Basiskonzepte
Um die Lehr-Lern-Inhalte umfassend und entsprechend ihrer Gesamtheit fassen und analysieren zu können, gibt es verschiedene Ansätze. Diese sind meist Teil fach- und disziplinabhängig. Für die Bereiche der Geistes- und Sozialwissenschaften eignet sich beispielsweise die Betrachtung und Analyse entlang von sogenannten (Basis)Konzepten.
“Konzepte sind unsere gedanklichen Werkzeuge, mit deren Hilfe wir in der Welt sinnfällig handeln können” (Kron 1999: 78 nach Atkinson 1990: 321). Konzepte sind für jeden Menschen notwendig, um sich in der Welt zurechtzufinden, sich zu orientieren und handlungsfähig zu sein (ebd). Wir entwickeln im Laufe unseres Lern- und Entwicklungsprozesses verschiedene Erklärungsmodelle für das, was um uns herum geschieht. Diese prägen nicht nur unser Verhalten, sondern bestimmen auch, in welcher Art und Weise Phänomene und Prozesse beurteilt werden (Sander 2009: 57). Beispielsweise haben wir durch verschiedene Medien und Erzählungen Vorstellungen darüber, wie ein Studium abläuft. Wie wir uns in Hörsälen verhalten, wie wir uns auf dem Campus bewegen und wie wir mit Menschen aus höheren und niedrigeren Semestern umgehen. Jedoch unterscheiden sich diese Konzepte je nach Umfeld. Erzählen Bekannte bspw. viel über einen entspannten Umgang, sporadisch besuchte Vorlesungen, freier Seminarwahl o.Ä. entsteht ein anderes Konzept über Studium als bei jenen, deren Erfahrungen und Wissen von harter Arbeit, Lernen am Wochenende und strikten Vorgaben geprägt sind.
Um den Lernenden einen Kompetenzerwerb zu ermöglichen, muss der Erwerb spezifischer und vielfältiger Deutungs- und Erklärungsansätze (konzeptuelles Deutungswissen) möglich sein. Diese sind wichtig, damit die fachspezifischen Kompetenzen (Urteils- und Handlungsfähigkeit sowie Methodenkompetenz) entwickelt werden können (GPJE 2004). Konzepte, die für diese Deutungs- und Erklärungsansätze hilfreich sind, zeichnen sich dadurch aus, dass sie gesellschaftlich sowie wissenschaftlich generiert wurden. Sie können demnach auch durch Wissenschaft und Gesellschaft reproduziert und verändert werden (Lange 2011: 95f). Daraus ergibt sich, dass verschiedene Erklärungen oder Deutungen existieren und nicht nur die eine. Bei der Arbeit mit Basiskonzepten für Lehr-Lern-Settings braucht es jedoch nicht nur gesellschaftliche sowie wissenschaftliche Zugänge. Auch individuelle Perspektiven und Konzepte müssen aufgenommen werden. Denn jeder Mensch entwickelt als Erklärung eigene Konzepte, die sich aus Erzählungen, Lernprozessen und Erfahrungen speisen. Erst durch den Einbezug vielfältiger Perspektiven, können verschiedenen Deutungs- und Erklärungsansätze mit ihren Potenzialen, Auswirkungen und Verschränkungen greifbar werden.
Konzepte sind bei den Lernenden in Form sogenannter Präkonzepte in Schule und Unterricht präsent. Sie nehmen Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung neuer Inhalte (Sander 2009: 57). Präkonzepte sind quasi das Vorwissen und die Erfahrungen der Lernenden, an die Neues anschlussfähig sein muss. Das hat auch Konsequenzen für die Planung und Gestaltung von Lehr-Lern-Settings. Lerngegenstände müssen nicht nur an Bekanntes anknüpfen, sie müssen darüber hinaus ermöglichen, bestehende Präkonzepte zu erweitern oder auch zu verändern (ebd). Eine Analyse des Themas entlang von Basiskonzepten ermöglicht das Aufdecken der zugrundeliegenden allgemeinen Strukturen und Phänomene. So kann es gelingen, Themen in ihrer Komplexität zu Gegenständen von Unterricht werden zu lassen, die Zusammenhänge zwischen den individuellen und fachspezifischen Konzepten herstellen.
Basiskonzepte können als “zentrale Prinzipien bzw. Paradigmen der Domäne, also Grundvorstellungen des jeweiligen Faches” verstanden werden (Weißeno et al. 2010: 48). Im Kontext der politischen Bildung sind Basiskonzepte Vorstellungen darüber, wie politische Prozesse stattfinden. Auf sie baut das jeweilige politische Wissen von Menschen, und demnach auch Lernenden auf, und strukturiert ihre Vorstellungen über Politik, politische Prozesse und wie neues Wissen darüber angeeignet wird (Lehrer*innenbildung Baden-Württemberg). Basiskonzepte sind demnach zugrundeliegende Ausgangspunkte, von denen ausgehend komplexe Phänomene beschrieben werden können. Sie helfen bei der Identifizierung grundlegender Prozesse des jeweiligen, thematisierten Bereiches. Davon ausgehend bilden Basiskonzepte den Ausgangspunkt für tiefergehende, kleinteilige Aspekte (Sander 2009: 58f). Diese sind wiederum durch Basiskonzepte miteinander verbunden. “Insgesamt entsteht [...] ein Geflecht von Konzepten, eine strukturierte Vernetzung, die sich dazu eignet, [...] Phänomene, Ereignisse, Prozesse usw. zu beschreiben, zu analysieren und zu reflektieren.” (Weißeno et. al. 2010: 49)
Ein Beispiel: Das Konzept zum Thema Wahl ist bei den meisten Menschen ähnlich. Wir lernen, wie der Prozess des Wählens abläuft, über die Wahlbescheinigung, hin zur Briefwahl oder zum Wahllokal. Junge Menschen haben möglicherweise ein Konzept, das weniger konkret oder vollständig ist. Um das Wissen zu Wahlen zu vertiefen, müssen neue Informationen an das, was bereits vorhanden ist, anknüpfen. Existieren Präkonzepte, die aufgrund falscher Annahmen gebildet wurden, muss sensibel gearbeitet werden, damit neue Konzepte überhaupt entstehen können. Denn diese Konzepte sind Teil der individuellen Weltvorstellung. Sie in Frage zu stellen oder abzusprechen kann ein Gefühl von Ablehnung erzeugen. Denn bisher hat sich die Person ihre Welt anhand dieser ungenauen oder fehlerhaften Konzepte erklärt.
Für (Politik)Unterricht ist nun wichtig, die Lerngegenstände auf die ihnen zugrundeliegenden Konzepte zu überprüfen. Entlang der durch die Konzepte sichtbar werdenden Fragen, Themen und Probleme können thematische Beispiele für das Lehr-Lern-Angebot ausgewählt werden. Dies sollte jedoch immer im Sinn der Subjektorientierung und auf Basis der Verstehenden Perspektive erfolgen. Somit sind Basiskonzepte als Relevanzfilter für die Lernenden zu verstehen, auf deren Basis geeignete Beispiele für das Lehr-Lern-Thema ausgewählt werden können (Sander 2009: 59). Basiskonzepte stehen dabei nicht linear nebeneinander oder bauen in einer vorgegebenen Reihenfolge aufeinander auf. Vielmehr geht es um eine Verknüpfung verschiedener Konzepte mit den ihnen innewohnenden Erklärungs- und Deutungsansätzen. Dabei können ausgewählte Beispiele immer neue sowie komplexere Sachverhalte im Zusammenhang mit den Konzepten aufzeigen (ebd.). Dies ermöglicht eine spiralförmige Vertiefung in die Konzepte, ähnlich eines hermeneutischen Zirkels. Somit kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit soziologischen, gesellschaftlichen und politischen Prozessen stattfinden (ebd.: 58f).
Wichtig im Umgang mit Basiskonzepten ist, dass sie keine Instrumente der Wissensvermittlung sind, da sie nicht klar definierten Unterrichtsstoff entsprechen. Basiskonzepte müssen vielmehr als miteinander verwobene Knotenpunkte verstanden werden (ebd.: 58). Sie ermöglichen die Entwicklung von Fragen, deren Antworten vielfältige Betrachtungsweisen und Theorien aufdecken können (siehe Material). Je nach Standpunkt geben sie unterschiedliche Erklärungsansätze für Phänomene in unserer Umwelt. Konzepte sollten, auch im Unterricht, als multiperspektivisch und damit durchaus auch als kontrovers verstanden werden.
Hier lässt sich an das Konzept der Zone der nächsten Entwicklung anschließen. Gelingt es, Lehr-Lern-Inhalte so aufzubereiten, dass sie nicht nur den Bedürfnissen und Aneignungsvorlieben der Lernenden entsprechen, sondern auch anschlussfähig an ihre Präkonzepte sind, können die Lernenden diese weiterentwickeln. Denn nur durch den Anschluss an die Präkonzepte, also an ihre Vorerfahrungen, können Lernende lernen und sich entwickeln. Sie werden in die Lage versetzt, Sachverhalte und Phänomene aus anderen Perspektiven zu betrachten und zu bewerten. Dies ermöglicht, dass sie in der Interaktion mit ihrer Umwelt mündiger und selbstbestimmter werden, da sie durch neue Kompetenzen ihre Handlungsfähigkeit weiterentwickeln. Die Präkonzepte sind dabei das, was die Lernenden ohne Hilfe beherrschen. Der Lerngegenstand, differenziert die ihm innewohnenden Konzepte, das, wohin sich die lernende Person entwickeln kann.
Weitere Anregungen, Materialien sowie weiterführende Literatur können Sie ebenfalls im Fundus Inklusion finden.