. Schultz und H. Fricke (2011)
Managing Passenger Handling at Airport Terminal, USA/Europe Air Traffic Management Research and Development Seminar (ATM Seminar), Berlin
M. Schultz und H. Fricke (2010)
Stochastic Transition Model for Discrete Agent Movements, Conference on Cellular Automata for Research and Industry (ACRI), Dresden
Schultz, M., T. Kretz und H. Fricke (2010)
Solving the Direction Field for Discrete Agent Motion, Conference on Cellular Automata for Research and Industry (ACRI), Dresden
Schultz, M., B. Oreschko und C. Schulz (2008)
Tracking Passengers at Airports for User Driven Terminal Design, Innovative Research Workshop (INO Workshop), Paris
Schultz, M., C. Schulz und H. Fricke (2007)
Enhanced Information Flow and Guidance in Airport Terminals using best Passenger's Visual Perception, Innovative Research Workshop (INO Workshop), Paris
Schultz, M., A. Wachtel und H. Fricke (2007)
Standardized concept for passenger guidance systems at aerodromes, Council of European Aerospace Societies (CEAS), Berlin
Schultz, M., A. Wachtel und H. Fricke (2007)
Multi-purpose passenger guidance systems for terminals, Aachen Aviation Convention (AAC), Aachen
Schultz, M., S. Lehmann und H. Fricke (2006)
Pedestrian dynamics in airport terminals considering emergency cases, Congress of the International Council of the Aeronautical Sciences (ICAS), Hamburg
Lehmann, S., M. Schultz und H. Fricke (2005)
Sicherheitsstrategien in Flughafenterminals, Verkehrswissenschaftliche Tage (VWT), Dresden
Schultz, M., S. Lehmann und H. Fricke (2005)
A discrete microscopic model for pedestrian dynamics to manage emergency situations in airport terminals, International Conference on Pedestrian and Evacuation Dynamics (PED), Dresden
Schultz, M., S. Lehmann und H. Fricke (2004)
Development of a computer-aided model for reliable terminal evacuation simulation - a statistical approach to handle unpredictable passenger behaviour , International Conference on Research in Air Transportation (ICRAT), Zilina, Slovakia
Lehmann, S., M. Schultz und H. Fricke (2004)
Bewertung von Sicherheit und Notfallmanagement an Verkehrsflughäfen, Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR), Dresden
Schultz, M., S. Lehmann und H. Fricke (2004)
Modellbildung und Parametrisierung eines zellulären Automaten zur Simulation von Notfall-und Evakuierungsszenarien in einem Flughafenterminal, Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR), Dresden