Didaktische Prinzipien
Didaktische Prinzipien dürfen nicht mit Methoden, Sozialformen oder Instrumenten der Phaseneinteilung der Lerneinheiten verwechselt werden, denn sie bieten keine Handlungsanleitung. Vielmehr formulieren sie qualitative Maßstäbe für die Unterrichtsgestaltung (Busch 2020: 54). Sie basieren auf Erfahrungswissen aus Lehr-Lern-Settings sowie wissenschaftlichen Erkenntnissen (ebd.). In verschiedenen Fachdisziplinen existieren unterschiedliche didaktische Prinzipien. In der politischen Bildung gelten didaktische Prinzipien als eines von mehreren Gütekriterien für Unterricht. Die John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie (kurz: JoDDiD) hat ein Video veröffentlicht, in dem mehr zu Didaktischen Prinzipien in der politischen Bildung und zu weiteren Gütekriterien erfahren werden kann.
Die Didaktischen Prinzipien der politischen Bildung ermöglichen unterschiedliche Sichtweisen auf Lerninhalte. Trotz dieser Unterschiedlichkeit ergänzen und überschneiden sie sich auch in der Praxis (Sander 2008: 190).
Doch auch, wenn die Didaktischen Prinzipien bei der Umsetzung guter politischer Bildung hilfreich sind, ist durch ihre Berücksichtigung noch nicht per se Lernen und Entwicklung für alle sichergestellt. Eine zusätzliche Betrachtung unter vielfaltssensiblen Gesichtspunkten ist daher notwendig. Lesen Sie mehr dazu unter der Frage "Wie helfen die Prinzipien dabei, einen Gegenstand in der fachlichen und sozialen Komplexität sowie Vielfalt zu analysieren?"
In Lehr-Lern-Prozessen den Didaktischen Prinzipien entsprechend zu handeln, stellt eine personell-kulturelle Kompetenz von Lehrkräften dar (Girmes 2006: 27). Denn anhand dieser Prinzipien können Lehrkräfte ihr Handeln orientieren, messbar und transparent machen (ebd.). Reinhardt stellt heraus, dass Didaktische Prinzipien zwei Funktionen haben (Reinhardt 2012: 41f):
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sie sind eine Orientierungshilfe bei der Planung von Unterricht und
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ein Instrument der Selbst- und Fremdreflexion und damit ein Hilfsmittel zur Professionalisierung der Lehrenden (ebd.).
Als problematisch gilt in der politischen Bildung eine Lernkultur, die die fachdidaktischen Prinzipien kaum bis gar nicht berücksichtigt (Sander 2008: 191) oder zu Extremen neigt.
Didaktische Prinzipien wirken wie Scheinwerfer, da sie Inhalte auf bestimmte Art und Weise in Szene setzen und sich so Themen(-Schwerpunkte) ergeben können (Sander 2008: 191). Vielfaltssensibel lässt sich Lehre besonders dann gestalten, wenn die Auswahl und das Setzen der Scheinwerfer an die Lernenden gegeben wird. So werden die Lernenden in die Lage versetzt, sich entlang ihrer Interessen und Bedarfe Sinn und Bedeutung von Themen zu erschließen. Dies soll nicht heißen, dass die Lehrperson, die Lernenden mit den Inhalten alleine lässt. Vielmehr soll eine individuelle Auseinandersetzung anhand der inhaltlichen, zeitlichen, räumlichen und materiellen Gestaltung des Lernsettings ermöglicht werden. So eröffnen sich individuelle Zugänge zum Thema.
Stellen Sie sich dazu eine gesellschaftswissenschaftliche Unterrichtsstunde zum Thema Umweltbildung und Umweltverschmutzung vor. Für Lernende könnte es einerseits relevant sein, sich dem Thema anhand von Zahlen, Fakten und Statistiken zu nähern und so einen wissenschaftsorientierten Zugang zu wählen. Andere Lernende könnten sich fragen, was sie selbst im Umweltschutz bewirken können, was einem subjektorientierten Zugang entspräche. Wieder andere Lernende interessieren sich womöglich für die Argumente, die für und gegen Zoos sprechen und möchten beispielsweise dazu recherchieren und eine Debatte vorbereiten.
An diesem Beispiel wird sichtbar, wie viele verschiedene Scheinwerfer Didaktische Prinzipien auf vielfaltssensible Art und Weise auf ein Thema werfen können. Zusammenfassend lässt sich herausstellen:
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Die Planung entlang der Prinzipien ermöglicht vielfältige Zugänge zu Themen.
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Die Subjektorientierung ermöglicht insbesondere die Übernahme einer Verstehenden Perspektive. So können die Interessen, die Lebenswelten und -umstände der Lernenden am spezifischen Thema einbezogen werden.
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Didaktische Prinzipien sind Scheinwerfer, welche den Lernenden zur Verfügung gestellt werden können, damit diese individuell anschlussfähige Aspekte identifizieren können.
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Anhand von Didaktischen Prinzipien können Lehrende verschiedene Formen der Auseinandersetzung identifizieren, um ein Gefühl für mögliche Zugänge zu erhalten.
Jedoch ist Subjektorientierung nicht zwingend vielfaltssensibel und muss nicht per se positive Auswirkungen auf die emotionale Wahrnehmung haben. Themen, die eine Lehrperson vermeintlich subjektorientiert ausgewählt hat, können in Wahrheit irrelevant oder sogar emotional negativ belegt und damit potentiell bindungsgefährdent sein (Hölzel, Jugel 2019). Lehrende sollten daher eher eine Bandbreite von Zugängen und Themen zur Verfügung stellen oder die Lernenden gänzlich selbstgesteuert ihre Scheinwerfer ausrichten lassen. Die Subjektorientierung kann außerdem dafür sensibilisieren, die Bedarfe und Emotionen der Lernenden im Blick zu behalten und mitzudenken. Darüber hinaus können Didaktische Prinzipien einen überindividuellen Erkenntnisraum öffnen. Denn indem Lernende zunächst individuelle Scheinwerfer auf einen Aspekt richten, erlangen sie spezifische Erkenntnisse. Werden dann Austausch- und Diskussionsräume geschaffen, können die verschiedenen Erkenntnisse der Lernenden zusammengeführt werden. Didaktische Prinzipien sind demnach Werkzeuge für Lehrende und Lernende!
Die Anzahl, Bezeichnung und Konkretion Didaktischer Prinzipien unterliegen einem historischen Wandel und sind in der Politikdidaktik strittig (Busch 2020: 55). Somit ist es möglich, die Lehre anhand verschiedener Didaktischer Prinzipien unterschiedlicher Politikdidaktiker*innen auszurichten. Die Didaktischen Prinzipien in Anlehnung an Sander (2008) erscheinen uns aufgrund ihrer Übersichtlichkeit und Konkretheit als besonders leicht handhabbar. Der Fundus Inklusion geht von den folgenden politikdidaktischen Prinzipien aus:
Lerngegenstände müssen so ausgewählt und strukturiert werden, dass an ihnen verallgemeinerbare Erkenntnisse gewonnen werden können (Sander 2008: 193). Dazu braucht es eine „gründliche, […] Auseinandersetzung mit einem typischen Beispiel, an dessen Analyse Wissen und Erkenntnisse erworben werden können, die auf eine Vielzahl anderer, ähnliche [sic!] gelagerter Gegenstände […] übertragbar sind.“ (ebd.)
Komplexitätsunterschiede zwischen Beispiel und verallgemeinerbarem Prinzip müssen sichtbar gemacht und reflektiert werden.
Sozialwissenschaftliche Lerngegenstände müssen so ausgewählt und strukturiert werden, dass Lernende die Möglichkeiten zum handelnden Umgang mit ihnen erhalten (Sander 2008: 198). Nach Klippert kann in der politischen Bildung unterschieden werden in reales (z. B. Erkundungen, Exkursionen, Expert*inneninterviews), simulatives (z. B. anhand der Methoden Rollenspiel und Talkshow oder des Mediums Computerspiel) und produktives Handeln (z. B. Gestalten von Ausstellungen, Podcasts, Erklärvideos) (Klippert 1991: 13). Kritisiert wird häufig die Umsetzbarkeit im Nahraum der Lernenden (reales Handeln) (Breit 1998: 106f) und eine gewisse Komplexitätsreduktion, die vor allem mit dem simulativen und produktiven Handeln häufig einhergeht (Kötters-König 2002: 8). Komplexitätsunterschiede zwischen unterrichtlichem und realpolitischem oder gesellschaftlichem Handeln müssen in Lehr-Lern-Settings sichtbar gemacht und reflektiert werden, um den Lernenden keine falschen Analogien zu vermitteln.
Zudem sind nicht alle entlang von Methoden oder Medien geplanten Handlungen den Lernenden bereits vertraut. Auch darauf sollte Rücksicht genommen und eingegangen werden. Die Lehrenden sollten die Lernenden mit Hilfestellungen und Strategien zum Umgang mit Handlungen außerhalb der Komfortzone unterstützen.
Politische Lerngegenstände müssen so ausgewählt oder strukturiert werden, dass die kontroverse Struktur des Politischen sichtbar wird (Sander 2008: 196). Das bedeutet:
- Inhalte müssen darauf befragt werden, ob tatsächlich eine Kontroverse vorliegt oder ob es sich um ein Problem handelt, das im Diskurs nur kontrovers dargestellt wird. Ist die ungleiche Bezahlung in Ost und West oder zwischen Menschen, die männlich oder weiblich gelesen werden beispielsweise eine Kontroverse oder nicht doch eher ein Problem? Eigentlich sollte es doch selbstverständlich sein, dass gleiche Arbeit gleich bezahlt wird, oder?
- Kontroversität meint außerdem, dass Lehrpersonen auf die Gewichtung von Positionen und Argumenten achten. Das heißt, unterrepräsentierte Aspekte müssen eingebracht werden und gleichzeitig auf falsche Gleichgewichtung geachtet werden. Teilweise kann es nötig werden, dass Lehrpersonen simulativ Positionen einnehmen, damit kontrovers erscheint, was auch in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert wird (Beutelsbacher Konsens).
- Hinzu kommt, dass Kontroversen häufig eher negativ denn als Kitt offener Gesellschaften wahrgenommen werden (El-Mafaalani 2019: 437). In Diskursen in Lehr-Lern-Settings kann jedoch viel für die eigene Urteils- und Argumentationsfähigkeit gelernt werden. Daher sollten Kontroversen aktiv gesucht und ausgehalten werden. Wird wertschätzend und auf dem Boden von Grundgesetz und Menschenrechten diskutiert, darf es dabei auch emotional werden. Weiterführende Gedanken zu politischer Bildung mit Gefühl hat sich die John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie (kurz: JoDDiD) gemacht. Auf deren entsprechendes Video wir hier gern verweisen möchten.
- Extremistische Positionen sind nicht Teil von Kontroversen (Besand 2019: 272f)! Da sie außerhalb des demokratischen Minimalkonsens (Grundgesetz und Menschenrechte) argumentieren, sind sie nicht diskutabel. Ihnen muss bei Sichtbarwerden in Lehr-Lern-Settings klar widersprochen werden (ebd.). Neutralität ist keine Option und nicht im Sinne des Beutelsbacher Konsens.
- Als Lehrperson sollte man bei der Planung des Bildungsangebotes reflektieren, wo die persönlichen Grenzen sind. Was hält man selbst im Sinne eines demokratischen Minimalkonsens für sag- und vertretbar und was nicht? Darüber kann man wiederum auch mit den Lernenden in Austausch treten.
Ausgangspunkt des Lernens sind hierbei subjektorientiert ausgewählte, reale und offene politische Probleme. Anhand derer soll Politik als Aushandlungsprozess verstehbar und der Problemgehalt des Politischen erkennbar werden (Sander 2008: 194). Aber was ist "das Politische"? Weite und enge Definitionen davon was Politik ist, beeinflussen in besonderem Maße die Auswahl der zu behandelnden Probleme sowie die Perspektiven darauf und sollten daher mit den Lernenden reflektiert werden.
Besonders motivierend ist es, wenn Probleme ausgewählt werden, die viele mögliche Lösungen bereithalten und nicht nur genau eine, die die Lernenden ausfindig machen sollen.
Problemorientierte Ansätze eignen sich in besonderer Weise dazu, Räume für kooperative und selbstgesteuerte Lernpfade zu öffnen.
Die (politischen) Interessen, Bedürfnisse und Lernwege der Lernenden bilden den Ausgangspunkt für politisches Lernen und Entwickeln (Sander 2008: 191ff). Daraus ergibt sich die Bezeichnung Subjektorientierung. Auch Adressat*innenorientierung wird verwendet. Wortwörtlich scheint der Fokus dabei jedoch auf den Lernenden als Gruppe sowie als Rezipient*innen zu liegen, was den Ansprüchen des Fundus Inklusion nicht entspricht, weswegen der Begriff Subjektorientierung bevorzugt wird.
Dieses Prinzip ist stark mit der Verstehenden Perspektive und den Inhalten des Fundus verknüpft. Denn dieser stellt wie die Subjektorientierung ein von den Lernenden ausgehendes, sicheres und angstfreies, wertschätzendes sowie interessengeleitetes Lernen und Entwickeln in den Mittelpunkt.
Subjektorientierung kann außerdem dadurch erreicht werden, dass Lernende in den Lern- und Entwicklungsprozess stärker einbezogen werden (ebd.: 192). Dies wird beispielsweise durch Mitbestimmungsmöglichkeiten, Feedback (Lehrevaluation) und selbstgesteuerte Lehr-Lern-Settings möglich.
Dabei ist es wichtig, die Lernenden individuell und nicht als vermeintlich homogene Gruppe zu betrachten. Unterschiedliche Lernende haben verschiedene (politische) Interessen, Bedürfnisse, Lebenswelten und Lernvorlieben. Die einzige politische Frage, von der angenommen werden kann, dass sie alle Lernenden betrifft, ist: Wie wollen wir gemeinsam leben?
Es soll ein kritisch-reflexiver Umgang mit Wissenschaft angebahnt werden (Sander 2008: 200). Außerdem gilt es, ein Verständnis von der immer nur relativen Gesichertheit wissenschaftlichen Wissens bei den Lernenden zu etablieren (ebd.). Das heißt, Wissen soll im Unterricht weder als abgeschlossene Wahrheit dargestellt werden, noch sollen Lehr-Lern-Angebote in einen kritierienlosen Relativismus abdriften (ebd.). In besonderem Maße ist in der Planung von Lehr-Lern-Settings die Sachanalyse von der Wissenschaftsorientierung betroffen, indem
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keine als widerlegt geltenden Tatsachenbehauptungen eingebracht,
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wissenschaftliche Forschungsergebnisse und Theorien zutreffend dargestellt,
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Fachbegriffe richtig gebraucht
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und keine für das Verständnis des Gegenstands wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse willkürlich ausgeblendet werden (Beutelsbacher Konsens). (ebd.)
Forschendes Lernen eignet sich besonders, um Wissenschaftsorientierung umzusetzen. So werden an Lehr-Lern-Settings angepasste, qualitative und quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung erfahrbar. Komplexitätsunterschiede zwischen unterrichtlichem und wissenschaftlichem Forschen müssen sichtbar gemacht und reflektiert werden.
Weitere Anregungen, Materialien sowie weiterführende Literatur können Sie ebenfalls im Fundus Inklusion finden.