15.02.2023
Wie gelingt Inklusion an Hochschulen?
Ein Essay von Prof. Gesine Marquardt, Inhaberin der Professur für Sozial- und Gesundheitsbauten und Beauftragte für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung an der TU Dresden.
Eine exzellente Universität ist eine inklusive Universität. Sie ermöglicht allen ihren Mitgliedern, dass sie ihre individuellen Potenziale in vollem Umfang entfalten und ihre Ziele verwirklichen können. Inklusion trägt somit nicht nur zur Verwirklichung von Chancengerechtigkeit bei, sondern sie ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Beteiligung am Wettbewerb um die besten Studierenden und Beschäftigten. Dies ist an der TU Dresden Handlungsleitbild.
Um eine inklusive Universität zu sein, müssen sämtliche die Forschung, Lehre und Verwaltung betreffenden Prozesse so gestaltet werden, dass sie keine Barrieren darstellen. Die TU Dresden setzt zwar bereits sehr umfassend die bestehenden gesetzlichen Vorgaben um, aber dennoch bestehen vielfältige Hindernisse fort. Um kontinuierlich an deren Beseitigung zu arbeiten, sind breite Beteiligungsverfahren notwendig, in denen die Bedarfe und Handlungsräume der unterschiedlichen Statusgruppen wie Studierende, Lehrende, Forschende und Mitarbeitende in der Verwaltung berücksichtigt werden. Dies wird an der TU Dresden beispielsweise dadurch umgesetzt, in dem die jährlich vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus bereitgestellten Sondermittel für Inklusion universitätsweit ausgeschrieben werden und alle Mitglieder der Universität sich mit ihren Projektideen darauf bewerben können. Seit 2015 wurden über 120 Projekte gefördert. Diese umfassen die unterschiedlichsten Maßnahmen: So wurde zentral ausleihbare Unterstützungstechnik (z.B. Braillezeilen, Tafellesegeräte und Hörtechnik) angeschafft, barrierefreie Sportgeräte und –kurse (z.B. Tandems und Segelboote) wurden bereitgestellt, Studierende mit AD(H)S miteinander vernetzt und Kurse in Gebärdensprache angeboten. Ebenso wurde eine zentrale Meldestelle für bauliche und digitale Barrieren eingerichtet.
Gleichzeitig braucht es aber auch ein klares Bekenntnis der Leitungsebene einer Universität zur Inklusion. Nur so kann die Thematik zu einem integralen Bestandteil aller Prozesse werden. An der TU Dresden ist der mit Vertreter:innen aller Statusgruppen besetzte Beirat Inklusion ein wichtiges Beratungsgremium für das Rektorat. Geleitet wird dieser von der Prorektorin für Universitätskultur, bei der die unterschiedlichen Handlungsfelder der Inklusion gebündelt werden. Diese sind in einem Strategiepapier der TU Dresden, dem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, festgeschrieben. Auch dieser entstand in einem breiten Beteiligungsformat, in dem alle Mitglieder der Universität Vorschläge zu Handlungsfeldern und Einzelmaßnahmen einbringen konnten. Im Handlungsfeld „Qualitätsmanagement“ ist verankert, dass die Maßnahmen kontinuierlich verfolgt und deren Fortschritte systematisch festgehalten werden. Dem Beirat Inklusion kommt dabei eine Steuerungsaufgabe zu: Problemfelder können so besser identifiziert und Weiterentwicklungspotenziale im Themenfeld aufgezeigt und angegangen werden.
Ein wesentliches Thema des Aktionsplanes ist beispielsweise der Umgang mit psychischen Erkrankungen, die zu einer Herausforderung im Leben vieler Studierender und Beschäftigter geworden sind. Hier wird durch das universitäre Gesundheitsmanagement der TU Dresden ein Schwerpunkt auf die Prävention gelegt und eine stärkere Sensibilisierung aller Mitglieder der Universität für den Umgang mit psychischen Erkrankungen gefördert. Dies ist insbesondere notwendig, da viele Studierende davon betroffen sind und es leider kaum rechtliche Spielräume für die Kompensationen in Form von Nachteilsausgleichsmaßnahmen für die Erbringung von Studien- und Prüfungsleistungen gibt. Dies zeigt auf, dass den Bemühungen um Inklusion auch Grenzen gesetzt sind, die außerhalb der Handlungsspielräume einzelner Universitäten liegen und die es zukünftig noch zu überwinden gilt.
Auch die Gestaltung unseres Campus ist eine kontinuierlich zu bearbeitende Zukunftsaufgabe. Mit dem Masterplan zur Campusentwicklung und dem Handbuch zur inklusiven Außenraumgestaltung wird angestrebt, dass dieser immer mehr barrierefrei gestaltet wird. Allerdings wurde das Gelände zu Beginn der 1900er Jahre angelegt – zu einer Zeit, in der die Belange von Menschen mit Behinderungen baulich nicht berücksichtigt wurden. So finden wir viele Treppenstufen an Gebäudezugängen vor und auch die Lage an einem Hang erschwert die barrierefreie Durchwegung des Campus mit einem Rollstuhl. Mit jedem Sanierungs- und Neubauvorhaben werden Maßnahmen hin zu einer weiteren barrierefreien Gestaltung umgesetzt, aber angesichts der Größe des Campus und der Vielzahl an Gebäuden wird es noch einige Zeit dauern, bis dieser durchgängig barrierefrei ist. Auch das barrierefreie Leit- und Orientierungssystem, welches insbesondere die Belange von blinden und seheingeschränkten Menschen berücksichtigt, wird schrittweise auf dem Campus umgesetzt.
Für diese bestehen jedoch nicht nur Barrieren in der gebauten Umwelt, sondern auch im digitalen Raum der TU Dresden. Diese bemüht sich als öffentliche Stelle des Landes Sachsen um die digitale Barrierefreiheit auf Webseiten, in Dokumenten und auch in ihren IT-Systemen. Über das Zentrum für Weiterbildung finden regelmäßige Schulungen für Beschäftigte zu barrierefreien Dokumenten statt. Die Mitarbeiter:innen der AG Services Behinderung und Studium beraten auf Anfrage auch zur digitalen Barrierefreiheit und sind vorab in Testungen eingebunden. Trotzdem stoßen blinde und sehbehinderte Studierende und Beschäftigte in bestimmten Systemen noch auf Barrieren – auch in den häufig verwendeten Diensten und Formularen.
Für die zukünftige Weiterentwicklung der Inklusion an der TU Dresden braucht es aber nicht nur die optimale Gestaltung von Prozessen und Gebäuden. Auch in der Forschung sollte das Thema noch stärker fokussiert werden. Bisher gibt es nur einzelne Professuren, die Fragen der Inklusion zum Forschungsgegenstand haben. Sinnvoll wäre es, zukünftig eine stärkere Vernetzung dieser wie auch eine breitere inhaltliche Ausrichtung auf das Thema anzustreben. Somit könnte die TU Dresden noch deutlicher aufzeigen, wie die Themenfelder „Exzellenz“ und „Inklusion“ in allen Bereichen des universitären Lebens und Handelns zum Nutzen aller Mitglieder der Universität weiterentwickelt und umgesetzt werden können.