Beschreibung
Der Widerspruch zwischen der rechenintensiven und anspruchsvollen Nutzung hydrologischer/hydraulischer Modelle und der Forderung des operativen Betriebs nach robusten, unkomplizierten und schnellen Vorhersagesystemen soll durch die Verbindung von Prozessmodellen mit aufgabenspezifisch adaptierten, künstlichen neuronalen Netzen (ANN) aufgelöst werden. Die am IHM entwickelte Methodik PAI-OFF (Process Modelling and Artificial Intelligence for Online Flood Forecasting) kann die zuverlässigen Hochwasservorhersagemodelle auf dem aktuellsten Wissensstand einer Echtzeitanwendung für den operativen Einsatz zugänglich machen.
Dazu wird zunächst auf der Basis von Beobachtungsdaten und abflussrelevanten Einzugsgebietscharakteristika ein prozessorientiertes, gekoppeltes hydrologisch/hydraulisches Modell des Einzugsgebietes erstellt. Dieses berechnet auf der Grundlage einer orttypischen meteorologischen Charakterisierung Szenarien, die alle physikalisch möglichen und sinnvollen Konstellationen der Hochwasserentstehung abdecken.
Eine auf die Problematik abgestimmte Lernstrategie überträgt diese hydrologisch/hydraulische Charakteristika des Einzugsgebiets unter Einbeziehung der hochwasserrelevanten Merkmale der Ereignis-Vorgeschichte auf das neuronale Netz. Damit überwindet PAI-OFF die entscheidende Restriktion der eingeschränkt verfügbaren Beobachtungs-(Lern)daten, an der bisherige Versuche ANN zur Hochwasservorhersage zu nutzen scheiterten.
Die benannten Arbeitsschritte werden nur einmalig für ein bestimmtes Einzugsgebiet durchgeführt. Anschließend kann PAI-OFF ohne nennenswerten Aufwand routinemäßig als Werkzeug zur Hochwasservorhersage eingesetzt werden.
Dabei kommen die generellen Vorteile neuronaler Netze wie Einfachheit, Schnelligkeit, Robustheit und die Fähigkeit sich im laufenden Betrieb noch besser dem Verhalten des Einzugsgebiets anzupassen, bzw. die Auswirkung von Änderungen z.B. der Landnutzung graduell zu berücksichtigen („learning by doing“), voll zum Tragen und nutzen dabei alle Vorteile einer gewissenhaften und modernen hydraulisch/hydrologischen Modellierung.
Für die hydrologische Einzugsgebietsmodellierung im Rahmen von PAI-OFF sind prinzipiell beliebige Modelle einzusetzen. Wir haben uns nach einer vergleichenden für WaSiM-ETH, welches die Feuchteverteilung im Gebiet mit Hilfe der Richards-Gleichung gut abbilden kann, entschieden (GURTZ et. al. 2000). Die Verarbeitung der externen Parameter wie Niederschlag, Temperatur, Luftfeuchte, Globalstrahlung und Windgeschwindigkeit erfolgt für die Modellierung im Stundenzeitschritt bei einer Rasterzellenweite von 1 km². Die Interpolation von Stationsdaten auf das Raster verwendet die Methoden des external drift kriging (Temperatur, Niederschlag), sowie des ordinary kriging (Luftfeuchte, Wind, Globalstrahlung).
Zur Koppelung des NA-Modells mit der hydrodynamischen Modellierung in den Gebieten ist oft der flexible Einsatz von zwei Ansätzen zur Berechnung des Wellenablaufes sinnvoll. Abhängig von der Gebietscharakteristik der Teileinzugsgebiete erfolgt daher in den steileren und engen Gerinneabschnitten die Verwendung des Translations-Diffusions-Ansatzes, der in WaSiM-ETH realisiert ist. Die Berechnung des Wellenablaufs in den flacheren und breiten Flussabschnitten sowie im Bereich von Zusammenflüssen, in denen es im Hochwasserfall zu Rückstau kommt, erfolgt mit HEC-RAS, einem eindimensionalen hydrodynamischen Modell, das auf der numerischen Lösung der Saint-Venant-Gleichungen beruht.
Das hydrologische/meteorologische Geschehen vor Beginn eines Starkregenereignisses hat wesentlichen Einfluss auf die Hochwasserentstehung bzw. darauf, ob ein Starkregen überhaupt ein Hochwasser verursacht. Es ist deshalb von außerordentlicher Bedeutung für die Zuverlässigkeit einer Vorhersage, in der Praxis verfügbare, diesbezüglich relevante Informationen soweit wie möglich in das Vorhersagewerkzeug mit einzubinden. Das ANN weist in dieser Beziehung eine enorme Kapazität auf: es kann zur Adaption an das Problem der Hochwasservorhersage im betrachteten Einzugsgebiet die entsprechende Information über die Vorgeschichte zu einem Starkregenereignis mit Hilfe eines Merkmalvektors voll integrieren.
Im routinemäßigen operativen Einsatz stellt das Lokalmodell des DWD die meteorologischen Eingangsparameter zum Betrieb von PAI-OFF bereit. Dabei handelt es sich um die Niederschlagsvorhersage sowie die prognostizierte Schneeschmelze, Temperatur, Strahlung, Feuchte und Windgeschwindigkeit im Rasterformat. Des weiteren sind die in der Hochwassermeldezentrale verfügbaren Informationen zur Vorgeschichte, d.h., zu vorangegangenen Pegelständen und Niederschlägen vorzugeben. Aus diesen Eingangsgrößen bestimmt das neuronale Netz dann in einem einzigen, direkten Schritt den Durchfluss am vorherzusagenden Pegel.