Nachdenken und Schmunzen bei Abschiedsvorlesungen
Dresden, 10. 11. 2008. Wenn der Hörsaal 118 im Beyer-Bau aus den Fugen gerät, muss schon etwas besonders sein. Eine Doppelvorlesung über Wasser und Wellen war der äußerliche Anlass, der eigentliche Grund hingegen ein anderer: Die beiden Vortragenden hatten zur Abschiedsvorlesung geladen. Prof. Hans-B. Horlacher, Wasserbauer in Dresden seit 1993, und Prof. Peter Ruge, Dynamiker bei den Dresdner Bauingenieuren ebenfalls seit 1993. Beide gehören, wie nicht zuletzt die nahezu 200 Gäste im für 150 Studenten konzipierten Hörsaal 118 bewiesen, zu den beliebten Professoren an der Fakultät - und das im fachlichen wie im menschlichen Bereich.
Die hohe fachliche Kompetenz und persönliche Ausstrahlung lobte auch Prof. Rainer Schach, Dekan der Fakultät, bei seiner Abschiedsrede. Er würdigte die berufliche Vergangenheit der beiden Professoren zu Beginn der neuen Lebensphase, in der man wieder persönliche Freiheiten erlangt hat – aber Wissenschaftler hören ja nicht auf mit ihrem Denken...
Wellen bestimmen das Leben, hatte man den Eindruck nach dem Vortrag von Prof. Ruge. Sichtbare Wellen, hörbare Wellen: "Good Vibrations" von den Strandbuben stand auf der Folie, gemeint waren natürlich die Beach Boys, ein früher Videoclip aus dem Jahr 1967. Cladnische Klangfiguren sehen gut aus, klingen aber schrill. Essbare Wellen gibt es auch: Donauwellen, lecker. Stehende Wellen und wandernde Wellen sieht man, wenn man seine Energie ins Seil überträgt. Harmonische Erregungen liefert Informationen – und man wundert sich, dass die einzelnen Punkte immer nur kleine Wege zurücklegen: Keine Zauberei, sondern Gesetze der Dynamik. Natürlich kann man dafür Formeln finden, und - so Prof. Ruge - „auch die Mathematik hat ihre eigene Ästhetik, doch die erschließt sich nicht jedem!“
Sonst noch Wellen? Na klar: Jeder Informationstransport findet mit Wellen statt. Zustände werden transportiert: Energie – Welle – Masse – Ladung. Elektromagnetische Wellen, von 1 Herz (Schwingung/Sekunde) bis 10hoch24. Die Baudynamik findet nur in einem kleinen Bereich statt – aber der ist groß genug, um sich damit ein Arbeitsleben lang zu beschäftigen. Wenig Nutzwellen (Verdichtung) zeigt die Liste und viele Schadwellen (Brecher am Meer, Windböen, Erdbeben, Erschütterungen z.B. bei einem Anprall): Wie bemisst man Bauwerke wie den Leuchtturm im Meer vor der Bretagne, der von einer riesigen Wasserwelle angerammt und überspült wird? Was findet beim Erdbeben (Assisi) statt – es gab eindrucksvolle Filmaufnahmen von der zusammmenstürzenden Kathedrale. Was ist die Aufgabe des Dynamikers? Prof. Ruge demonstrierte es mit katastrophalen Bildern (also solchen von Katastrophen) und gezielten Versuchen. Was passiert, wenn im Stadium tausende von Fans la-ola-mäßig hüpfen? Die Gebrauchstauglichkeit prüfen – das macht er gerne und zeigt die Bauarbeitertanzgruppe – Sicherheitsbeauftragte als Hupfdohlen. Es folgen Bilder und Töne von Messungen im Glockenturm von Meißen: „Sie werden verstehen, dass Dynamiker wie ich glückliche Menschen sind!“
Abschließend ein Dank an Studenten: „Ich bin begeistert von der Leistungsfähigkeit einiger Studenten! Man sollte ihnen alle Freiheiten lassen – die finden ihren eigenen Weg. Geben Sie die ihnen, liebe Kollegen!“
Nachdenkliches trug Prof. Horlacher vor. Die Frage "Wasser – Quelle des Lebens oder Quelle von Konflikten?" legte schon die Antwort nahe: Beides, wahrscheinlich... Entweder es gibt zu viel Wasser, wie beim Hochwasser 2002. Oder es gibt zu wenig Wasser: Erschreckende Bilder aus Afrika. Die Frage sei, ob daran die Menschen Schuld seien - und ob diese Extremzustände zunehemen. Natürlich ist's der Mensch - aber er kann, wenn er sich besinnt, Fehler auch wieder wett machen. Als Beispiel dienten drei Karten von der Lech. Die erste von 1850 zeigt einen ausufernden Fluss - aber es gab auch nicht so viele Menschen zu ernähren. Später hat man den Fluss in seine Grenzen verwiesen, er wurde kürzer gemacht - und das Wasser wurde dadurch schneller. Heute werden zusätzlich Stauräume geschaffen – der Mensch bringt der Flusslandschaft ein Stück Natur zurück. Gedanken des Flussbauers: Der gute ökologische wie chemische Zustand der Fließgewässer sind das Ziel, das „gute ökologische Potenzial“. Heavy modified water bodies nennt das der englisch sprechende Fachmann. "Wir dürfen den Hochwasserschutz nicht als singuläre Maßnahme betrachten – man muss mehr machen. Mit den neuen Systemen sind wir auf einem guten Weg, Hochwasser zu beherrschen."
Klimaveränderungen kann auch der Wasserbauer nicht außer acht lassen. Klimagase sorgen für höhere Durchschnittstemperatur – zwei bis vier Grad in einem Jahrhundert. Es gibt weniger Frost, alles wird wärmer – das beeinflusst den Wasserkreislauf. "Wir müssen unsere Maßnahmen im Wasserbau mit den Klimaveränderungen kuppeln." Gewinner sind die Wasserkraftanlagen. Verlierer ist die Landwirtschaft: Im Sommer, wenn sie Wasser braucht, steht ihr weniger zur Verfügung. Das sind Aufgaben, die zu lösen seien – "und es sind schöne Aufgaben!" Aber es gebe noch mehr als das, auch Bedenkliches: Die Zahl der Menschen auf dieser Erde nimmt zu. Und diese müssen ernährt werden, sie brauchen Energie. 80 Prozent der Bevölkerung nutze 20 Prozent der Energie – aber 20 Prozent der Bevölkerung nutzen 80 Prozent der Energie. Die wachsende Menschheit benötige 200 Prozent mehr Energie – "das müssen wir schultern". Der Wasserbedarf steige ebenfalls, müsse in einer Generation verdoppelt werden. Eine Aufgabe für die Wasserbauer – "wenn wir das nicht schaffen, wird die Welt nicht in Frieden leben".
Wie angespannt und ernst die Situation schon jetzt ist, zeigten Beispiele wie das vom Jordan. Von den ursprünglich 1.200 Mio Kubikmetern Wasser fließen nur noch 200 Mio ins Tote Meer. Allein 500 Mio Kubikmeter Wasser entnehmen die Israeli dem Fluss zur Bewässerung der Negev-Wüste. Der Jordan, so Prof. Horlacher, sei Anlass des Sieben-Tage-Krieges gewesen: Der Hauptzufluss (Banyas) entspringt auf den Golanhöhen. Die Welt reagiert auf die Wasser-Problematik, und es gibt zahllose Staudammprojekte zwischen Euphrat und Tigris. Aber zum Teil sind diese Vorhaben durchaus umstritten (High Aswan Damm, Merowe Damm und Tekeze Damm).
Besondere Verbindungen pflegt Prof. Horlacher (und das Institut für Wasserbau) mit Äthiopien - einem Land, das so groß ist wie Spanien und Frankreich zusammen. Die Bevölkerungszahl wächst (jetzt 80 Mio, 2050 geschätzt 150 Mio Einwohner), damit steigt der Wasserverbrauch um 200 Prozent. 80 Prozent des Nilwassers kommt aus Äthiopien, aber Ägypten betrachtet den Nil und das Wasser als seins. Mit (zum Teil gemeinsamen) Forschungsprojekten will man dem Wassermangel in Äthiopien begegnen: Small Dams, kleine Dämme, sind vielleicht ein Weg: Mit kleineren Dämmen, so die Idee, will man das Wasser speichern, das während der Regenzeit im Überfluss da ist und ohne diese Maßnahmen danach fehlt. Small Dams sollen mit einfacher Technik Hilfe bringen. Doch nicht nur die Forschung vor Ort kann Hilfe bringen - der in den USA derzeit so vehement propagierte Wechsel, der change, müsse auch andernorts kommen: Amerikaner und Europäer müssten viel weniger Strom verbrauchen...
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